Ausstellung aus Anlass der Synodenversammlung
Umberto Utro (Vatikanische Museen) stellt die Objekte vor
Vatikanstadt, 9. Oktober 2012, ZENIT.org
Neuevangelisierung, ein Neuanfang unter dem Zeichen des Ursprungs des christlichen Glaubens. Das ist der Sinn der in der Vorhalle der Aula Paul VI. von den Vatikanischen Museen anlässlich der XIII. Ordentlichen Vollversammlung der Bischofssynode vorbereiteten Ausstellung. Drei Funde aus frühchristlicher Zeit werden die Arbeit der Synodenväter und der übrigen Teilnehmer an den Synodensitzungen begleiten. Die historisch und künstlerisch wertvollen Werke kommen aus den Katakomben und zeigen symbolische Darstellungen aus dem frühen Christentum. Sie wurden vom Museo Pio Cristiano ausgewählt, wo sie auch aufbewahrt werden.
Nachstehend gibt Umberto Utro eine kurze Beschreibung der ausgestellten Werke:
Die kleine Statue des Guten Hirten
Ende des 3. – Anfang des 4. Jh.s n. Chr. weisser Marmor 100x36x27 cm aus der Calixtus-Katakombe in Rom (vor 1764) Vatikanstadt, Vatikanische Museen, Museum Pio Cristianoinv. 28590 zum Schutz des Originals wird ein Abdruck aus Marmorharz der Statue ausgestellt
Die kleine Statue des Guten Hirten ist das berühmteste Stück aus der Sammlung von Funden der christlichen Antike, die in den Vatikanischen Museen aufbewahrt werden, und sie gehört zweifellos, tout court, zu den symbolträchtigen Darstellungen des frühen Christentums. Dieses prächtige Monument gehört zu einer Gruppe von Werken, die Papst Klemens XIII. (Rezzonico) (1758-1769) grosszügigerweise erwarb und die er der Sammlung frühchristlicher Kunst des Museums für frühchristliche Kunst in der Vatikanischen Apostolischen Bibliothek vermachte, die auf den weitsichtigen Wunsch von Papst Benedikt XIV. (1740-1758), dem Vorgänger von Klemens, gegründet worden war. Zu den Werken, die hier vor allem genannt werden müssen, gehört eine Reihe christlicher Sarkophage aus den ersten nachchristlichen Jahrhunderten, die mit Reliefs geschmückt sind. Sie kamen durch den Ankauf des Bildhauers Giuseppe Angelini (1735-1811) in die Bibliothek, den er auf dem Antiquitätenmarkt tätigte, der damals in Rom durch die Funde in den zwischen dem 16. und dem 17. Jahrhundert endeckten Katakomben eine Blütezeit erlebte.
Alle Kunstwerke, die im Museum eingegangen sind, wurden ordnungsgemäss restauriert und vervollständigt: die Frontalseiten der mit Bildern geschmückten Sarkophage wurden oft von den intakten Särgen abgetrennt, die – da nicht mit Reliefs versehen – als unnötig betrachtet wurden. So war es auch leichter, sie an den hohen Wänden des Museums zu befestigen. In einigen Fällen waren die “Restaurierungen” eigentlich vollkommene Neuüberarbeitungen, was so weit ging, dass die ursprünglichen Charakteristiken nicht mehr zu erkennen waren; ja, manchmal veränderte sich sogar das Aussehen der Kunstwerke, was auch ihre ursprüngliche Bestimmung entstellte, wie im Fall der Werke, von denen hier die Rede ist. Wenn man die Arbeitsweise Angelinis verstehen will, sollte man lesen, was er selber auf die Rechnungen geschrieben hat, die er zum Erhalt seiner Vergütung vorlegte: “Ein mir zugestelltes Basrelief-Fragment, das die Figur des Guten Hirten darstellt, wurde von mir restauriert […], und nachdem die Modelle gutgeheissen worden waren, wurden die Arbeiten am Marmor ausgeführt, der dabei auf eine kleine Figur von einer Grösse von 4 1/2 Zoll reduziert wurde. Für diese Arbeiten werden 100 Skudi geschuldet” (Vatikanisches Geheimarchiv, EDV-Archiv 309, Reg. 216 (Jahr 1764), S. 2).
