Feigenblatt oder Wendepunkt?

Feigenblatt oder Wendepunkt?

Wien, Eröffnung Zentrum des saudischen Königs Abdullah für den interkulturellen und interreligiösen Dialog

Die Tagespost, 28. November 2012, von Stephan Baier

Mit internationaler Prominenz startete in Wien das Zentrum des saudischen Königs Abdullah für den interkulturellen und interreligiösen Dialog.

Es herrschte eine Atmosphäre der Harmonie: Da standen inmitten von 800 geladenen Gästen ein frommer Jude, ein iranischer Mullah und ein orientalischer Bischof plaudernd und scherzend zusammen im Foyer. Da sass eine christliche Ordensfrau aus Afrika neben einer verschleierten arabischen Muslima, während Fingerfood gereicht wurde, das – wie die Kellner diensteifrig betonten – “selbstverständlich halal” war. “Halal” ist für Muslime, was für Juden “koscher” ist, und das war eben “selbstverständlich”, als am Montagabend in der Hofburg zu Wien das “King Abdullah Bin Abdulaziz International Center for Interreligious and Intercultural Dialogue” (KAICIID) feierlich eröffnet wurde. So viel Monarchie war in der Hofburg, einst Amtssitz der österreichischen Kaiser, schon lange nicht mehr: Kein Redner vergass, “Seine Königliche Hoheit”, den Aussenminister Saudi-Arabiens, zu begrüssen. Keiner versäumte, “Seiner Majestät, König Abdullah Bin Abdulaziz” ausdrücklich für die Weitsichtigkeit seiner Dialoginitiative zu danken.

Der saudische König, von dem Idee und Anschubfinanzierung für das Zentrum stammen, war nur auf einer Filmeinspielung zu besichtigen, wie auch die Staatschefs der beiden weiteren Gründerstaaten, der österreichische Bundespräsident Heinz Fischer und der spanische König Juan Carlos, per Videobotschaft präsent waren. Spaniens Monarch referierte die lange Geschichte des Zusammenlebens der Kulturen und Religionen in seinem Land, beglückwünschte König Abdullah und dankte der Republik Österreich für ihre Gastfreundschaft. Bundespräsident Fischer, selbst bekennender Agnostiker, hofft darauf, dass durch den Dialog der Religionen an einer friedvollen Koexistenz gebaut werden kann. Auch vergass der republikanische Präsident nicht, die “grosse Tradition” Österreichs – also unausgesprochen des grösseren, habsburgischen Österreich – hinsichtlich der Vielfalt von Nationen und Sprachen zu erwähnen.

Religionsfreiheit in all ihren Aspekten und für jedermann

Wie ein roter Faden zogen sich die Bekenntnisse zu Dialog, gegenseitiger Wertschätzung und friedlichem Zusammenleben durch einen ebenso harmonischen wie festlichen Abend, der die Unterschiede der Religionen und Kulturen weniger in den Reden als in der Vielfalt der festlichen Kleiderordnungen präsentierte. Wer genau hinhörte und hinsah, konnte ahnen, dass der höchst notwendige Dialog sich in der rituellen Beschwörung der Dialogbereitschaft längst nicht erschöpft. Da war etwa unauffällig in einem Nebensaal jener saudische Künstler, der für die KAICIID-Residenz im Wiener Palais Sturany die Vision des Zentrums in ein Kunstwerk gefasst hat. Auf dem neu geschaffenen Gemälde, das der Künstler gerne auf seinem iPad zeigte, ist ein riesiger, lichtdurchfluteter Baum zu sehen, der von einem strahlend weissen König Abdullah bewässert wird. Gleichzeitig führt der König die Religionen und Kulturen der Welt, die hier als Kinder dargestellt werden, väterlich zu diesem Baum.

