Liturgie nicht dem Belieben der Pfarrei anheimgestellt

Weshalb die Liturgie nicht dem Belieben der Pfarrei anheimgestellt ist

Ein liturgischer Kommentar von Mag. theol. Michael Gurtner.

Linz, www.kath.net, 9. Dezember 2012

Die Kirche hat seit jeher einen grossen Wert auf die heilige Liturgie, den göttlichen Kult gelegt. In ihr sieht sie nämlich den höchsten Zweck ihres sichtbaren Seins in der ebenso sichtbaren Schöpfung, in welche sie zum Heil des Menschen ebenso gestellt ist wie zur Verherrlichung Gottes.

Zwar erstreckt sich der Auftrag der Kirche nicht allein in liturgischen Vollzügen, aber dennoch ist die Liturgie einer ihrer Hauptzwecke und als solcher Ausgangspunkt für jede rechte weitere kirchliche Aktivität.

Aus diesem Grund entzündet sich oft gerade an der Liturgie ein im Inneren schon länger schwelender Streit um unterschiedliche theologische (oder eben auch gerade nicht mehr theologische) Positionen, denn in der Liturgie wird der Glaube und damit das Relationsgefüge zwischen dem Ich Mensch und dem Du Gott offenbar.

Dieses wird speziell durch liturgische Vollzüge be- und entlastet, weshalb es auch zu einem solch sensiblen Punkt wird, denn Liturgie tendiert dazu sich festzusetzen und zu stabilisieren, und damit auch dasjenige, welchem sie Ausdruck zu geben strebt. In ihrer Sichtbarkeit und Konkretheit, welche sich in liturgischen Traditionen und Gebräuchen schnell festzuschreiben neigt, lässt sie sich nur schwer beiseiteschieben oder vertagen in der Hoffnung, dass sich die Probleme von alleine lösen werden, wie dies bei eher “theoretisch-schriftlichen” Bereichen eher der Fall ist.

Durch die Liturgie (und nicht allein “in” ihr) wird die persönliche Gottesbeziehung des Menschen hergestellt, gefestigt, zerstört, belastet, verhindert oder ermöglicht. Deshalb ist der katholische Glaube ein zuinnerst liturgischer, weil er sich erst in Liturgie recht vollziehen kann, und somit der rechte Glaube immer nach seinem liturgischem Ausdruck strebt. Schon allein aus diesem Grund (neben anderen) ist es unsinnig zu behaupten: “ich kann auch ohne die Kirche glauben!”, weil dieser Glaube dann mit Sicherheit kein hinreichender ist, sondern Mängel in seiner Wurzel selbst aufweist.

Genau aus diesem Grund ist es auch sehr auffallend, dass Menschen mit einer ähnlichen Art der Frömmigkeit oft sehr ähnliche Stärken und Schwächen im Glaubensinhalt sowie Grundzugänge aufweisen: Leute, welche ähnlich über Dinge des Glaubens denken, werden auch dieselbe Form von Liturgie bevorzugen. Deshalb ist es ein Warnsignal, wenn einige bestimmte Formen von Liturgie abgelehnt oder gewünscht werden: zwar gibt es innerhalb einer gewissen Grenze eine Bandbreite von verschiedenen legitimen persönlichen Präferenzen, daneben gibt es aber auch Dinge, welche man, um es vielleicht etwas salopp zu formulieren, eindeutig als “no go” oder “must have” zu qualifizieren sind.

Das bislang Gesagte sind einige Skizzenstriche der anthropologischen Kupplung zwischen Liturgie und Mensch. Deren Gewicht ergibt sich aber erst aus der theologischen Bedeutung des göttlichen Kultes.