Wie man also bei aufmerksamer Lektüre erkennen kann, war unser “Guter Hirt” in Wahrheit eigentlich keine Statue, sondern ein “Basrelief-Fragment”, dessen Form “auf eine kleine Figur reduziert wurde”, eine Rundplastik, die ca. einen Meter hoch war. Wenn man sich die Figur genauer ansieht und dabei das weglässt, was hinzugefügt wurde, kann man ihren zweidimensionalen Umriss bewundern, der ihrem Ursprung als “Basrelief” – oder genauer gesagt: Hochrelief – entspricht. Ähnliche Beispiele erlauben es uns heute, das ursprüngliche Aussehen des Fundstückes zu rekonstruieren, welches eben das Fragment eines monumentalen, wahrscheinlich strigilierten Sarkophags war.
Doch auch wenn die romantische Figur der Statue so aus unserer Vorstellung verschwunden ist, darf der ikonographische Wert dieses Kunstwerks auf gar keinen Fall geschmälert werden. Die Darstellung eines Hirten mit einem Schaf auf den Schultern, wie man es aus allgemeinen Schäferszenen kennt, war in der Kunst des Altertums ein oft verwendetes Motiv, das mit einer Vielzahl positiver Themen in Verbindung gebracht wurde, deren bedeutendstes die Philantropie (lateinisch: humanitas) zu sein scheint: so geleiteten der römische Gott Merkur, aber auch der Held Herkules, die Seelen der Verstorbenen ja auch tatsächlich ins Jenseits, indem sie sie auf ihren Schultern trugen, wie es eben ein Hirte mit seinen Schafen tut. Bilder von Schafträger-Hirten (griechisch: “die einen Widder tragen”) waren daher im römisch-griechischen Altertum häufige künstlerische Ausdrucksformen, verstanden als tugendhafte Personifizierungen der Güte gegenüber dem Menschengeschlecht. Die Christen der ersten Jahrhunderte fanden es ganz natürlich, diese künstlerischen Bilder zu benutzen, um dadurch einen neuen Inhalt zu vermitteln: die Offenbarung Jesu, des Guten (und schönen) Hirten, gemäss den Worten des Johannes.
Das im Evangelium verwendete Bild vom Hirten erinnert wiederum an eines der bedeutendsten Themen der jüdischen Bibelkultur. So gibt sich Gott selbst im Alten Testament seinem Volk als Hirte zu erkennen (vgl. Ez 34; Ps 23), und die Propheten verheissen, dass er seinem Volk einen Hirten seiner Wahl erwachsen lassen wird, der den bezeichnenden Namen David trägt, der das Königtum des Messias zum Ausdruck bringt: “Ich setze für sie einen einzigen Hirten ein, der sie auf die Weide führt, meinen Knecht David. Er wird sie weiden und er wird ihr Hirt sein. Ich selbst, der Herr, werde ihr Gott sein und mein Knecht David wird in ihrer Mitte der Fürst sein” (Ez 34, 23-24). Wenn sich Jesus als “Guter Hirt” definiert, macht er also seine messianische Identität und seine Gotteskindschaft geltend und gibt sich als derjenige zu erkennen, der das Volk dem Neuen Bund zuführt.
Die Kirchenväter greifen bei der Erklärung der tiefen Bedeutung dieses ausserordentlichen antiken Symbols, das wir schlicht den “Guten Hirten” nennen, vor allem auf Ausdrücke wie Abstieg und Aufstieg zurück, wie man von jenem “keuschen Hirten” ableiten kann, “der Schafherden weidet auf Berg und Tal” und als dessen Schüler sich Abercius in der berühmten Inschrift zu erkennen gibt.
