Kardinal Koch und Kardinal Brandmüller im Widerspruch?
Welchen Verbindlichkeitsgrad haben die Texte des II. Vatikanischen Konzils?
Eine entscheidende Frage. Wie Medien Kardinäle gegeneinander ausspielen wollen: ‚Divide et impera’? Von Armin Schwibach
Rom, kath.net/as, 23. Mai 2012
Die Diskussion um die bevorstehende Einigung mit der Priesterbruderschaft St. Pius X. (FSSPX) treibt seltsame Blüten, dies gerade im Hinblick auf die Interpretation der Texte des II. Vatikanischen Konzil. So geschah es in den vergangenen Tagen, dass Medien zwei entscheidende Kurienkardinäle und Spezialisten in der Sache gegeneinander ausspielen wollten: eine völlig an den Haaren herbeigezogenen Situation einer veröffentlichten Meinung ohne Grundlage.
Das Spiel fing an, nachdem der Präsident des Päpstlichen Rats zur Förderung der Einheit der Christen, Kurt Kardinal Koch, am 16. Mai in der Päpstlichen Universität des heiligen Thomas (Angelicum) im Zentrum “Johannes Paul II.” eine Vorlesung mit dem Titel “Building on ‚Nostra aetate – 50 Years of Christian-Jewish Dialogue” gehalten hatte. Alle Anfragen in der anschliessenden Pressekonferenz bezogen sich dann aber ausschliesslich auf die FSSPX und deren Behandlung in der Glaubenskongregation: handelte es sich bei dem Tag doch um jene lang erwaretet “feria quarta”, an der die Versammlung der Kongregation über die von der FSSPX gelieferten Dokumente und die mögliche kommende Einigung beraten hatte.
Kardinal Koch erklärte vor den Medien diesbezüglich nur, dass die Gespräche im Gange seien und er sich dazu nicht äussern werde, bis die Entscheidung Papst Benedikts XVI. gefällt sei. Gleichzeitig bekundete der Kardinal seine Überraschung darüber, dass fünfzig Jahre Dialog mit dem Judentum derart auf die Priesterbruderschaft St. Pius X. fixiert würden.
Journalisten konstruierten aus diesen Aussagen das Gegenteil. Laut wurde verkündet, dass sich Kardinal Koch als erster nach der Vollversammlung der Glaubenskongregation über die Einigung mit den Piusbrüdern geäussert habe, was nicht der Wahrheit entspricht, denn: Koch hat sich geweigert, dazu Stellung zu nehmen.
Kardinal Koch erklärte des weiteren, dass das II. Vatikanische Konzil mit all seinen Texten für einen Katholiken bindend sei, woraus für die Journalisten eine “zwingende Verbindlichkeit” wurde. Im Sinne der von Papst Benedikt XVI. eingeforderten Hermeneutik des Konzils in Kontinuität mit der Tradition unterstrich Koch, es sei wichtig zu betonen, dass es das Lehramt sei, das die authentischen Interpretationen hinsichtlich der katholischen Lehre festlege und auf eventuell offene Fragen antworte. Mit seiner Ansprache vom 22. Dezember 2005 an die Römische Kurie habe Benedikt XVI. einen “Schlüssel zur Interpretation der Konzilstexte geliefert: “Reform in Kontinuität” gegen “Bruchhermeneutik”.
Am 22. Mai fand dann in Rom die Vorstellung des Buchs “Le chiavi di Benedetto XVI per interpretare il Vaticano II” (Die Schlüssel Benedikts XVI. zur Interpretation des Zweiten Vatikanischen Konzils) statt.
Das Werk wurde von Walter Kardinal Brandmüller gemeinsam mit Kurienerzbischof Agostino Marchetto und dem italienischen Theologen und Liturgiker Prälat Nicola Bux verfasst. Bei der Präsentation des Buchs ging Brandmüller auf den unterschiedlichen Verbindlichkeitsgrad der Konzilstexte ein. Es gebe einen grossen Unterschied zwischen einer Konstitution und einfachen Erklärungen, wie etwa jene über die christliche Erziehung, die Massenmedien oder auch “Nostra aetate”. Die für die FSSPX “kontroversesten Dokumente” wie eben über die Religionsfreiheit und die Beziehungen zu den anderen Religionen hätten keinen bindenden lehrhaften Inhalt, so Brandmüller, wie dies bei dogmatischen Konstitutionen der Fall sei. Somit könnten sie auch weiter diskutiert werden. Seltsamerweise hätten die beiden umstrittensten Texte, nämlich “Nostra Aetate” und “Dignitatis Humanae”, nach der Einschätzung des Kirchenrechtlers Klaus Mörsdorf keinen lehrmässig bindenden Inhalt. Das heisse aber nicht, so der Kardinal, dass man sie nicht ernst nehmen müsse: sie seien Ausdruck des lebendigen Lehramts, ohne aber die ganze Kirche binden zu wollen.
Die Wortmeldung Brandmüllers wurde in den Medien sofort als Gegensatz zu den Worten von Kardinal Koch dargestellt. Dies jedoch entspricht nicht der Wirklichkeit. Auf die Frage, ob er sich im Widerspruch mit den Äusserungen Kardinal Kochs sehe, erklärte Brandmüller, dass davon keine Rede sein könne. Es sei völlig richtig, wenn Koch sage, dass ein Katholik die Dekrete eines Allgemeinen Konzils anzunehmen habe. Das schliesse jedoch nicht aus, “dass es Dekrete mit unterschiedlicher Verbindlichkeit gibt”. Auch bestehe ein “Freiraum für das theologische Gespräch über das richtige Verständnis der Konzilstexte”: “Wo also bleibt der Widerspruch?”
Es stellt sich die Frage: aus welchem Grund soll von verschiedenen und sich auf den Antipoden befindenden Seiten ein Keil zwischen zwei Kardinäle getrieben werden, die beide zu den Speerspitzen des Reformwerks Benedikts XVI. gehören und massgebliche Beiträge für die Reflexion über das II. Vatikanische Konzil gerade auch im Rahmen des bevorstehenden “Jahres des Glaubens” geben können und werden? “Divide et impera” scheint das Motto zu sein. Cui bono?
Schreibe einen Kommentar