Israels neue Katholiken

Filipinos, Inder oder Christen aus der früheren Sowjetunion

Israels katholische Kirche erhält Zuwachs aus der ganzen Welt

Tel Aviv/Jaffa, Die Tagespost, 5. März 2012, von Oliver Maksan

“Markus, Lukas, Mati, Jochanan”, kräht ein Chor kleiner Filipinos artig auf Hebräisch, als sie Pater David Neuhaus nach den vier Evangelisten fragt.

Der israelische Jesuit, Sohn nach Südafrika ausgewanderter deutscher Juden, hält in Tel Aviv eine Religionsstunde für Erstkommunionkinder. Er ist Koordinator für die Migrantenseelsorge in Israel. Mit den zehntausenden Filipinos, die seit Mitte der neunziger Jahre in den jüdischen Staat kamen – derzeit wird ihre Zahl auf etwa 40 000 geschätzt –, kam auch ihr katholischer Glaube. Eine Herausforderung für die römisch-katholische Kirche vor Ort, die es bis dahin kaum mit nicht-arabischen Katholiken zu tun gehabt hatte. Ab etwa 2005 klopften auch viele Lateinamerikaner und katholische Inder an. Doch noch immer bilden die Filipinos die grösste katholische Migrantengruppe. Sie kamen – und kommen – als billige und willige Kranken- und Altenpfleger, Kindermädchen und Hausangestellte vor allem in die stark bevölkerte Küstengegend um Tel Aviv und Haifa.

Etwa ein Viertel hält sich illegal im Land auf

Israelische Vermittler verdienen gut an den in der Regel auf fünf Jahre befristeten Aufenthalten. “Die Leute brauchen lange, um zurückzubezahlen, was es sie gekostet hat, hierherzukommen”, meint Pater Neuhaus. “Aber es scheint immer noch besser zu sein als in der fernen Heimat.” Trotzdem weiss der Priester von schlimmen Schicksalen zu berichten. “Manche werden wie Sklaven gehalten. Man nimmt ihnen den Pass weg und zwingt sie zur Arbeit. Aus Angst vor Abschiebung wehren sie sich oft nicht gegen ihre Behandlung.” Etwa ein Viertel hält sich illegal im Lande auf und will nicht auffallen. Auch sexuelle Übergriffe auf Mädchen und Frauen gibt es, die die Mehrheit der Einwanderer stellen. Pater Neuhaus vermittelt Betroffene an Hilfsorganisationen, die sich dem Rechtsbeistand für Einwanderer verpflichtet haben.

Doch der Pater ist nicht in erster Linie Sozialarbeiter, er ist vor allem Seelsorger für die vielhundertköpfige Gemeinde, die sich Samstag für Samstag in der Kapelle der Göttlichen Barmherzigkeit versammelt. Der Sabbat ist arbeitsfrei in Israel, das öffentliche Leben ruht. Der christliche Sonntag hingegen ist der erste Tag der bürgerlichen Woche. Die meisten Gläubigen besuchen deshalb die Vorabendmessen. Fünf Mal füllt sich die neonröhrenbeleuchtete Kapelle mit ihren vielleicht 150 Plastikstühlen dann. Es ist ein schäbiges Viertel nahe dem Busbahnhof Tel Avivs, wo das Gemeindezentrum in einem fensterlosen Keller liegt. Draussen türmt sich der Müll auf den löcherigen Gehsteigen, von dürren Katzen nach Essbarem durchwühlt. Die Mehrzahl der Bewohner der grauen Häuser sind Asylanten aus Eritrea, arme Teufel, die über die ägyptische Grenze ins Land kamen. “Es gibt hier im Viertel jede Menge Kirchen. Die meisten sind protestantische Gemeinden”, sagt Pater Neuhaus. Auch viele Filipinos haben sich auf der Suche nach einer religiösen und sozialen Heimat den Freikirchen angeschlossen. Um so wichtiger, dass die katholische Kirche sich der Einwanderer annimmt und Strukturen schafft.

Der Seelsorgestelle gehören einige philippinische Priester und Schwestern des heiligen Paul von Chartres an. Viele Einwanderer haben in Israel Kinder bekommen, die israelische Schulen besuchen und folglich ganz in die jüdische Mehrheitsgesellschaft und ihre Sprache integriert sind. Ihre Eltern sind des Hebräischen oft nicht mächtig. Die veränderlichen Teile der heiligen Messe wie Gebete und Lesungen werden deshalb – über ohrenbetäubende Lautsprecher – auf Englisch, die feststehenden auf Hebräisch vorgetragen.