Der Abstieg ins Tal wird so zum Symbol der Menschwerdung Jesu: “ein ausserordentlicher Abstieg, bedingt durch ein Übermass an Liebe zu den Menschen, um – wie es in dem geheimnisvollen Wort der Heiligen Schrift heisst -, die von den Bergen herabgestiegenen “verlorenen Schafe des Hauses Israel” zurückzuführen” (Origenes, Contra Coelsum, 4,17). Der Abstieg (griechisch: katàbasis) des Hirten wird zum Bild seiner kénosis, also seiner “Erniedrigung”, “Demütigung”: Er – so sagt Paulus – “war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern entäusserte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz” (Phil 2,6-8).
Wie Origenes im Orient, so greift auch Irenäus von Lyon (Ende des 2. Jahrhunderts) das synoptische Gleichnis vom “Guten Hirten”, also vom verlorenen Schaf wieder auf (vgl. Mt 18, 12-14; Lk 15,3-7). “Der Herr ist gekommen, um das Schaf zu suchen, das sich verirrt hat, und es ist der Mensch, der sich verirrt hatte” (Demonstratio apostolicae praedicationis, 33). Aber der “Abstieg” des göttlichen Hirten ist in seiner Menschwerdung auch der Abstieg in den Tod, die äusserste Vollendung seiner kénosis: das Gleichnis vom verlorenen Schaf wird also auch als “Gleichnis der Passion” verstanden (Pseudo-Cyprian, De centesima, 10), indem es darauf verweist, dass Christus, als er gestorben ist, “in die Tiefen der Erde hinabstieg, um dort das verlorene Schaf zu suchen” (Irenäus, Contra haereses, 3, 19, 3). Und doch ist es gerade Irenäus, der, ein Bild aus dem Hebräerbrief wiederaufgreifend (“er hat den erhabenen Hirten seiner Schafe von den Toten heraufgeführt”: 13,20), die reiche Symbolik des Hirten zur Vollendung bringt und seinen letztendlichen Aufstieg (griechisch: anábasis) herausstellt, sein Auferstehen von den Toten: “nachdem er für uns in die Tiefen der Erde hinabgestiegen ist, um dort das verlorene Schaf zu suchen […], steigt er in die Höhe empor, um Seinem Vater den so wiedergefundenen Menschen darzubringen und zu schenken” (Contra haereses, 3, 19, 3). Und Origenes schliesst: “Wegen eines einzigen Schafes, das sich verirrt hat, ist er auf die Erde herabgestiegen; er hat es gefunden; hat es auf seine Schultern genommen und in den Himmel zurückgebracht” (In Josue, 7, 16).
Das ist also der Bedeutungsreichtum, der sich hinter dem Hirten verbirgt, der ein Schaf auf den Schultern trägt. Und das ist auch der Grund, warum das heidnische Symbol der Menschenliebe so gut die Menschenliebe Gottes zum Ausdruck bringen konnte, die sich in Christus offenbart: “Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat” (Joh 3,16). Es ist also nicht wichtig zu klären, ob die Schafträger-Hirten, die uns durch einen kulturell und spirituell so bedeutenden Moment der Geschichte überliefert wurden, wie es das 3. Jahrhundert war, tatsächlich in einem christlichen Ambiente entstanden sind oder nicht: wenn wir uns von den biblischen und patristischen Schriften leiten lassen, können wir in jedem Fall, und ohne Furcht, zu irren, den wahren Hirten erkennen, von dem sie uns erzählen.
Manchmal ist diese Identifikation jedoch leichter, z. B. dort, wo die inzwischen idealisierte Gestalt des Hirten die Züge des Apollo angenommen hat, trügerischer Gott der Schönheit und der Wortgewandheit, der sich jedoch – wie in diesem Beispiel, das das berühmteste von allen ist -, dank der bereits gepriesenen Ausdrucksfreiheit, dazu anbietet, ein antikes biblisches Bild veranschaulichen soll, das sich auf den Messias bezieht: “Du bist der Schönste von allen Menschen, Anmut ist ausgegossen über deine Lippen; darum hat Gott dich für immer gesegnet” (Ps 45,3).
