Wie katholisch sind Schweizer Pfarrblätter?

 In der Schweiz ist eine Debatte um die Katholizität von Pfarrblättern entstanden

Churer Bistumssprecher: Wenn es Blätter gibt, die sich katholisch nennen und nicht mit der kirchlichen Lehre übereinstimmen, hat der Bischof die Pflicht, dem Kirchenvolk gegenüber klarzustellen, dass er dafür nicht verantwortlich ist

Chur, kath.net/PM, 23. Mai 2012

In der Schweiz ist eine Debatte um die Katholizität von Pfarrblättern entstanden. Giuseppe Gracia, Sprecher des Churer Bischofs Vitus Huonder, hatte in einem Communiqué vom 26. April klar gestellt, dass die von staatskirchenrechtlichen Institutionen herausgegebenen Pfarrblätter “nicht Bestandteil einer kirchlich approbierten Verkündigung” seien, und dies “ungeachtet der Tatsache, dass einige sich im Titel ‘katholisch’ nennen. Die meisten verstehen sich als freie Informations- und Dialogplattform.”

Gracias Stellungnahme “Das Bistum Chur und die Pfarrblätter” habe sich, wie die Agentur Kipa berichtet, unausgesprochen auf das Zürcher Pfarrbeiblatt “Forum” und auf das “Pfarreiblatt Urschweiz” bezogen, die sich wiederholt kritisch über Bischof Huonder geäussert haben.

Der Beginn des Statements Gracias lautet: “Aufgrund wiederholter Beschwerden von Gläubigen, die gegenüber dem Bischof von Chur Pfarrblatt-Artikel beanstanden, ist folgendes festzuhalten: Kein kantonales oder überregionales Pfarrblatt, das im Bistum Chur erscheint, arbeitet im Auftrag des Bischofs oder in Anbindung an die Bistumsleitung.
Herausgegeben werden solche Pfarrblätter von zivilrechtlich organisierten Vereinen oder Stiftungen, die in eigener Verantwortung handeln. Finanziert werden Pfarrblätter im wesentlichen von der kantonalen staatskirchenrechtlichen Körperschaft (Landeskirche) oder von Kirchgemeinden, d.h. durch staatskirchenrechtliche Körperschaften, die im eigenen Namen handeln.

Demnach sind Pfarrblätter nicht Bestandteil einer kirchlich approbierten Verkündigung, ungeachtet der Tatsache, dass einige sich im Titel ‘katholisch’ nennen. Die meisten verstehen sich als freie Informations- und Dialogplattform. Sie arbeiten mit einem Selbstverständnis, wie es auch bei einem säkularen, pluralistischen Medium vorkommt. Dagegen wäre ein Pfarrblatt aus Sicht der Kirchenleitung als Instrument römisch-katholischer Verkündigung zu verstehen.”

Gegen diese Sichtweise hat die Medienkommission der Schweizer Bischofskonferenz protestiert. “Nicht akzeptabel ist aus unserer Sicht, dass Sie den Pfarrblättern die Kirchlichkeit absprechen”, schreibt die Kommission in einem privaten Schreiben an Gracia, wie die Agentur Kipa berichtet. Mit dem Einverständnis von Abt Martin Werlen von Einsiedeln wolle ihm die Kommission ihre Einwände “bezüglich des von Ihnen vertretenen Verständnisses kirchlicher Medien zukommen zu lassen”.

Die Pfarrblätter seien “kirchliche Publikationen”, weil in deren Aufsichtsgremien Vertreter des Klerus oder der zuständigen Bistumsleitungen sässen. “Alle hier Verantwortlichen sind Getaufte!” Ein einzelner Kommunikationsbeauftragter dürfe sich zudem nicht anmassen, über die “Katholizität kirchlicher Einrichtungen zu urteilen.” Das Vorgehen Gracias fördere die Polarisierung und schade der Schweizer Kirche. Die Pastoralinstruktion “Communio et Progressio” von 1971 fordere die Freiheit des Gesprächs in der Kirche, die auch gerade in kirchlichen Medien gegeben sein solle.

Auf diesen Brief hat nun Giuseppe Gracia – ausdrücklich “im Sinn von Bischof Vitus” – geantwortet: Wenn es Pfarrblätter gibt, die nicht die Lehre der Kirche wiedergeben, habe der Bischof die Pflicht, dem Kirchenvolk gegenüber klarzustellen, dass er dafür nicht verantwortlich ist. “Zahlreiche positive Rückmeldungen haben uns inzwischen bestätigt, dass es notwendig und richtig war darüber zu informieren, dass unsere Pfarrblätter unabhängig von Lehramt und Bischof agieren und Reklamationen an die Adresse der Trägervereine oder Finanzgeber gehören.” Abschliessend stellt Gracia die grundsätzliche Frage, wie eine “Meinungsplattform, die im Lehramt bzw. in der Hierarchie keine normative Grösse anerkennt, überhaupt verlässlich die Aufgabe der Verkündigung wahrnehmen” könne.