An dieser väterlichen Autorität wurde am Montagabend in Wien nicht gezweifelt, zumal der saudische König eine Startfinanzierung von 15 Millionen Dollar für das nach ihm benannte Zentrum zur Verfügung stellt. Sein inhaltlicher Einfluss wird als begrenzt beschrieben, die Unabhängigkeit des KAICIID wurde ebenso betont wie das Bekenntnis zu den Menschenrechten einschliesslich voller Religionsfreiheit. Aus Saudi-Arabien stammen lediglich zwei der offiziellen Entscheidungsträger: Generalsekretär des KAICIID ist der frühere saudische Bildungsminister Faisal Bin Abdulrahman Bin Muammar, dem die frühere österreichische Justizministerin Claudia Bandion-Ortner als Stellvertreterin zur Seite gestellt ist. Im neunköpfigen Direktorium ist mit dem Theologen Hamad Al-Majed nur ein saudischer Sunnit. Neben ihm gehören ein jordanischer Sunnit, ein iranischer Schiit, drei Vertreter des Christentums – darunter der Sekretär des Päpstlichen Rates für den Interreligiösen Dialog, Miguel Ayuso – sowie je ein Hindu, eine Buddhistin und ein Jude (Oberrabbiner David Rosen) dem Entscheidungsgremium an.

Generalsekretär Faisal lobte die Rolle Wiens, die Organisationen, die den ganzen Tag über ihre Dialogmodelle präsentiert hatten, und – ungeachtet aller Kritik, die in österreichischen Blättern referiert worden war – sogar die Medien, die “die Wahrheit zu allen Gläubigen” bringen würden. Der Aussenminister Saudi-Arabiens, Prinz Saud Al-Faisal Bin Abdulaziz Al-Saud, pries Wien als historischen “Schnittpunkt verschiedener intellektueller und kultureller Ausrichtungen”. Im Herzen Europas gelegen, biete sich kein besserer Ort für den Dialog der Kulturen und Religionen als eben Wien, sagte der saudische Prinz. Er versäumte aber nicht zu erwähnen, dass die Initiative ihren Ausgang in Mekka nahm, dem Herz der islamischen Welt. König Abdullah habe diese Initiative unternommen “für die Liebe zwischen den Menschen”. So sei das Zentrum eine Chance “für den Dialog unter den himmlischen Religionen und den Kulturen”. Die Verschiedenheit der Werte habe zu Kriegen und Terrorismus geführt. Weil man auf die religiösen Werte vergass, sei es zur Gewalt gekommen. Es gehe bei der Gründung also darum, sich auf die Werte der Menschheit zu besinnen: auf Gerechtigkeit, Toleranz und Respekt.

Die Aussenminister Spaniens und Österreichs, José Manuel García-Margallo und Michael Spindelegger, betonten die Notwendigkeit des Dialogs und die Herausforderungen friedlicher Koexistenz. Kurienkardinal Jean-Louis Tauran ging als Vertreter des Heiligen Stuhls, der offiziellen Beobachterstatus beim neuen Zentrum hat, auf die Notwendigkeit der Religionsfreiheit “in allen ihren Aspekten, für jedermann und überall” ein. Angesichts der bekannten Fakten war es unnötig, Saudi-Arabien namentlich zu erwähnen, als Tauran die besondere Aufmerksamkeit des Heiligen Stuhls für jene Länder ansprach, in denen das Recht auf Religionsfreiheit nicht gewährleistet ist. Noch eine Anspielung auf die zweifelhafte Rolle des wahabitischen Saudi-Arabien gestattete sich Kardinal Tauran: Das neue Zentrum solle das Wissen der Religionsgemeinschaften übereinander vertiefen und dazu beitragen, die Wege der Menschen in Freiheit und Frieden zu gestalten. Der Präsident des Päpstlichen Rates für den Interreligiösen Dialog appellierte ohne diplomatische Verschleierung an das KAICIID, die Gelegenheit für einen Dialog über die Fragen der Menschenrechte mit Ehrlichkeit, Vision und Glaubwürdigkeit zu nutzen.