Sarkophagfront mit einer Darstellung des Guten Hirten und des Apostelkollegiums
ca. 375-400 n. Chr. cm 60 x 221 x 11 Coemeterium der heiligen Cyriaka (oder San Lorenzo?); anschliessend in der Basilika Sankt Laurentius vor den Mauern; dann in Santa Maria Nuova (S. Francesca Romana); ab 1757 im Museo Cristiano von Benedikt XIV.; seit 1854 im Museo Pio Cristiano Vatikanstadt, Vatikanische Museen, Museo Pio Cristiano Inv. 31534 (Ex 177)
Die grosse Sarkophagfront, erhalten ohne Deckel und die restlichen Sarkophagseiten, ist ganz mit Reliefs geschmückt: in der Mitte befindet sich eine Darstellung Jesu als “Guter Hirte” mit apollinischen Gesichtszügen und einem Heiligenschein. Er ist dabei, ein Lamm zu seiner Rechten zu streicheln. Rechts und links von ihm stehen jeweils sechs mit Tunika und Pallium bekleidete Männer in verschiedenen Haltungen: Es sind die Apostel, unter denen man die beiden Apostelfürsten Petrus und Paulus an ihren charakteristischen Gesichtszügen erkennt. Zu Füssen der Dargestellten befinden sich sechs Lämmer, einschliesslich des Lammes zur Rechten Christi. An beiden Seiten des Bildes kümmern sich in ländlicher Umgebung zwei andere Hirten (ohne charakteristische Gesichtszüge) um weitere Schafe.
Der Sarkophag ist ein wertvolles Beispiel für die römische Kunst unter Kaiser Theodosius (379-395). In dieser Zeit entstand eine ganze Reihe von auserlesenen Werken der Bildhauerkunst, die immer mehr darauf abzielte, das neue Bewusstsein der kirchlichen Gemeinschaft im Bild darzustellen: diese war nach der Konstantinischen Wende am Ende des Jahrhunderts, zum einzigen vom Staat anerkannten religiösen Bezugspunkts geworden (Edikt von Thessaloniki 380). So sind auf den Sarkophagvorderseiten immer häufiger Szenen zu finden, die Christus als König darstellen, der von Aposteln und Würdenträgern umgeben ist. Die eindringlichen Bilder der Maiestas Domini und der Traditio legis verbreiten sich immer mehr. Die in die dekorativen Teile eingelassenen biblischen Szenen mit Triumphcharakter werden grösser dargestellt: darunter zum Beispiel der Einzug in Jerusalem, Jesus vor Pilatus (als Christus sich als wahrer König offenbart), die Heilung des Lahmen am Teich Betesda (mit Christus als Thaumaturg in der Mitte) oder der eindrucksvolle Durchzug durch das Rote Meer (mit Mose als Vorläufer für Christus, den Führer und Retter des neuen Volkes).
Doch abgesehen von dem sozialen Träger, ist es das immer tiefer und systematischer werdende theologische Denken der Gemeinschaft selbst, das in den von ihrem Ambiente gefertigten Kunstwerken zum Ausdruck kommt. So kann diese Sarkophagfront auch als eine in Bildern verfasste Abhandlung der Christologie und Ekklesiologie des späten IV. Jahrhunderts gesehen werden, die wir hier kurz darstellen wollen.