Denken wir die heilige Liturgie von ihrem theologischen Ansatz her, so stellt sie sich als eine Art mehrstufiger Kreislauf dar: Die heilige Liturgie bildet folglich den öffentlichen Kult, den unser Erlöser, das Haupt der Kirche, dem himmlischen Vater erweist und den die Gemeinschaft der Christgläubigen ihrem Gründer und durch ihn dem Ewigen Vater darbringt;: “Sacra igitur Liturgia cultum publicum constituit, quem Redemptor noster, Ecclesiae Caput, caelesti Patri habet; quemque christifidelium societas Conditori suo et per Ipsum aeterno Patri tribuit”; Um es zusammenfassend kurz auszudrücken: sie stellt den gesamten öffentlichen Gottesdienst des mystischen Leibes Jesu Christi dar, seines Hauptes nämlich und seiner Glieder (S.H. Papst Pius XII in dessen Enzyklika Mediator Dei).

Dies gilt für die Liturgie generell. Doch noch einmal verstärkt wird dies im Heiligen Altarsakrament, denn in diesem bringt die Kirche das Opfer Christi dar, welches er selbst durch die Kirche fortwährend dem Vater darbringt. Christus kommt im Sakrament fortwährend auf die Erde und bringt sich im selben fortwährend dem Vater als Opfer dar. Das Haupt der Kirche opfert also sich selbst und bringt sich selbst durch die Kirche als Opfer dem Vater dar, wodurch sich in gewisser Weise die gesamte Kirche mit als Opfer darbringt, freilich in der Art verschieden vom Kreuzesopfer Christi und dessen Fortdauer im Altarsakrament.

Damit dies geschehen kann (wir sprechen hier wieder von der Liturgie allgemein) war es jedoch nötig, dass Gott selbst initiativ wurde, die Kirche stiftete und ihr die Struktur der heiligen Sakramente gab. Ohne den vorgehenden göttlichen Willensakt wäre all dies nicht Wirklichkeit, weder gemäss der Existenz der einzelnen Dinge (Sakramente, Kirche, Früchte und Wirkungen der Sakramente etc.), noch gemäss ihres inneren Gefüges untereinander. All dies – und somit auch die Liturgie in ihrem Wesen (nicht unbedingt auch in der Art ihres phänomenologischen Ausdruckes) – wäre nicht, wenn es nicht von Gott gegeben und seinem heiligen Willen entsprungen wäre. Die Existenz von Liturgie als solcher geht also im Letzten auf Gott selbst zurück.

Dies bedeutet jedoch zugleich auch, dass auch deren Grundzüge von Gott herstammend, und somit bindend sind. Dies gilt vor allem für die innere Struktur der Liturgie allgemein, aber auch für einige Wesenspunkte der einzelnen konkreten Liturgien (Hl. Messe, Taufe, Firmung etc.). Dies ist zunächst noch von der Frage nach den konkreten Ausformungen der Riten unabhängig, sondern zielt auf Das Grundgerüst ab, welche jede Liturgie, welcher konkreter Ritus sie dann auch immer sein mag, aufweisen muss, um rechtens sein zu können. Diese Struktur ist das Mass, an welcher die “Qualität” einer Liturgie sich zu messen hat.

Wird die Liturgie dahingehend geändert, dass ihre Grundstruktur berührt wird, so kann man nicht einfach woanders einen adäquaten Ersatz dafür finden, da gewisse Vollzüge, ja Ereignisse nur in Liturgie stattfinden können: das Aufeinandertreffen von Transzendenz und Immanenz ist immer in Liturgie gehüllt, weil durch diese erst eine bestimmte Art von Gottesbegegnung zustande kommt, wie sie dem liturgischen Vollzug als solchem zu eigen ist, und daher nicht ausserhalb derselben stattfindet.

Es geht also nicht darum, eine Liturgie zu begehen in welcher, beispielsweise, die Sakramente eben noch so gültig sind, sondern es geht darum, dass die Liturgie ihre ureigenen, von Gott gestifteten Regeln aufweist, welche auch mit beachtet werden müssen, und welchen die einzelnen konkreten Riten in ihrem Gesamt wie in deren Einzelnen genügen müssen. Werden diese Grundstrukturen verletzt, so kann man sie nicht einfach auf etwas anderes übertragen und dort finden. Ist eine Liturgie, beispielsweise eine Heilige Messe, in ihren Grundstrukturen defizitär oder gar zerstört, so bedeutet dies, den Gläubigen den Zugang zu etwas zu versperren, ohne dass sie dies auch woanders finden könnten.

