So bitte nicht!

Wüste Attacke gegen Lebensschützer

Ein Offener Brief an Sibylle Berg als Antwort auf deren “Spiegel online”-Kolumne “Gebärt doch, ihr Bratzen”. Von Stefan Rehder

Tagespost, 18. Juli 2012

Liebe Frau Sibylle!

Ich gestehe: Bis vor kurzem waren Sie mir kein Begriff. Was selbstverständlich nicht Ihre Schuld ist, sondern ganz allein meine. Was können Sie dafür, dass ich Ihre Kolumnen, die Sie unter der Rubrik “Fragen Sie Frau Sibylle” seit einiger Zeit auf “Spiegel-Online” veröffentlichen, bisher links habe liegen lassen? Was dafür, dass ich mich der Edelfeder, die Sie offensichtlich zu führen in der Lage sind, nicht schon früher zugewandt habe? Zum eigenen Nutzen und Frommen.

Ach, die freie Zeit ist knapp. Und immer wieder stellt man mit Entsetzen fest, dass man sie noch gewinnbringender einsetzen kann, als es – allen Mühen zum Trotz – bislang der Fall ist. Nun aber, da Sie mich gewissermassen zwangen, mich mit Ihren Texten auseinanderzusetzen, haben Sie, liebe Frau Sibylle, einen weiteren Leser hinzugewonnen. Insofern fühle ich mich Ihnen durchaus zu Dank verpflichtet!

Dabei hätte ich es allerdings begrüsst, wenn der Anlass, mich mit Ihrem überwiegend beeindruckenden Werk auseinanderzusetzen, ein halbwegs erfreulicher gewesen wäre. Dass er es nicht ist, dies aber, liebe Frau Sibylle, ist nun ausnahmsweise nicht meine, sondern allein Ihre Schuld.

Denn unter der Überschrift “Gebärt doch, ihr Bratzen!” fallen Sie über Lebensrechtler her, wie die Erinyen über den Muttermörder Orestes. Was haben Ihnen diese Menschen angetan, dass Sie ihnen öffentlich “riesengrosse Kuhfladen auf den Kopf und Räder an die Füsse genagelt” wünschen? Oh, ich sehe Sie vor mir, liebe Frau Sibylle, mit Schlangen in den Haaren, giftiger Geifer aus Ihren Augen tropfend. Wer oder was hat Sie derart verletzt, dass Sie sich wie die Megäre unter den Erinyen gebärden und in Ihrem Furor nicht einmal die Kinder der Lebensrechtler ausnehmen, die Sie als “Biester” titulieren?

Nehmen Sie es mir, liebe Frau Sibylle, bitte nicht übel, aber die Einzige, die sich nach gewissenhafter Lektüre Ihres Textes als “Biest” erweist, sind Sie selbst. Falls Sie einen Beleg für diese Behauptung benötigen, reicht Ihnen dieser sicher aus: “Gebärt doch, ihr Bratzen! Lasst Kinder aus euch rausflutschen, dass es nur so kracht. Und ihr, ihr seltsam gelben Männer, befruchtet eure lebenserzeugenden Frauen, oder lasst sie befruchten, wenn eure Glieder zu nichts Aufrechtem mehr taugen. Aber tut es doch einfach still, und lasst andere Menschen mit eurem Hobby in Ruhe.”

Lebensrechtler, liebe Frau Sibylle, sind weder die Gebärmaschinen noch die impotenten Greise, als die Sie sie hinstellen. Und schon gar nicht betrachten sie Kinder als “Hobby”. Lebensrechtler sehen in Kindern – den bereits geborenen wie den noch ungeborenen – Menschen. Menschen, die sich selbst gehören und die nicht Eigentum eines Anderen sind, auch nicht das ihrer Eltern. Menschen, die keinen Zwecken dienen müssen und die – genauso wie Sie und ich – das Recht besitzen, von Anderen nicht getötet zu werden.

Leider ist unser Staat nicht bereit, das Recht dieser Menschen, nicht getötet zu werden, wirksam zu schützen, wie mehr als hunderttausend vorgeburtliche Kindestötungen jedes Jahr unmissverständlich belegen. Und dies, obwohl der Schutz von Leib und Leben der eigentliche Grund für die Bildung von Staaten war und demzufolge bis auf den heutigen Tag die erste und wichtigste aller staatlicher Aufgaben darstellt.