Der Brief Gracias an den Präsidenten der Medienkommission der Schweizer Bischofskonferenz im Wortlaut:

“Sehr geehrter Herr Kolly,

Für Ihren Brief vom 14. Mai danke ich und antworte Ihnen im Sinn von Bischof Vitus. In der Weise, wie Sie auch das Communique vom 26. April (Das.Bistum Chur und die Pfarrbätter)  verstehen dürfen: nicht als Meinung eines “einzelnen Kommunikationsbeauftragten”, sondern als bischöfliche Stellungnahme.

Die von Ihnen angeführte Kirchlichkeit oder Katholizität des einzelnen Gläubigen ist eine personale Glaubensfrage, die zu keinem Zeitpunkt Gegenstand unserer Aussagen war. Vielmehr ging es generell um Pfarrblätter und die Frage, inwiefern sich diese katholisch nennen dürfen.

Es sind keine “kirchlichen Einrichtungen”, sondern unabhängige Vereine und Stiftungen. Wenn wir ihre Namensgebung hinterfragen, stützen wir uns auf das Konzilsdokument Inter Mirifica, das unter Nr. 14 eine “katholische Presse” definiert, die “diesen Namen wirklich verdient”. Demgemäss hat eine solche Presse “öffentliche Meinungen zu bilden, zu festigen und zu fördern, die mit dem Naturrecht und den katholischen Lehren und Grundsätzen übereinstimmen.”

Etwas später (20): Es ist “Sache der Bischöfe”, Unternehmungen dieser Art “zu koordinieren.” In der “Instruktion über einige Aspekte des Gebrauchs der sozialen Kommunikationsmittel” der Glaubenskongregation (1992) heisst es, die Hirten hätten das Recht und die Pflicht zu verlangen, “dass von Gläubigen herauszugebende Schriften, die den Glauben oder die Sitten berühren, ihrem Urteil unterworfen werden.” (1.2).

Unter 3.15 heisst es über Herausgeber, die von katholischen Institutionen abhängen, ihre Tätigkeit müsse “in Übereinstimmung mit der Lehre der Kirche” erfolgen, unter Berücksichtigung des “besonderen Bandes, das sie mit der kirchlichen Autorität verbindet”.

Damit im Einklang sagt das Kircherecht: “Kein Verein darf sich ohne die Zustimmung der gemäss can. 312 zuständigen kirchlichen Autorität die Bezeichnung katholisch zulegen” (Can. 300). Oder: “Um die Unversehrtheit der Glaubenswahrheiten und der Sittenlehre zu bewahren, ist es Pflicht und Recht der Hirten der Kirche, darüber zu wachen, dass nicht durch Schriften oder den Gebrauch der sozialen Kommunikationsmittel Glaube oder Sitten der Gläubigen Schaden nehmen; ebenso haben sie zu verlangen, dass von Gläubigen herauszugebende Schriften, die den Glauben oder die Sitten berühren, ihrem Urteil unterworfen werden; schliesslich haben sie Schriften zurückzuweisen, die dem rechten Glauben oder den Sitten schaden” (Can. 823, § 1).

Im Geist dieser Dokumente scheinen Pfarrblätter nicht vorgesehen, die sich katholisch nennen und dabei unabhängig vom Bischof handeln bzw. deren Inhalte nicht mit der kirchlichen Lehre übereinstimmen.

Wenn es solche Blätter dennoch gibt, hat der Bischof die Pflicht, dem Kirchenvolk gegenüber klarzustellen, dass er dafür nicht verantwortlich ist.

Die von Ihnen verteidigte Meinungs- und Redefreiheit des einzelnen Gläubigen war ebenfalls nicht Gegenstand unserer Kritik. Hier gilt es zu unterscheiden zwischen dem Handeln eines Organs, das “katholisch” im Titel trägt und die weltkirchlichen Kriterien erfüllen muss, und dem öffentlichen Sprechen des einzelnen Gläubigen in persönlicher Verantwortung.

Unterscheidet man diese Ebenen, zeigt sich: wenn “Communio et Progressio” von den Katholiken spricht, welche “wirklich die Freiheit der Meinungsäusserung besitzen”, dann ist damit nicht die Freiheit einer als Gesamtheit verstandenen Publikation gemeint, die sich katholisch nennt und doch unabhängig von Hierarchie und Lehramt agiert.
Dies stünde im Widerspruch zu den genannten Dokumenten. Vielmehr geht es um die persönliche Freiheit des Einzelnen. Und selbst in diesem Bereich postuliert das Dokument keine unbegrenzte Freiheit, sondern hält fest, dass sie ein Recht wie eine Pflicht sei, “solange sie (die Katholiken) treu zum Lehramt der Kirche stehen” (117).

Was im übrigen die real existierenden Möglichkeiten für “Begegnung und Gedankenaustausch” in unserer Mediengesellschaft betrifft, erachten wir diese heute als sehr hoch, vor allem aufgrund von Internet und Social Media, welche eine Fülle an interaktiven Gelegenheiten zum Dialog bieten. Wir sehen nicht, dass diese Freiheiten in irgendeiner Weise geschmälert werden von der Frage nach Ausrichtung oder Namensgebung der Pfarrblätter.