Zunächst zur Gestalt des Hirten: Schon zwischen der Mitte des III. Jahrhunderts und Anfang des IV. Jahrhunderts bevölkerten Hirtenszenen sowie das schon von den Heiden verwendete Bild des Hirten criòforo (“der ein Schaf trägt”) die christlichen Sarkophagfronten, um die Gestalt des Guten Hirten (vgl. Joh 10,11) aus dem Evangelium darzustellen – in einem überraschend natürlichen interkulturellen Übergang vom Heidentum ins Christentum. Die Ausdrucksfreiheit nach der Konstantinischen Wende hatte zum allmählichen Verschwinden des Bildes geführt. Man bevorzugte jetzt ausdrücklich Szenen mit den Wundern Christi, die die rettende Macht des Erlösers besser zum Ausdruck brachten. Im vorliegenden Fall dagegen kehrt die Darstellung Christi als Guter Hirte zurück in den Mittelpunkt der Darstellung. Seine göttliche Natur offenbart sich in seinen Gesichtszügen, die dem trügerischen Gott der Schönheit und Redegewandtheit entlehnt sind, und in dem runden Heiligenschein, der gerade in jenen Jahren aus der heidnischen Ikonographie übernommen wurde. Die Figur des Hirten muss aber verstanden werden in Bezug auf das ihn umgebende Apostelkollegium. Es handelt sich dabei um eine überraschende ikonographische Zusammenstellung: Die Zwölf tragen der Tradition entsprechend prunkvolle Gewänder und sind mit der Geste der Akklamation oder adlocutio dargestellt oder einfach mit einer Schriftrolle in der Hand. So zeigen sie sich als discipuli, die mit ihrem magister einen Dialog führen. Aber gerade hierin liegt das Überraschende: Während der Meister auf anderen Sarkophagdarstellungen normalerweise ein ebenso vornehmes und faltenreiches Gewand trägt, ist er hier in der Bekleidung eines einfachen Hirten dargestellt, mit der kurzen Tunika und einem Umhang über der Schulter. Zudem streichelt er das erste der zwölf Lämmer, die zu Füssen der Apostel dargestellt sind: Es handelt sich bei ihnen um nichts anderes als die Darstellung der Apostel selbst, in einer der wahrscheinlich am weitesten verbreiteten “zoomorphen Ersetzungen” der frühchristlichen Kunst, die biblische Gestalten symbolisch als Tiere darstellen (man denke an Jesus als Fisch oder Lamm; an die Apostel als Lämmer oder in anderen Fällen als Tauben, etc.). Gewöhnlich wendet sich die Reihe der Lämmer/Apostel allerdings einem Lamm, Christus, in der Mitte zu, das, so wie in vielen bekannten Bildern, auf dem Berg der Geheimen Offenbarung dargestellt ist.
Auf unserem Sarkophag hat man also zwei unterschiedliche ikonographische Typologien miteinander verschmolzen: das Apostelkollegium, bei dem ein Philosoph als Lehrer den Vorsitz führt, und die Lämmer/Apostel, die sich dem Lamm/Christus zuwenden. Das begriffliche Bindeglied dieser einzigartigen Doppelkomposition liegt in der Gestalt im Zentrum: die johanneische Theologie des Guten Hirten, Grundlage eines grossen Teils des christologischen Denkens im frühen Christentum, verbindet sich hier mit einer ekklesiologischen Überlegung zum Apostelkollegium und dem pastoralen Dienst in der christlichen Gemeinde im späten IV. Jahrhundert: Die Apostel haben die Aufgabe, die ihnen vom Herrn anvertraute Herde zu weiden (vgl. 1 Petr 5,2), indem sie die Gläubigen in der Wahrheit seines Evangeliums unterrichten. Zugleich aber ist es wahr, dass dieses pastorale munus abgeleitet ist aus der Bestimmung Jesu selbst, des “obersten Hirten” (1 Petr 5,4), des Guten Hirten, der im Zentrum, das heisst als Haupt, dieses Kollegiums dargestellt ist. In diesem Zusammenhang kann man in der Geste der Zärtlichkeit, die Jesus dem Lamm (das Petrus entspricht) zu seiner Rechten erweist, ein Echo der Worte des Auferstandenen zu ihm sehen: “Weide meine Lämmer!” (Joh 21,15-17). Auf Petrus, den Führer der Apostel – als den ihn das Evangelium an mehreren Stellen zeigt und wie es auch die Ikongraphie unterstreicht, indem sie ihn als ersten zur Rechten Christi darstellt – wird ausdrücklich hingewiesen als Lamm/Hirte der anderen Lämmer/Hirten, seiner Gefährten. Es ist nicht weit hergeholt hierin einen Bezug zur immer klarer festgelegten hierarchischen Struktur der Kirche in dieser Zeit zu sehen und zu einem Bewusstsein vom Vorrang des “Apostolischen Stuhles” von Rom, das gerade von den beiden Päpsten der zweiten Hälfte des IV. Jahrhunderts unterstützt wurde, von Damasus (366-384) und Siricius (384-399).
