Kein Diener des Zeitgeistes

Leseprobe 1 aus dem Buch “Papst im Widerspruch”

Kein DienerBenedikt XVI. warb für den Mut, “schädlichen herrschenden Tendenzen zu widersagen und gegen den Strom zu schwimmen, vom Geist der Seligpreisungen geleitet”

Leseprobe 1 aus dem Buch “Papst im Widerspruch” von Alexander Kissler

Vatikan, kath.net, 20. März 2013

Leseprobe aus dem Buch “Papst im Widerspruch” von Alexander Kissler:

Benedikt XVI. gab nichts auf Applaus, Rampenlicht, Aktionismus. Er zog den guten Gedanken der guten Laune vor, sah Heil oder Unheil, Gewinn oder Verlust ausschliesslich im inneren Menschen verbürgt. Die Welt, wusste er, wird nie ein besserer Ort, wenn wir nicht alle inwendig bessere Menschen werden. Als seine letzte öffentliche Messe im Petersdom am Aschermittwoch 2013 in einem Meer der Tränen und in Wogen des Beifalls davongeschwemmt zu werden drohte, rief er leise in die aufgewühlte Menge hinein: “Grazie, ritorniamo alla preghiera – nun lasst uns zum Gebet zurückkehren.” Dort, heisst das, im inneren Zwiegespräch, geschieht auch an einem so bewegenden Tag wie heute das Entscheidende. Schaut nicht auf mich, schaut durch mich hindurch auf den, der bleiben wird, wenn ich längst gegangen, wenn ich kein Leib mehr sein werde, kein Klang, sondern nur eine Stille, die aber einmal doch gewesen ist.

Darum endete auch das folgende Angelusgebet am 17. Februar 2013 vor über 100 000 Menschen schlicht und innerlich und bescheiden. Es waren, gestand Benedikt zu, “für mich schwierige Tage”. Das letzte Wort jedoch galt demselben seelischen Vorgang wie an Aschermittwoch, “bleiben wir verbunden im Gebet. Ich danke euch allen!” Dann schloss sich der Vorhang am Fenster des Apostolischen Palastes hinter dem kleinen Mann.

Kurz zuvor hatte er in seine eigene Seele blicken lassen in vertrauten Worten, die aber, wie er selbst es 1995 in einem Aufsatz dargelegt hatte, “über das unmittelbar bewusst Gesagte in grössere Tiefen hinein” reichten. “Im Gesagten”, so der damalige Kurienkardinal, “steckt immer ein Überschuss des Ungesagten, der die Worte mit dem Vorangehen der Zeiten wachsen lässt.” So werden es vielleicht diese Worte aus der Ansprache zum Angelus vom 17. Februar 2013 sein, in denen man dereinst den Schlüssel finden wird für den Rücktritt eines Papstes.

Nicht nur zur Fastenzeit sei es nötig, sagte Benedikt, in den Kampf einzutreten, in die “geistliche Schlacht” mit dem “Geist des Bösen” und mit dem Bösen schlechthin, dem Versucher, dem Teufel. Die Kirche könne diesen Kampf nur bestehen, wenn sie sich im Geist erneuere, wenn sie beginne, sich “entschlossen wieder auf Gott auszurichten und dem Stolz und Egoismus zu widersagen”. Das also könnten die Fragen sein, die heute “für das Leben des Glaubens von grosser Bedeutung sind”: die Fragen nach dem Stellenwert von Stolz und Egoismus – und Geld und Macht, die er ebenfalls erwähnte – ausserhalb wie innerhalb der Kirche. Genau diese “geistliche Schlacht” tobt gemäss dieser Diagnose “heute” derart gewaltig, dass sie nicht durch eine Schwäche des regierenden Pontifex, bildlich gesprochen: des christlichen Heerführers, zugunsten des Versuchers entschieden werden soll. Neue Kräfte sollen sich im alten, sich “heute” täglich aufgipfelnden Streit bewähren. Dieser Rücktritt, der die Welt aus allen Wolken fallen liess, erlaubt auch eine solche eschatologische Lektüre.

So stand denn bis zu den letzten Tagen, bis zu den Umständen des Rücktritts dieses Pontifikat in jenem “Zeichen des Widerspruchs”, das zu sein schon die Bibel allen Jüngern und Jüngerinnen Jesu auftrug. Benedikt sprach oft von dieser abgründigen Erwählung, die stolz machen kann und frösteln zugleich, die ein Ehrabzeichen ebenso sein kann wie ein Marterstab. Den Bischöfen – und also auch sich selbst – schärfte er im Februar 2011 ein, “kein Schilfrohr zu sein, das sich mit dem Winde dreht, kein Diener des Zeitgeistes. Die Unerschrockenheit, der Mut zum Widerspruch gegen die Strömungen des Augenblicks, gehört wesentlich zum Auftrag des Hirten.”

Vor den Bischöfen von Angola und São Tomé warb er im Oktober 2011 für den Mut, “schädlichen herrschenden Tendenzen zu widersagen und gegen den Strom zu schwimmen, vom Geist der Seligpreisungen geleitet”.
Schlichtweg jeder und jede Getaufte aber, hiess es dann in der Generalaudienz am 18. April 2012, müsse wissen: “Ebenso wie Jesus begegnen auch die Jünger Widerspruch, Unverständnis, Verfolgung.”

Benedikt erntete Widerspruch, weil er sich weder innerhalb noch ausserhalb der Kirche mit den jeweils herrschenden Tendenzen arrangieren wollte. Er ermahnte die Kirche in Afrika, unter der Oberfläche des Christentums nicht heidnischen Praktiken oder gar einer Macho-Kultur zu folgen, er redete den chinesischen Katholiken ins Gewissen, keine nationalkirchlichen Sonderwege zu bestreiten, und er erinnerte die Politiker und Staatsbürger des Westens immer wieder daran, dass Europa einmal ein christliches Projekt war und dass Europa keine Sprache mehr habe, wenn es der religiösen Indifferenz frönt.”

Zum Interview mit Alexander Kissler über das Buch „Papst im Widerspruch“: “Benedikt XVI. war durch und durch modern”

kath.net-Lesetipp: Papst im Widerspruch – Benedikt XVI. und seine Kirche 2005-2013 – Von Alexander Kissler Gebundene Ausgabe: 304 Seiten Pattloch 2013 ISBN-13: 978-3629022158 Gebundene Ausgabe: € 20.60 eBook: € 18.20

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