Dankbarkeit und Hoffnung, aber auch Klage und Busse
Erläuterung zur gemeinsamen katholisch-lutherischen Erklärung
Kardinal Kurt Koch erläutert die gemeinsame katholisch-lutherische Erklärung zum Reformationsjubiläum im Jahr 2017
Die Tagespost, 28. Juni 2013, von Guido Horst
Eminenz, die am 17. Juni in Genf veröffentlichte gemeinsame Erklärung der katholischen Kirche und des Lutherischen Weltbundes “Vom Konflikt zur Gemeinschaft” hat sicher eine längere Vorgeschichte. Erst im Herbst liegt das Dokument auf Deutsch vor. Können Sie diese Vorgeschichte ganz kurz skizzieren?
Das Gedenkjahr 2017 bezieht sich in erster Linie auf die von Martin Luther vor fünfhundert Jahren initiierte Reformation. Die Lutheraner haben uns Katholiken eingeladen, mit ihnen zusammen dieses Ereignisses zu gedenken. Von daher lag es nahe, dass sich die Lutherisch/Römisch-Katholische Kommission für die Einheit, im Auftrag des Lutherischen Weltbundes und des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, dieses Anliegens angenommen und nach Möglichkeiten eines gemeinsamen Gedenkens gesucht hat. Das vorliegende Dokument ist das Ergebnis eines jahrelangen intensiven Studiums der ökumenischen Fragen. Dieses wird nun fortgesetzt mit einer neuen Arbeitsgruppe, die Hilfestellungen erarbeitet, wie ein gemeinsames Gedenken der Reformation auch liturgisch begangen werden kann.
Es geht also um den fünfhundertsten Jahrestag der Veröffentlichung der Thesen Martin Luthers zum Ablass, es geht um 2017, wenn man – ja was denn nun? – feiern, erinnern, Frieden schliessen, trauern oder die Spaltung der Kirche beklagen wird?
Das Dokument hat drei Schwerpunkte: erstens Dankbarkeit und Freude über die gegenseitige Annäherung im Glauben und im Leben, die in den ökumenischen Gesprächen zwischen Lutheranern und Katholiken während der vergangenen fünfzig Jahre erreicht werden konnte; zweitens Bestärkung der Hoffnung, dass ein gemeinsames Gedenken der Reformation weitere Schritte auf die erhoffte volle Einheit hin ermöglichen wird; drittens Klage und Busse angesichts der vielen Missverständnisse und Verletzungen bis hin zu den blutigen Konfessionskriegen, die wir uns in den vergangenen fünfhundert Jahren angetan haben. Es versteht sich leicht, dass für diese drei Schwerpunkte der Begriff des “Feierns” nicht adäquat ist, während der Begriff des “Gedenkens” sowohl die positiven als auch die negativen Aspekte dieses Ereignisses umfasst.
Dann zum Inhalt des Dokuments “Vom Konflikt zur Gemeinschaft”: Der Titel klingt ja ganz positiv. Was sind die Kernpunkte des Textes?
Der Titel beschreibt realistisch den Weg, den Lutheraner und Katholiken in den vergangenen fünfhundert Jahren – zuerst gegeneinander, dann nebeneinander und immer mehr miteinander – gegangen sind. In der Vergangenheit hat es sich vor allem um eine sehr konfliktuöse Geschichte gehandelt, die zu erinnern eine wichtige Voraussetzung für eine ehrliche Versöhnung ist. Ein wesentliches Verdienst des vorliegenden Dokumentes ist es, dass es diese Geschichte in lutherischer und katholischer Sicht gemeinsam zu beschreiben versucht. Das Wort “Gemeinschaft” bezieht sich demgegenüber auf die vergangenen fünfzig Jahre, in denen die ökumenischen Gespräche herausarbeiten konnten, was beiden Seiten im Verständnis und im Leben des Glaubens gemeinsam ist. Dabei handelt es sich freilich um eine noch nicht volle Gemeinschaft; das Dokument bietet aber Hilfen, wie diese Gemeinschaft in Zukunft vertieft und verwirklicht werden kann.
Es gibt heute keinen Ablasshandel mehr, dafür aber einen Papst, der von seinem Amt zurückgetreten ist. Der derzeit amtierende Papst legt Wert darauf, ein “Papst der Armen” zu sein und verordnet gerade dem Vatikan einen neuen Stil, der von Schlichtheit und Nähe zu den wirklichen Sorgen der Menschen geprägt ist. Die Heilige Schrift hat einen zentralen Platz im Leben der katholischen Kirche. Wenn Luther heute vom Grabe auferstehen würde, könnte er dann nicht sagen: Na ja, einiges ist dumm gelaufen, aber insgesamt und mit Blick auf die weitere Geschichte ist mir die Reformation der katholischen Kirche gelungen?
Martin Luther ging es um die Erneuerung der ganzen Kirche und nicht um die Gründung von neuen Kirchen. Nimmt man dieses entscheidende Anliegen Luthers ernst, muss man in der historischen Tatsache, dass es in der damaligen Zeit nicht zur Erfüllung gelangen konnte, nicht nur das Versagen der damaligen römischen Kirche erblicken, sondern auch das Nicht-Gelingen der Reformation. Wenn das ursprüngliche Ziel der Reformation die Reform der ganzen Kirche gewesen ist, muss man im Entstehen eines besonderen evangelischen Kirchentums mit dem evangelischen Ökumeniker Wolfhart Pannenberg zumindest eine “Notlösung” wahrnehmen. Dies bedeutet umgekehrt, dass es beim ökumenischen Bemühen um die Wiedergewinnung der Einheit auch um die Vollendung der Reformation selbst geht. Ich bin überzeugt, dass Martin Luther diese Sicht heute teilen und sich über viele Entwicklungen in der Katholischen Kirche freuen würde und er vor allem ein engagierter Befürworter des ökumenischen Bemühens wäre, die sichtbare Einheit zwischen Lutheranern und Katholiken wiederzufinden.