Die wenigsten hebräischen Katholiken sind Konvertiten

Den Katechismusunterricht vor der Messe erteilt der Pater aber auf Hebräisch. 55 Kinder sind eingeschrieben. Eigene Religionsbücher haben sie in den letzten Jahren entwickelt, die die Kleinen an den katholischen Glauben heranführen und dessen Verbindung zum Glauben und den Festen ihrer jüdischen Umgebung aufzeigen sollen: eine doppelte Vermittlungsleistung, zu der die Eltern meist nicht fähig sind. Der Einfluss der Mehrheitsreligion auf die Kinder ist natürlich gross. “Eure Kinder kennen das Fasten von Yom Kippur her, dem jüdischen Versöhnungstag. Lasst es sie auch durch Euer Beispiel kennenlernen”, mahnt Pater Neuhaus die Eltern in seiner Predigt zum ersten Fastensonntag. Unterstützt wird er in der Katechese von Freiwilligen. Antonio, ein italienischer Literaturwissenschaftler, spielt Gitarre, Jose, ein spanischer Lehrer, leitet eine Gruppe.

Auch Dimitrij, ein in Russland geborener Ingenieur und schon dort zum katholischen Glauben Konvertierter, geht zur Hand. Er gehört zur winzigen Minderheit derjenigen, die als assimilierte Israelis dem Vikariat des Lateinischen Patriarchats für die hebräischsprachigen Katholiken unterstehen. Gerade 500 Menschen zählen dazu. Für sie ist ebenfalls Pater Neuhaus als Patriarchalvikar zuständig. Die wenigsten sind echte Konvertiten, die vom Judentum zum Katholizismus kamen. Die Mehrzahl besteht aus Einwanderern aus der ehemaligen Sowjetunion, die seit Beginn der neunziger Jahre nach Israel kamen. Weil sie nach dem israelischen Rückkehrgesetz als Juden gelten, wenn ihre Vorfahren jüdisch waren, hatten sie ein Recht auf Einwanderung in den Judenstaat.

Tatsächlich waren die wenigsten observant im Sinne der Halacha, des jüdischen Religionsgesetzes. Die meisten waren nach den vielen Jahren des Sowjetatheismus ohne Bekenntnis oder orthodoxe Christen geworden. Ein kleiner Teil von ihnen war aber auch katholischen Bekenntnisses. “Wir haben nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion alle gesucht”, erzählt Dimitrij. “Astrologie, Buddhismus, Sekten. Ich bin dann auf die katholische Kirche gestossen. Ich hätte natürlich russisch-orthodox werden können. Aber der Primat des Papstes hat mich überzeugt. Ohne den Papst in Rom gibt es keine Einheit.”

Zur Messe der hebräischen Katholiken in das St. Peterskloster der Franziskaner in der bezaubernden Altstadt von Jaffa kommen an diesem Samstag Abend etwa 40 Personen, Alte, Jugendliche, junge Familien. Messe und Predigt sind auf Hebräisch. Wären die Fenster der Kapelle offen, könnte man das bewegte Meer rauschen hören, das sich zu Füssen des Klosters insellos bis an den Horizont ausbreitet. Obwohl die Messbesucher alle israelische Bürger sind, wollen sie keine Bilder von sich in der Zeitung sehen. In vielen steckt noch die aus der Sowjetunion übernommene Furcht vor Öffentlichkeit. Manche fürchten die Reaktion ihrer jüdischen Mitbürger, denen das Christentum suspekt ist und die von ihrem Glauben nicht wissen. Da ist Nathan. Der Mann ist in Israel geboren wie seine Eltern. “Schon seitdem ich 16 war trug ich Jesus im Herzen.” Mit 25 liess er sich taufen. Seine Arbeitskollegen wissen nichts von seiner Konversion. Er trägt das nicht vor sich her. “Meine Familie hingegen ist sehr liberal. Sie hat das akzeptiert.” Mittlerweile erwägt er einen Eintritt in den Franziskanerorden. Doch da hat man Bedenken, dass der jüdischstämmige Katholik Akzeptanzprobleme bekommen könnte – bei den alteingesessenen arabischen Glaubensbrüdern. Israels neue Katholiken, mit oder ohne israelischem Pass: Sie haben es nicht leicht.

Israels hebräisch sprechende Katholiken

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