Ihnen ist etwas nicht mehr zugänglich, worauf sie eigentlich ein Anrecht haben und worin sie etwas finden, was sie nur in dem finden können, was ihnen eben verwehrt wird, nämlich in einer Liturgie, welche in ihren Grundstrukturen ihrem eigenen Wesen entspricht. Oder um es noch anders auszudrücken: verwehrt ein Priester oder eine institutionelle Einrichtung jedweder Art den Gläubigen eine Liturgie nach göttlicher und kirchlicher Vorgabe, so verwehren sie den Gläubigen eine ganz bestimmte Art von Gottesbegegnung, welche sie nirgends anders so finden können als nicht in der Liturgie, weil sie unersetzbar ist.

Das bedeutet für die Gläubigen in letzter Konsequenz, etwas nicht zu haben, was ihnen eigentlich zustünde, weil es in sich gut und von Gott her stammend ist. Die rechte Liturgie nimmt den Menschen also nichts weg, im Gegenteil, sie bereichert ihn mit etwas, was er ansonsten nicht hätte.

Nun ist aber noch ein Blick darauf ausstehend, worin denn nun die rechte und verbindliche Innenstruktur der Liturgie besteht. Einiges ist oben schon angedeutet worden, als wir davon sprachen, dass die Liturgie ein Akt der Kirche ist, welchen sie dem Sohn erweist, der seinerseits wiederum durch die Kirche dem Vater den ihm zukommenden Kult erweist; der Sohn nimmt also aus der Perspektive der Kirche eine Mittlerrolle ein, weshalb Papst Pius XII. seine Liturgie-Enzyklika auch treffend “Mediator Dei” (et hominum) nannte.

Die Grundstruktur der Liturgie können wir also aus dem Wesen der Liturgie erschliessen, indem deren Wesen in den Ausdrücken Liturgie ihren Niederschlag finden muss. Inneres Wesen und äusserliche Ausformung müssen beide gegeben sein und beide übereinstimmend (sowohl untereinander als auch hinsichtlich der göttlichen Vorgaben) sein, um überhaupt eine rechte Liturgie sein zu können. Oder anders ausgedrückt: Liturgie ist gleichermassen fehlgeleitet, wenn sie entweder nur äusserlich stimmen würde, oder aber nur innerlich.

Dabei müssen wir zunächst vor Augen haben, dass die Liturgie in ihrem Wesen beinhaltet, dass sie eine Hinwendung des Menschen zu Gott ist. Dieses Wesen muss auch in den konkreten Vollzügen und Ausgestaltungen der Liturgie sichtbar werden und bleiben. Was in der kultischen Handlung geschieht, ist an Gott gerichtet, und kein wie auch immer geartetes (kommunikatives) Geschehen untereinander. Das rechte Reden der Liturgie ist das Gebet, also an Gott gerichtetes Reden, nicht ein Reden oder Geschehen unter Menschen.

Diese grundsätzliche Ausrichtung wird sicherlich im leisen (lateinischen) Vollzug des Hochgebetes und in der Zelebration am Hochaltar besonders gut sichtbar und deutlich, doch auch im lauten landessprachlichen Vollzug am Volksaltar ist dies nicht von vorne herein ausgeschlossen – doch dort ist es besonders stark am jeweiligen Zelebranten gelegen, sich selbst um so mehr zurückzunehmen und hinter das eigentliche Geschehen zu treten, auch und besonders indem er das durch die Kirche Vorgegebene unverändert übernimmt (Riten, Gebete etc.).

Es ist also ein Mehraufwand, um selbiges zu erreichen, weil die äusserlichen Gegebenheiten nicht so unmittelbar auf das Wesen der Liturgie verweisen. Wir dürfen nicht vergessen, dass der Mensch beider Komponenten bedarf: der inneren wie der äusseren (Ästhetik der Liturgie, Feierlichkeit, Verweis auf die Inneren Wahrheiten, wahrnehmbare Gottbezogenheit etc.).