Betreffend die Kritik an redaktionellen Inhalten gehen wir mit Ihnen einig: es soll im konkreten Fall das Gespräch mit den Zuständigen gesucht werden.
Freilich ging es hier nicht um die Kritik eines bestimmten Artikels. Vielmehr um eine seit Jahren bestehende Verwirrung unter den Gläubigen, d.h. um ein klärendes Wort gegenüber dem Kirchenvolk, das wiederum nur öffentlich erfolgen konnte.

Zahlreiche positive Rückmeldungen haben uns inzwischen bestätigt, dass es notwendig und richtig war darüber zu informieren, dass unsere Pfarrblätter unabhängig von Lehramt und Bischof agieren und Reklamationen an die Adresse der Trägervereine oder Finanzgeber gehören.

Im Rahmen dieser Zeilen ergreifen wir jetzt aber gern die Gelegenheit für eine inhaltliche Kritik. Wir setzen ein Fragezeichen hinter den “professionellen Journalismus”, welchen Sie unseren Pfarrblättern zugestehen, wobei sie “in kritischer Solidarität” mit uns verbunden seien. Meist erleben wir das Gegenteil.
Ein echter Journalismus würde sich zuerst einmal darin zeigen, dass die kritisierte Seite ebenso zu Wort kommt wie die Kritiker, was in der Regel nicht geschieht. In vielen Beiträgen findet eine blosse Ein-Weg-Kritik in Richtung Hierarchie und Lehramt statt.

Darüber hinaus erscheint kaum je eine Kritik des Zeitgeistes aus der Sicht des Glaubens, mit dem nötigen Mut, auch einmal gegen den Mainstream zu argumentieren.
Noch weniger eine kritische Stimme zur Trägerschaft bzw. zu den Geldgebern dieser Blätter (Landeskirche, Kirchgemeinde). Gewisse Probleme, die dort vorhanden wären (Kirchensteuer-System, zu hohe Funktionärslöhne etc.) werden nur gerechtfertigt oder ganz verschwiegen.
So entpuppen sich die Pfarrblätter als Sprachrohr ihrer Trägerschaft, abhängig und unkritisch, sobald es nicht mehr um Lehramt und Hierarchie geht.

Erlauben Sie noch ein Wort zur Überzeugung, dass katholische Medien grundsätzlich ein Ort der Meinungsfreiheit sein sollen, dass sie den gesamtgesellschaftlichen Pluralismus in der Kirche noch einmal spiegel sollen (in der Praxis konzentriert sich das auf die Reibungsfläche zwischen katholischer Lehre und aktueller Mehrheitenkultur).
Wir fragen uns: wie kann eine Meinungsplattform, die im Lehramt bzw. in der Hierarchie keine normative Grösse anerkennt, überhaupt verlässlich die Aufgabe der Verkündigung wahrnehmen? Woher nimmt sie ihre eigentliche Bezugsgrösse, wenn es um die Vermittlung von Glaubenswissen geht, das heute auch in der Kirche stetig abnimmt?

Kommen Menschen näher an die Grundeinsichten des Glaubens heran, wenn man ihnen öffentlich zeigt, dass über diese Grundeinsichten viele divergierende Meinungen existieren? Wäre es nicht wichtiger, am Diskurs der Moderne mit einer geniun katholischen Stimme teilzunehmen, damit unsere Glaubensperspektive im Gesamtkonzert der Gesellschaft überhaupt wahrgenommen wird?
Tun wir den Menschen Gutes, wenn wir uns auf Meinungsplattformen abstützen, die vom Lehramt losgelöst sind, statt auf eine mediengerechte Vermittlung des überlieferten Glaubensgutes? Sollten wir auf dem heutigen massenmedialen Areopag nicht vor allem die Essentials unseres Glaubens vermitteln und etwa den Zeitgeist in diesem Licht beleuchten bzw. die Weltdeutungen des Mainstreams, der oft unhinterfragt bleibt?

Sollen wir den Menschen nicht eine Interpretation der Zeit anbieten, die ihnen nur der katholische Glaube bieten kann?
Wir jedenfalls halten diese Fragen für wichtig und hoffen, dass es auch die Medienkommission begrüsst, ihnen nachzugehen und über eine zeitgemässe Ausrichtung katholischer Medien zu reflektieren – als Teil einer Neu-Evangelisierung Europas, wie sie auch der Papst anregt.

Mit freundlichen Grüssen Giuseppe Gracia im Auftrag von Bischof Vitus Huonder

Communio.et.Progressio: Pastoralinstruktion zur Sozialen Kommunikation
Vatikan: Inter-mirifica
Instruktion über einige Aspekte des Gebrauchs der sozialen Kommunikationsmittel bei der Förderung der Glaubenslehre
Schreiben der Medienkommission
Antwort des Bistums

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