Jede Suizid-Förderung ist zu verbieten

“Gesetz zur Strafbarkeit der gewerbsmässigen Förderung der Selbsttötung”

Der Bischof von Fulda zum geplanten “Gesetz zur Strafbarkeit der gewerbsmässigen Förderung der Selbsttötung”.

Die Tagespost, 11. Januar 2013, von Bischof Heinz Josef Algermissen

Am 29. November 2012 behandelte der Deutsche Bundestag in erster Lesung den Regierungsentwurf des “Gesetzes zur Strafbarkeit der gewerbsmässigen Förderung der Selbsttötung”.

Nach einer sehr kurzen Sachverständigenanhörung im Rechtsausschuss des Parlaments am 12. Dezember 2012 wird das Gesetz am 30. Januar 2013 ein letztes Mal in diesem Gremium beraten, ehe tags darauf die zweite und die dritte Lesung im Bundestag folgen sollen, womit das Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen wäre.

Das geplante Gesetz will eine einschlägige Selbstverpflichtung des schwarzgelben Koalitionsvertrags aus dem Jahr 2009 einlösen und das Strafgesetzbuch um einen neuen Paragrafen 217 ergänzen, der die Suizidunterstützung als kommerzielle Dienstleistung unter Strafe stellt, aber die Straffreiheit der Suizidförderung durch Angehörige und andere dem Sterbewilligen nahestehende Personen festschreibt.

Ja zum Menschen, Nein zum Suizid und seiner Förderung

Die Kirche hat die Aufgabe, den Unterschied zwischen Gott und Mensch, Relativem und Absolutem, Endlichem und Unendlichem zu verkünden. Praktisch bedeutet das, es gibt aus christlicher Sicht Entscheidungen, die sich der Mensch nicht zumuten muss, weil sie den endlichen Horizont eines endlichen Wesens übersteigen. Bei Entscheidungen über das menschliche Leben ist dies der Fall.

Der Theologe Karl Rahner sagt, der Mensch ist die Frage, die unausweichlich vor ihm selbst “aufsteht und die von ihm nie überholt, nie adäquat beantwortet werden kann”. Wir sind also stets mehr, als wir von uns sehen. Wer sich das Leben nimmt, reduziert sich aber auf das, was er auf schmerzliche Weise in sich wahrnimmt: Unglück, Lebensüberdruss, Angst. Und wer einen Menschen beim Suizid unterstützt, verhilft ihm dadurch nicht zu eigentlicher Freiheit. Er folgt seiner reduzierten Selbstwahrnehmung, statt ihm eine Öffnung seiner verengten Perspektiven zu ermöglichen. Dies sage ich nicht, um Suizidenten zu verurteilen. Sie mögen unserem liebenden Gott anempfohlen sein, der heilen kann, was in ihrem Leben, von anderen oder ihnen selbst, zerbrochen wurde (vgl. Katechismus der Katholischen Kirche 2283). Dies sage ich, um zu erklären, weshalb die Kirche niemals gutheissen kann, wenn auf eine tödliche Verzweiflung mit der Tötung des Verzweifelten reagiert wird.

Das gilt auch für eine Selbsttötung, ob nun assistiert oder ohne fremde Hilfe vollzogen. Wir Christen sehen uns auf das Beispiel Jesu verwiesen, der im Umgang mit Verzweifelten und Kranken stets lebensbejahende Solidarität zeigte (vgl. Mk 1,40ff).

Die Bundesministerin der Justiz hob in einer Pressemitteilung zum Gesetzentwurf am 29. August 2012 hervor, mit dem neuen Paragrafen 217 werde “neues Strafrecht… geschaffen, nicht eingeschränkt”. Es ist tatsächlich zu würdigen, dass die Einführung eines eigenen Straftatbestandes von der bisherigen deutschen Rechtstradition abrückt, Suizidförderung als Teilnahme an einer nicht strafbaren Tat zu verstehen, was logischerweise auch die Tatteilnahme von einer Strafandrohung befreien musste.

Der Gesetzentwurf ist unzureichend

Allerdings hält sich der Gesetzestext nicht konsequent genug an seine eigene Neuerungsvorstellung, wenn er in Absatz 2 von einem “Teilnehmer”, nicht von einem “Förderer der Selbsttötung” spricht. Dies verunklart die Tateigenständigkeit der Suizidunterstützung und steht in Spannung zur Paragrafen-Überschrift, in der von “Gewerbsmässige[r] Förderung der Selbsttötung” die Rede ist. Im Sinne des Gesetzes sollte künftig gar nicht mehr von Suizidbeihilfe oder Tatteilnahme gesprochen werden, sondern durchgängig von Suizidförderung, -unterstützung oder -herbeiführung als eigenständigem Tun.

Dann aber ist zu fragen, ob wirklich nur ein die Suizidförderung begleitendes Gewinnstreben diese ins Unrecht setzen kann. Meiner Überzeugung nach ist die Suizidförderung als solche zu missbilligen, die Kommerzialisierung fügt ihr keinen wesentlichen zusätzlichen ethischen Malus hinzu. Dies gilt auch in rechtspraktischer Hinsicht, will das geplante Gesetz doch verhindern, “dass sich Sterbehilfe als normale Dienstleistung darstellt, die Menschen dazu verleiten kann, sich das Leben zu nehmen, obwohl sie dies ohne das kommerzielle Angebot nicht getan hätten”. Wenn also eigentlich einer Normalisierung der Suizidförderung entgegengewirkt werden soll, dann reicht die Kriminalisierung der erwerbsmässigen Suizidherbeiführung nicht aus. Viele der Organisationen, die heute in Deutschland Suizidunterstützung anbieten, sind eingetragene Vereine, die dem Vereinsrecht entsprechend keine rein wirtschaftlichen Zwecke verfolgen dürfen. Womöglich kann ihnen das geplante Gesetz in seiner jetzigen Form gar nicht Einhalt gebieten. Aber eine Normalisierung der Suizidförderung liegt bereits vor, wenn – unabhängig von wirtschaftlichen Erwägungen – soziale Strukturen planmässiger Suiziderleichterung geschaffen werden und Suizidförderung als “normaler Vereinszweck” neben anderen erscheinen darf.

Das geplante Gesetz soll verhindern, dass die Herbeiführung eines Suizids in den Raum des gemeinhin Akzeptierten rückt. Aber ein Verbot kommerzieller Unterstützung bei der Selbsttötung genügt diesem Anspruch überhaupt nicht. Noch nicht einmal die Kriminalisierung jeder organisierten Suizidunterstützung reicht aus. Nur die ausdrückliche Feststellung der Tatselbstständigkeit und der Rechtswidrigkeit jeder Suizidförderung im neuen § 217 dient dem genannten Ziel auf angemessene Weise.

Es ist anzuerkennen, dass der Gesetzgeber das rechtspolitisch heikle Thema der Suizidunterstützung nicht scheut. Die unverantwortliche Eile, mit der das geplante Gesetz in diesen Tagen durchs parlamentarische Verfahren gebracht werden soll, ist angesichts der schwierigen Materie befremdlich. Ich appelliere an die Verantwortlichen im Deutschen Bundestag, dass sie dem Rechtsausschuss, dem Plenum und nicht zuletzt der Öffentlichkeit mehr Zeit des Bedenkens und Beratens einräumen. Ich erwarte eine eindeutige Absage an jede Form der Suizidhilfe. Kranke und Leidende bedürfen keiner Unterstützung bei der Selbsttötung. Sie brauchen vielmehr echte Hilfe für ein schmerzfreies Leben in der Grenzsituation des Sterbens.

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