Es erstaunt mich, dass jemand wie Sie, liebe Frau Sibylle, den seine übrigen Texte als intelligenten Menschen ausweisen, kein Problem damit zu haben scheint, dass unser Staat diese Aufgabe sträflich vernachlässigt, schreiben Sie doch: “Ist es wirklich so schlimm, nicht geboren zu werden? Es kann sich ja sowieso niemand an die Zeit vor seiner Geburt erinnern?”

Ihrer “Logik” folgend, könnte man, liebe Frau Sibylle, auch fragen, ob “es wirklich so schlimm” wäre, Sie oder mich zu töten? Und falls die Fähigkeit zur Erinnerung hier etwas zur Sache tut; können Sie mit Gewissheit behaupten, dass Sie und ich mich nach unserem Tod an das Leben erinnern werden, dass wir bis dahin gelebt haben werden?

Wie auch immer. Lebensrechtler haben ein Problem damit, dass unser Staat den Schutz von Leib und Leben bislang nur geborenen Menschen wie Ihnen und mir garantiert, aber Ungeborene – die Menschenrechte und unsere eigene Verfassung dabei mit Füssen tretend – davon ausnimmt. Und sie bringen dieses Problem zur Sprache. Unter anderen mit einer friedlichen Demonstration, bei der sie – einmal im Jahr (!) – schweigend durch die Strassen unserer Bundeshauptstadt ziehen. Der nächste “Marsch für das Leben” findet übrigens am 22. September statt.

Bei diesen friedlichen Demonstrationen werden Lebensrechtler – wie nun auch in Ihrem Text – regelmässig verhöhnt und beschimpft. Manche wurden auch bereits bespuckt und mit Farbbeuteln beworfen. Einigen wurden mitgeführte weisse Kreuze – Symbole für den gewaltsamen Tod, den die wehrlosen Kinder im Mutterleib erleiden – gewaltsam entwendet. Trotz dieser erstaunlichen Umgangsformen, die vermutlich noch ganz andere Formen annähmen, wenn die Berliner Polizei, die den Marsch begleitet, nicht einen derart guten Job machte, hat – soweit ich das überblicke – noch kein Lebensrechtler den Gegendemonstranten das Recht bestritten, ihre gegenteiligen Ansichten öffentlich kundzutun.

Auch Sie, liebe Frau Sibylle, nehmen dieses Recht für sich in Anspruch, etwa wenn Sie schreiben: “Lasst andere die Pille nehmen, abtreiben, nicht gebären, es ist doch nicht euer verdammtes Problem. Es gibt keinen vernünftigen Grund, die Erde weiter zu bevölkern, es gibt kein Grundrecht auf Lebensherstellung.”

Ich bin, liebe Frau Sibylle, da ganz anderer Meinung. Da die ungeborenen Kinder, ähnlich wie politische Gefangene in vielen Staaten dieser Welt, keine Möglichkeit haben, ihre Rechte zu verteidigen, braucht es Menschen, die ihnen ihre Stimme leihen und ihr Problem zu ihrem machen.

Es steht Ihnen, liebe Frau Sibylle, selbstverständlich frei, sich damit nicht belasten zu wollen. Ja, es steht Ihnen sogar frei, ein “Klappe halten und andere mit liebevoller Nachsicht zu behandeln” als “Höchstform menschliches Daseins” anzupreisen. Mehr noch, ich würde mich jederzeit dafür einsetzen, dass Ihnen niemand das Recht streitig macht, sich so zu äussern und das, obgleich Sie selbst weder die “Klappe halten”, noch Lebensrechtlern mit “liebevoller Nachsicht” begegnen.

Beides ist, liebe Frau Sibylle, auch gar nicht nötig. Nötig ist nur, dass Sie, wenn Sie schon nicht das Lebensrecht ungeborener Kinder anerkennen wollen, zumindest niemandem das Recht bestreiten, dies anders als Sie sehen und artikulieren zu dürfen. Ob wir uns, liebe Frau Sibylle, wohl darauf einigen könnten?

Kultur: Das Recht zur Abtreibung
“DieGefahr der Verluderung”

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