Bundestag berät Suizidbeihilfe

Aussprache über umstrittenen Regierungsentwurf in die Nacht gelegt

– Lebensrechtler demonstrieren vor Reichstag

Berlin, Die Tagespost, 28. November, von Stefan Rehder

Heute berät der Deutsche Bundestag in Erster Lesung den vom Kabinett Merkel verabschiedeten Entwurf eines “Gesetzes zur Strafbarkeit der gewerbsmässigen Förderung der Selbsttötung” (Bundestagsdrucksache 17/11126).

Für die Beratung der bei den Kirchen, der Bundesärztekammer sowie bei Suizidpräventionsforschern und Lebensrechtlern umstrittenen Gesetzesvorlage sieht die Tagesordnung der 211. Sitzung des Bundestags 30 Minuten vor. Wann die Beratung des Gesetzentwurfs beginnt, ist ungewiss. Klar ist nur: Sollte die Tagesordnung nicht noch kurzfristig geändert werden, werden die vorgesehenen Reden unter Ausschluss der Öffentlichkeit und ohne grosse Teile des Parlaments stattfinden.

Denn laut der auf der Internetseite des Bundestags veröffentlichten Tagesordnung wird das Parlament heute ab 10.00 Uhr morgens bis um 5.15 in der Nacht tagen. Dabei stehen 44 Tagesordnungspunkte auf dem Programm; bis Redaktionsschluss stand die Beratung des Entwurfs eines “Gesetzes zur Strafbarkeit der gewerbsmässigen Förderung der Selbsttötung” an vierzigster Stelle.

Lebensrechtler wollen sich mit dem offenkundigen Versuch der Bundesregierung, den umstrittenen Gesetzentwurf aus den Schlagzeilen zu halten, nicht abfinden. Für 12 Uhr Mittags kündigte die Initiative “Solidarität statt Selbsttötung” eine Demo vor dem Westeingang des Berliner Reichstagsgebäudes an. Die von dem Verein “Durchblick” initiierte und vom Bundesverband Lebensrecht (BVL) getragene Initiative will den “weder hinreichenden noch zielführenden Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Paragraf 217 StGB stoppen” und das “übereilte Gesetzgebungsverfahren” zu Fall bringen. An dessen Stelle müsse eine “breite öffentliche Diskussion sowie alternative Gesetzentwürfe treten”, fordert der Durchblick-Vorsitzende Thomas Schührer.

Eine “gesellschaftliche Debatte” über den von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) im Auftrag des Koalitionsausschusses erarbeiteten Gesetzentwurfs hatte zuvor auch der Deutsche Ethikrat als “dringend erforderlich” angemahnt. Nach Ansicht des Expertengremiums schaffe der Gesetzentwurf der Bundesregierung “mehr Probleme als Lösungen”. Durch die Beschränkung auf die gewerbsmässige Beihilfe zur Selbsttötung könnten “grössere Anreize für andere, im Gesetzentwurf nicht berücksichtigte Formen der organisierten Beihilfe” geschaffen werden, klagte das Gremium, das Bundesregierung und Parlament in bioethischen Fragen beraten soll.

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht die Aufnahme eines neuen Straftatbestands im Paragrafen 217 des Strafgesetzbuches vor. Absatz 1 soll künftig heissen: “Wer absichtlich und gewerbsmässig einem anderen die Gelegenheit zur Selbsttötung gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.” Neu aufgenommen werden soll auch der Absatz 2, der lautet: “Ein nicht gewerbsmässig handelnder Teilnehmer ist straffrei, wenn der in Absatz 1 genannte andere sein Angehöriger oder eine andere ihm nahestehende Person ist.” Laut dem Gesetzentwurf können solche “nahestehende Personen” sogar Ärzte und Pfleger sein. Die Absicht des Gesetzentwurfs, “nur gewerbsmässig handelnden” Suizidhelfern “das Handwerk zu legen” könne durch Gründung gemeinnütziger Sterbevereine “leicht umgangen werden”, kritisierte Schührer. Zudem öffne der Absatz 2 des Entwurfs eine “weitere Türe”. Nun dürften Verwandte oder nahestehende Personen, „die laut Entwurf auch der Hausarzt oder Pflegekräfte sein können, straffrei Mithilfe und Vermittlung selbst zu der nach Absatz 1 strafbaren gewerbsmässigen Sterbehilfe leisten”. Damit ebne der Gesetzentwurf dem “ärztlich assistierten Suizid” den Weg, was einem “Dammbruch in der Berufsethik der Ärzte” gleichkäme.