Man beachte schliesslich auch die Gegenwart des heiligen Paulus auf der linken Seite Christi, der in der Ikonographie mittlerweile den Verräter-Apostel abgelöst und sich im kirchlichen Bildgedächtnis gegenüber dem Matthias aus der Apostelgeschichte durchgesetzt hatte (vgl. Apg 1,26). So wurde er in den bildlichen Darstellungen definitiv zur symmetrischen Entsprechung des heiligen Petrus, wie dies schon in den Szenen der Maiestas und der Traditio der Fall gewesen war (so sollte der apostolische Ursprung der Kirche Roms, Ort des Martyriums der beiden Apostel, bekräftigt werden, aber ebenso die Einheit der westlichen und östlichen Seele der Christenheit).
Die Hirten, die an beiden Enden der Sarkophagfront die Schafe streicheln, schliessen die Darstellung ab (auch als ikonographisches Pendant zu Christus/zum Hirten in der Mitte) und sind zugleich der letzte Interpretationsschlüssel für die beiden Apostelreihen: diese sind in der Tat “gesandt” ( wie ihr Name sagt), sein Volk liebevoll zu weiden. Sie hören von ihrem grossen “Hirten” die Aufforderung, die den Schluss des Matthäusevangeliums bildet: “Die elf Jünger gingen nach Galiläa auf den Berg, den Jesus ihnen genannt hatte. Und als sie Jesus sahen, fielen sie vor ihm nieder. […] Da trat Jesus auf sie zu und sagte zu ihnen: Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf der Erde. Darum geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt” (Mt 28,16-20).
Sarkophagfragment mit der Darstellung Christi und der Evangelisten in einem Boot
ca. 325-350 n. Chr. weißer Marmor 20 x 46 x 7,5 cm
unbekannte Herkunft; in der Folgezeit in Spoleto, Ortsteil Apostoli, wiederverwendet als Wandelement; erworben durch G. B. De Rossi und schliesslich im Jahr 1931 dem Museo Pio Cristiano vermacht durch Natalia Ferraioli de Rossi Vatikanstadt, Vatikanische Museen, Museo Pio Cristiano Inventarnummer 31594
Dieses kleine, von einem Sarkophagdeckel vom Anfang des 4. Jahrhunderts stammende Fragment ordnet sich ein in die grosse Reihe von Seedarstellungen der antiken griechisch-römischen Kunst, die zur Dekoration von Sarkophagen sehr beliebt waren. Man kann ein Schiff mit schlankem Bug und niedrigem Schiffskörper erkennen, das von einem Steuermann mit üppiger Mähne und prächtigem Gewand gelenkt wird, während drei nur mit Lendenschurz bekleidete Ruderer seine Befehle ausführen. Das Boot gleitet über ein von starken Wellen bewegtes Meer, während zur Rechten gerade noch ein kleiner Rest des Unterbaus eines Leuchtturms zu sehen ist. Inschriften, die in der Art von Bildunterschriften neben den Gestalten angebracht sind, klären über deren Identität auf: der Steuermann auf der rechten Seite ist Iesus Christus – seine Identität konnte bereits aus der Ikonographie der apollinischen Gesichtszüge erahnt werden, auch wenn sie teilweise beschädigt sind – die Ruderer hingegen stellen, von links nach rechts gehend, Marcus, Lucas und [Io]hannes dar, die Namen von drei Evangelisten, die logischerweise jenseits der Bruchstelle auf die Präsenz des vierten Evangelisten, nämlich Matthäus, schliessen lassen.