Wir kennen in Deutschland eigentlich nur näher die EKD, die Evangelische Kirche in Deutschland, die gerade in einer sehr fragwürdigen Weise das christliche Familienbild relativiert hat. Doch wie ist es, wenn man wie Sie auf der Ebene des Lutherischen Weltbundes unterwegs ist. Ist das dort genauso wie in der Evangelischen Kirche in Deutschland?
Auch in Deutschland gibt es durchaus evangelische Gemeinschaften, die sich konsequent an das biblische Zeugnis und das lutherische Bekenntnis halten wollen und deshalb Schwierigkeiten mit bestimmten Positionen der EKD haben. Im Lutherischen Weltbund ist die Situation naturgemäss noch differenzierter. Dort zeigen sich dieselben Probleme, doch nach meiner Wahrnehmung nicht in demselben Ausmass wie bei der EKD, bei der stets neue ökumenische Differenzen auf ethischem Gebiet auftauchen, beginnend bei bioethischen Fragen bis hin jetzt zu familienethischen Fragestellungen. Darin liegt natürlich ein schwerwiegendes Problem. Denn wenn die Kirchen zu den grossen ethischen Fragen in der heutigen Gesellschaft nicht mit einer Stimme sprechen können, schwächen sie nicht nur diese christliche Stimme, sondern schaden auch der Glaubwürdigkeit der christlichen Ökumene. Weil damit das christliche Menschenbild in Frage steht, liegt eine wichtige ökumenische Herausforderung darin, eine ökumenisch konsensfähige Anthropologie zu entwickeln und in der heutigen Gesellschaft gemeinsam zu bezeugen.
Sie haben für die katholische Seite schon mehrfach dargestellt, dass Katholiken das Reformations-Jahr oder Luther-Jahr 2017 nicht einfach “feiern” können. Aber trotzdem: Vor allem im – weitgehend entchristlichten – deutschsprachigen Raum wird man sich dann daran erinnern, dass die säkulare Geschichte nicht mit der Französischen Revolution und die der Kirche nicht mit dem Zweiten Vatikanum begann. Was erhoffen Sie sich von dem Jubiläums-Jahr 2017?
Die Geschichtsforschung hat gezeigt, dass auf der einen Seite das Mittelalter keineswegs so dunkel gewesen ist, wie es zu lange und zu gerne gezeichnet worden ist, und dass auf der anderen Seite Luther viel mehr im mittelalterlichen Denken beheimatet gewesen ist, als man zugestanden hat. Diese Sicht hat auch den Blick auf das Ereignis der Reformation verwandelt: Während man früher im sogenannten “Thesenanschlag“ Luthers den Beginn der Reformation im Sinne der Kirchenspaltung gesehen hat, hat die Geschichtsschreibung aufweisen können, dass dieser “Thesenanschlag” in dieser Form nicht stattgefunden hat. Von daher können wir viel ungezwungener sehen, dass im Jahre 1517 die Kirche noch nicht gespalten gewesen ist. Insofern ist das Gedenkjahr 2017 ein willkommener Anlass, uns auf den gemeinsamen Glauben und die Einheit der Kirche zurückzubesinnen; und insofern ist es für mich eine gute Botschaft, dass das Reformationsgedenken im Jahre 2017 stattfinden wird.
Papst Benedikt XVI. hatte ein sehr starkes ökumenisches Empfinden und ist den Lutheranern 2011 in Erfurt sehr weit entgegengekommen. Sie sagten einmal, Benedikt XVI. sei dort der lutherischste von allen gewesen. Wie meinen Sie das?
Dies war natürlich im damaligen Kontext eine zugespitzte Aussage, weil ich bedauert habe, dass man die grossen ökumenischen Schritte, die Papst Benedikt XVI. in Erfurt vollzogen hat, nicht so gewürdigt hat, wie sie es verdient hätten. Benedikt XVI. hat damals die leidenschaftliche Gottsuche und die tiefe Christozentrik in der Spiritualität Luthers in besonderer Weise hervorgehoben und damit in der Rückbesinnung auf die Herzensanliegen Luthers einen Weg aufgezeigt, auf dem man in der evangelisch-lutherischen / römisch-katholischen Ökumene weitergehen kann. Ich konnte bisher freilich noch nicht zur Überzeugung gelangen, dass man in der ökumenischen Situation Deutschlands diese hoffnungsvolle Fährte genügend weiterverfolgt hätte.
Und haben Sie schon mit Papst Franziskus über das Luther-Jahr 2017 und die Ökumene mit den Lutheranern gesprochen? Was denkt der argentinische Papst, wenn das Stichwort “Reformation” fällt?
Papst Benedikt XVI. selbst hat ein gemeinsames Reformationsgedenken bereits vor Jahren begrüsst und in ihm die Chance gesehen, “um weitere Schritte auf die ersehnte Einheit hin zu gehen und nicht bloss im Erreichten zu verharren”. Während der persönlichen Audienz des EKD-Ratsvorsitzenden Nikolaus Schneider bei Papst Franziskus hat der Papst im Blick auf das Reformationsgedenken ausdrücklich auf die zwei Ansprachen von Papst Benedikt in Erfurt hingewiesen und betont, dass er auf diesem Weg weitergehen wolle. Insofern besteht zwischen beiden Päpsten auch und gerade in ökumenischer Hinsicht eine grundlegende Kontinuität.
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