Die Initiative “Solidarität statt Selbsttötung” hatte deshalb Anfang der Woche an alle Abgeordneten des Bundestags sowie Kirchenvertreter und andere führende Persönlichkeiten des Landes sowie zahlreiche Pressevertreter eine selbst entworfene Arzneischachtel mit der Aufschrift “§ 217 forte – Die Todespille in der praktischen Mogelpackung” nebst Warnhinweis und “Beipackzettel” versandt. Darin heisst es: “Lesen Sie die gesamte Packungsbeilage sorgfältig durch, bevor Sie mit der Zustimmung zum § 217 StGB beginnen” und: “Zu den riesigen Nebenwirkungen lesen sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihr Gewissen oder den gesunden Menschenverstand.” Wie die “Tagespost“ erfuhr, weigerte sich jedoch die Poststelle des Bundestags am Montag zunächst, die Schachteln wegen “fehlender individualisierter Adressetiketten” auch zu verteilen. Nachdem die Lebensrechtler jede einzelne Schachtel nachträglich mit einem solchen Etikett versehen hatten, wurden diese gestern Nachmittag jedem Abgeordneten zugestellt.

Scharfe Kritik an der Gesetzesvorlage der Bundesregierung übte auch der Vorsitzende des BVL, Martin Lohmann. Der Journalist warnte am Dienstag vor einem Gesetz, “mit dem faktisch die organisierte Beihilfe zur Selbsttötung sowie die Werbung dafür erlaubt wäre und forderte, hier dürfe es “keine noch so geschickt verschleierte Erleichterung geben”. Würde der Gesetzentwurf Wirklichkeit, könne “jeder suizidgefährdete Mensch von professionellen, wenn auch nicht bezahlten Beihilfeangeboten umringt werden”. Dann drohe “ein breites öffentliches Angebot von privaten und organisierten Sterbehelfern gegen Spende oder Mitgliedsbeitrag”, so Lohmann.

Genau das ist aber offenbar beabsichtigt. Auf einem von der EKD in Berlin veranstalteten Gesprächsabend erklärte Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger vergangene Woche, die Politik müsse die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass die Gesellschaft für den Wunsch nach einem “würdevollen Sterben” durch Suizid – selbstverständlich fern der Kommerzialisierung – entsprechende “Angebote bereithalten” könne (DT, 22.11.).

Das sehen in der schwarz-gelben Koalition jedoch keineswegs alle so. So fordert inzwischen der Stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Johannes Singhammer (CSU), Änderungen an dem geplanten Gesetz. “Man kann schon jetzt absehen, dass das Gesetz in seiner jetzigen Form umgangen werden kann und wird”, zitierte die “Passauer Neue Presse” gestern den Gesundheitspolitiker. “Die beiden grossen Kirchen haben vorgeschlagen, die organisierte Sterbehilfe zu verbieten. Wir sollten dieses Modell genau prüfen”, so Singhammer. Allein die gewerbsmässige Sterbehilfe zu verbieten, reiche nicht aus. Der CSU-Fraktionsvize plädierte zudem dafür, den Abgeordneten bei der Entscheidung grösstmöglichen Spielraum zu lassen und den Fraktionszwang aufzuheben. “Es geht hier um eine wichtige ethische Frage. Bei diesem Thema eine Gewissensentscheidung zu leugnen ist schwierig.” Üblicherweise wird der Fraktionszwang nur aufgehoben, wenn Parlamentarier fraktionsübergreifende Anträge zur Lösung ein und derselben Problematik vorlegen. Zur Regelung der Suizidhilfe, fehlt einer solcher Entwurf aber bislang.

Unterdessen kritisierte die Bundesvorsitzende der Christdemokraten für das Leben, Mechthild Löhr, das “im wesentlichen von radikalen ,Humanisten‘ in der FDP propagierte Gesetz” gebe vor, “etwas zu verbieten, das in Deutschland gar nicht angeboten wird”. Wer hier professionelle, organisierte, oder private Suizidbeihilfe in Anspruch nehmen oder leisten wolle, “kann dies jederzeit straffrei tun, da Anstiftung und Beihilfe zur Selbsttötung leider generell erlaubt sind”. In der Öffentlichkeit sei dies kaum bekannt. „

“Gegenwärtig besonders aktive Anbieter organisierter Suizidhilfe” wie “SterbehilfeDeutschland”, “Dignitas” und die “Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben” seien inzwischen gemeinnützig und aktiv werbend auf Mitglieder- und Spendenbasis tätig” und würden von dem geplanten Gesetz nicht getroffen. “Sie können ihr Geschäftsmodell unbekümmert weiter ausbauen”, so Löhr.

Es geht um einen versteckten Schwindel

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