Menschliches Drama
Der umstrittene Bischof Vitus Huonder ist viel differenzierter als seine Kritiker
Die Weltwoche, 8. März 2012, Peter Keller
Der Empörungscocktail war schnell angerührt. Es reicht schon, mit dem Finger auf die grösste Reizfigur des Landes zu zeigen. “Bischof Huonder kennt für Menschen in zweiter Ehe keine Gnade”, fasst der Tages-Anzeiger den neuen Hirtenbrief des Churer Bischofs zusammen.
Konkret dürften wiederverheiratete Geschiedene keine Kommunion empfangen. Das ist nicht nett – aber katholisch. Es handelt sich aber keineswegs um einen einzelnen, verirrten Bischof, wie die Titelzeile suggeriert der hier seine persönliche Meinung verbreitet. Vielmehr folgt Huonder den (schon längst bekannten) Vorgaben seiner Kirche, und diese bezieht sich auf die Bibel: auf Matthäus (“Was Gott zusammengeführt hat, soll der Mensch nicht scheiden” und auf die Zehn Gebote (“Du sollst nicht ehebrechen”).
Eine Kirche muss nicht immer verständnisvoll sein. Sie kann durchaus auch Grenzen setzen, Gehorsam verlangen und Verzicht einfordern. Damit stellt sich Rom heute in der westlichen Welt ins Abseits. Das war nicht immer so. Eine Schwulenehe war beispielsweise vor wenigen Jahrzehnten noch völlig inakzeptabel – heute muss sich die Kirche rechtfertigen, wenn sie die Ehe Mann und Frau vorbehalten sieht.
In der Minderheit
In den letzten Jahren ist die Scheidungsquote markant gestiegen. Von 15,4 Prozent (1970) über 33,2 Prozent (1990) auf 54,4 Prozent (2010). Das ist eine gesellschaftliche Realität. Man könnte auch sagen, dass sich die katholische Kirche in dieser Frage in die Minderheit manövrierte, indem sie sich selber treu blieb. Kann man ihr deswegen einen Vorwurf machen? Eine Kirche hat sich nicht an wechselnden Mehrheiten zu orientieren, sondern an ihren Prinzipien.
Man sollte die katholische Kirche nicht am falschen Ort verteidigen. Das akute Bashing jedoch missachtet einfachste Regeln der Fairness. Huonders Hirtenbrief ist wesentlich differenzierter als seine Kritiker. Jede Ehescheidung sei ein menschliches Drama, hält der Bischof fest und ruft seine Seelsorger zu “besonderem Feingefühl” mit den Betroffenen auf. Gleichwohl hält er an der christlichen Auffassung der Ehe fest. Das ist sein Recht – und seine Pflicht.
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