Die Liturgie ist der einzige Ort, wo sich der ganze Mensch ganz und ausschliesslich an Gott wendet – sie ist in ihrer Kulthaftigkeit gleichsam die “intensivste” Form des Gebetes, welches dem Menschen möglich ist. Wird diese ausschliessliche Ganzhinwendung, etwa durch die äusseren Umstände (beispielsweise das Austreten aus dem Kultgeschehen und das Eintreten in eine Interaktion der Menschen untereinander, indem die Liturgie dahingehend verändert wird) verunmöglicht, dann wird dem Menschen überhaupt die Möglichkeit geraubt, in dieses ganzhingebende Geschehen zwischen Gott und Mensch eintreten zu können.

Doch genau darin ist der eigentliche Kern und Sinn der Liturgie gelegen, das ist es, was ihr Wesen ausmacht! Wer behauptet, dies dürfe nicht sein, der negiert die Legitimität, dass es diesen “Raum” geben darf, in welchem der Mensch sich allein auf Gott hin orientiert. Liturgie ist in gewisser Weise der Ort, ja geradezu das Geschehen der vertraulichen Zweisamkeit mit Gott, welche insofern über die Zweisamkeit mit Gott im “normalen” Gebet hinausgeht, als sich in der kirchlichen Liturgie und nur in dieser Himmel und Erde miteinander verbinden – speziell in der Heiligen Messe, während alles Ausserliturgische auch für seine Mitmenschen geöffnet bleibt.

Denn die Liturgie, so wie sie von der Kirche verstanden wird, ist der einzige Ort wo dies so geschieht bzw. überhaupt geschehen kann. Dies ist somit der von Gott vorgesehene Ort, in welchem eine besondere Art der Gottesbegegnung stattfindet. Die rechte Liturgie, welche ihrem von Gott gestifteten Wesen gerecht wird, ist daher ein Grundrecht eines jeden Katholiken. Von daher ist die Liturgie dem Belieben des Menschen, der Pfarrei, einer Liturgiegruppe, des Pfarrers, ja sogar der Kirche selbst entzogen. Letztere hat zwar das von Gott gegebene Recht, die Liturgie zu ordnen, jedoch innert der vorgegebenen Grenzen.

Diejenigen, welchen die Hirtensorge anvertraut ist, also in erster Linie der jeweils regierende Papst sowie für ihren Bereich die zuständigen Bischöfe, und von diesen wiederum abhängig die Pfarrer und Priester, haben gerade aus Gründen der Pastoral, d.h. der Sorge um die Seelen der Gläubigen, die schwere Pflicht, alles ihnen Mögliche zu unternehmen, um eine Liturgie sicherzustellen (und wo nötig eine solche wiederherzustellen), welche dem göttlichen Willen entspricht und den Gläubigen nicht ihr Recht vorenthält.

Aus diesem Grund sind liturgische Katechesen- oder Predigtreihen in den einzelnen Pfarreien, etwa in den “geprägten Zeiten” oder auch in anderen Abschnitten des liturgischen Jahres, sehr zu begrüssen. Auf Bistumsebene beispielsweise sind Hirtenbriefe, welche sich des Themas der Liturgie im Sinne der Kirche annehmen und deren Feier gemäss den entsprechenden Vorgaben einfordern mehr als wünschenswert, da in der heiligen Liturgie das Seelenheil der Gläubigen direkt berührt ist.

In der Liturgie wird, so können wir zusammenfassend sagen, dasjenige konkret verdichtet, was auch im gesamten Leben sein soll: die Hinordnung des Menschen auf Gott hinaus. Denn, so Papst Pius XII in Mediator Dei: “Die erste Pflicht des Menschen ist es zweifelsohne, sich und sein Leben auf Gott hinzuordnen”. Und die Liturgie ist jener Ort im Leben eines Menschen, in welchem dies in konzentrierter Weise geschieht.

Mediator Dei et Hominum: Rundschreiben Papst Pius XII.: Über die Heilige Liturgie

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