Die generische Schiffsdarstellung, die auf zahlreichen antiken Sarkophagen und Inschriften erscheint, erhält folglich auf diesem Fragment ihre wahrste Identität: sie verkörpert in der Tat die Kirche, die, ganz wie das Schiff in der Episode von der Stillung des Seesturms (vgl. Mt 8,23-27 und Parallelstellen), “auf dem Meer der Welt von den Wogen der Verfolgungen und der Versuchungen hin- und hergeworfen wird, während der Herr in seiner Geduld zu schlafen scheint, bis zum letzten Augenblick, in dem er, da er durch die Gebete der Heiligen geweckt wird, die Welt bezähmt und den Seinen den Frieden wiedergibt” (Tertullian, De Baptismo, 12,8). Der Verfasser der Pseudo-Klementinen bekräftigt am Anfang seiner Homiliae, und zwar im Brief an Jakobus (1,14), dass “der gesamte Leib der Kirche einem grossen Schiff ähnelt, das während eines gewaltigen Sturmes Männer befördert, die aus weiter Ferne kommen.” Er präzisiert auch, dass Christus der Steuermann dieses Schiffes ist – gerade so, wie wir es gut auf unserem Fragment sehen können -, der Bischof sitzt im Ausguck, während die Diakone, die Priester und Katechisten die Ruderer sind. Auch Hippolyt von Rom greift (in De antichristo, 59) diesselbe Analogie wieder auf, indem er unterstreicht, dass “das Meer für die Welt steht, die Kirche, gleich einem Schiff, von den Strömungen hin- und hergeworfen, aber nicht überwältigt wird, da sie einen erfahrenen Steuermann an Bord hat, nämlich Christus”, während “sie als Steuerruder die beiden Testamente hat.”
Andere Väter betonen die Bedeutung der unterschiedlichen Teile dieses Schiffes, wobei sie sich vor allem auf den Hauptmast beziehen, der durch seine Form das Kreuz symbolisiert; es ist uns allerdings wichtig, den von Hippolyt vorgeschlagenen Bezug auf die Heilige Schrift und die Bedeutung, die Klemens im Hinblick auf die Zusammensetzung der Schiffsbesatzung den Katchisten beimisst, zu unterstreichen: in der Tat unterweisen Letztere die Gläubigen im Glauben, vor allem über die Heilige Schrift und die Evangelien, und sie sind die wahren Protagonisten der Ausbreitung und des Verständnisses der “Frohen Botschaft” des Heils. Die Evangelisten, die das von Christus gesteuerte Boot antreiben, können gar nicht anders als sich auf die Einladung beziehen, die Jesus am Ende der biblischen Erzählung an die Seinen richtet: “Geht hinaus in die ganze Welt, und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen! Wer glaubt und sich taufen lässt, wird gerettet” (Mk 16,15); “Darum geht zu allen Völkern, und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes” (Mt 28, 19).
Das von den Evangelisten angetriebene und von Christus zum Hafen des Heils geleitete Schiff stellt schliesslich auch ein wirksames Bild der unaufhaltsamen Verbreitung der christlichen Botschaft dar (auf Griechisch: des ng1033 kérygma), jenes euanghélion, der Frohen Botschaft, die, wenn sie angenommen wird, zum Heile führt (durch die Taufe als Zugang zum neuen Leben), und die sich, dank der engmaschigen Verbreitung der Evangelientexte gerade über die Seewege an allen Ufern der antiken Welt ausgebreitet hat.
Umberto Utro Vatikanische Museen
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