Damit hatte der Kurienkardinal höflich intoniert, was nicht nur die Demonstranten von der “Initiative Liberaler Muslime” vor der Hofburg und viele Kommentare österreichischer Medien, sondern auch manchen unter den Gästen der Eröffnungsfeier umtrieb: Wie kann ein von Saudi-Arabien initiiertes Dialogzentrum glaubwürdig für das Miteinander unterschiedlicher Religionen werben, wenn es in Saudi-Arabien weder Gewissens- noch Kultusfreiheit gibt, wenn Riad mit dem Wahabitismus eine besonders rigorose und intolerante Form des sunnitischen Islam exportiert? In dieser Schärfe wurde die Schlüsselfrage nach der Glaubwürdigkeit am Montagabend in der Hofburg weder gestellt noch beantwortet. Und doch schwang sie am Rande mit. Es sei doch unhöflich, meinte eine Armenierin aus dem Libanon gegenüber dem Autor, dass Österreichs Medien das Zentrum so scharf kritisieren und die Zustände in Saudi-Arabien gerade in diesen Tagen thematisieren. Österreich solle doch stolz sein, Gastgeber einer solchen Institution zu sein.

Das Zentrum sei “ein Persilschein für Saudi-Arabien”, hatte die grüne Abgeordnete Alev Korun geschimpft, auf die Verfolgung Andersgläubiger und auf die Ausbreitung wahabitischer Moscheen in Bosnien hingewiesen. Andere vermuten nicht nur saudische Imagepflege beziehungsweise ein tolerantes Feigenblatt für ein intolerantes System, sondern gar ein Zentrum der wahabitischen Propaganda oder Missionstätigkeit hinter der dialogbetonten Gründung.

Erwartungsgemäss fand der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki-Moon, in Wien nur freundliche Worte. Den Krisenherd Syrien und das Ringen um eine Zwei-Staaten-Lösung im Heiligen Land nannte er als Belege dafür, wie wichtig ein interkultureller und interreligiöser Dialog sei. “Die Religionsführer haben einen immensen Einfluss” und deshalb auch grosse Verantwortung, sagte der Koreaner an der UN-Spitze. Er unterstütze “die Vision von Religion als Ermöglicher des Respektes und der Versöhnung”. In der Vergangenheit hätten zu viele religiöse Führer Intoleranz, Extremismus und Hass gefördert. Der Präsident der “Islamischen Liga”, Abdullah Al Turki, versuchte eine Begründung des Dialogs aus islamischer Theologie: “Die himmlischen Botschaften wurden uns geschickt, um für Frieden und Recht zu sorgen.” Jede Zeit brauche Menschen, “die die Worte Gottes des Allmächtigen umsetzen können”. So habe “der Hüter der Heiligen Stätten” (gemeint ist König Abdullah als Patron von Mekka und Medina) erkannt, wie wichtig es ist, zu einem Dialog der Religionen zu führen, denn die Feindschaft vertiefe die Kluft zwischen den Menschen. Auch die Vision des KAICIID adaptierte Al Turki: Dieses Zentrum solle zu einem internationalen Gesetz führen, “das ein für allemal mit der Beleidigung der Religion ein Ende macht” und es solle “die islamischen und christlichen Werte” hochhalten.

Einen Appell, Probleme durch Eintracht statt durch Konflikte zu lösen, hielt der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel, Bartholomaios: „Gewalt bringt uns nie näher zu Gott, sondern rückt den Menschen vom Göttlichen weg.“ Deshalb müsse der religiös oder kulturell begründeten Gewalt ein Ende gesetzt werden: „Ein Krieg im Namen der Religion ist ein Krieg gegen die Religion!“ Frieden werde nie erreicht durch Dominanz und Herrschaft über andere, sondern indem jedem erlaubt werde, gemäß seinem Gewissen zu leben. Das Dialogzentrum sei ein Zeugnis vor der Welt. Nun gelte es, den interreligiösen Dialog von der Ebene der Religionsführer zu den Völkern und auf die Straßen zu tragen. Der Präsident der Europäischen Rabbiner-Vereinigung, Rabbi Pinchas Goldschmidt, sagte, religiöse Ideen hätten die Macht, aufzubauen oder zu zerstören. Darin sind sich die Vertreter des KAICIID und ihre schärfsten Kritiker wohl einig.

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