Eine Kardinalserhebung als Kontrapunkt

 Zwei neue Deutsche Kardinäle

Der Senat des Papstes ist italienischer geworden und umfasst mit Rainer Maria Woelki und Pater Karl Josef Becker zwei Deutsche mehr

Der Berliner Kardinal Rainer Maria Woelki mit seinen Eltern

Rom, Die Tagespost, von Guido Horst

Die Bronzestatue des sitzenden Petrus an der rechten Seite des Mittelschiffs des Petersdoms trug am Sonntag ein prächtiges, rot-golden leuchtendes Ornat und auf dem Haupt des thronenden Apostels mit der Schlüsselgewalt erhob sich eine Tiara. Denn es war das Hochfest der Kathedra Petri, als Benedikt XVI. vorgestern mit den 22 neuen Kardinälen der katholischen Kirche einen festlichen Dankgottesdienst über dem Grab des Fischers feierte.

Auch alle anderen Purpurträger waren dabei, die zum vierten ordentlichen Konsistorium Papst Benedikts nach Rom gekommen waren – oder dort bereits leben, weil sie wichtige Ämter in den vatikanischen Dikasterien bekleiden oder bekleidet haben.

Die Erhebung in den Kardinalsstand hatte am Tag zuvor stattgefunden. Und sie war weniger davon geprägt, dass der Papst Kirchenverantwortliche aus weit entfernten Regionen mit dem Purpur ausgezeichnet hätte. Kein Erzbischof aus Lateinamerika oder Afrika war unter den Erwählten, und mit dem Erzbischof von Hongkong war nur ein Asiat vertreten. Stattdessen waren es diesmal zahlreiche Erzbischöfe der römischen Kurie und unter ihnen zumeist Italiener, die bei einer liturgischen Feier im Petersdom das rote Birett, den Kardinalsring und eine Titelkirche in Rom zugewiesen erhielten. Der jüngste unter ihnen und seit Samstag der jüngste im “roten Senat” des Papstes überhaupt ist Erzbischof Rainer Maria Woelki aus Berlin.

Die feierliche Kardinalserhebung, zu der auch die “visite di calore”, die Gratulationsempfänge der Neuernannten in den Räumlichkeiten des Vatikans sowie zahlreiche Feiern in den diplomatischen Vertretungen der Herkunftsländer der Geehrten gehörten, war ein Kontrapunkt. Ein Kontrapunkt zu den eher unrühmlichen Ereignissen der vergangenen Wochen, mit denen der Vatikan wieder einmal in die Schlagzeilen geraten war. So verzichtete kaum eine Zeitung, kaum ein Fernsehkommentar auf den Hinweis, dass diesem Konsistorium eine Serie von Gerüchten und Spekulationen vorangegangen war, die auf vertraulichen Dokumenten und Schreiben basierten, die Vatikanprälaten an Journalisten weitergeleitet hatten.

So kam es, dass manche Sätze des Papstes vom vergangenen Samstag und Sonntag als indirekte Anspielung auf dieses unrühmliche Vorspiel gedeutet wurden. So, als er etwa in seiner Predigt am Sonntag zu den neuen Kardinälen sagte: “Die neue Würde, die euch verliehen wurde, möchte die Wertschätzung für eure treue Arbeit im Weinberg des Herrn bekunden, die Gemeinschaften und Nationen ehren, aus denen ihr kommt und deren würdige Vertreter ihr in der Kirche seid, euch mit neuen und wichtigeren kirchlichen Verantwortlichkeiten betrauen und euch schliesslich um eine noch grössere Verfügbarkeit für Christus und für die ganze christliche Gemeinschaft bitten.”

Oder als er in seiner Ansprache bei der Kardinalserhebung am Samstag Worte fand, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig liessen: “Den neuen Kardinälen ist der Dienst der Liebe aufgetragen: Liebe zu Gott, Liebe zu seiner Kirche, Liebe zu den Brüdern und Schwestern mit einer absoluten und bedingungslosen Hingabe, nötigenfalls bis zum Blutvergiessen, wie es die Formel zur Überreichung des Biretts ausdrückt und wie es die rote Farbe der Talare, die sie tragen, anzeigt. Ausserdem wird von ihnen verlangt, der Kirche mit Liebe und Kraft zu dienen, mit der Klarheit und der Weisheit der Lehrmeister, mit der Energie und der Stärke der Hirten, mit der Treue und dem Mut der Märtyrer. Es geht darum, herausragende Diener der Kirche zu sein, die in Petrus das sichtbare Fundament der Einheit findet.”

Am Ende dieser Ansprache erwähnte Papst Benedikt auch sich selbst – war doch im Zuge der Medienspekulationen wieder einmal das Gerede vom Rücktritt des Papstes hochgekocht und ist zudem sattsam bekannt, dass Benedikt XVI. an medialen Stürmen im Wasserglas, die den eigentlichen Auftrag der Kirche verdunkeln, stets besonders leidet. So schloss er seine Predigt mit dem Satz: “Und betet auch für mich, dass ich dem Volk Gottes immer das Zeugnis der sicheren Lehre geben und mit milder Festigkeit das Steuer der heiligen Kirche führen kann.” Das klingt nicht nach einem Papst, der sich demnächst in ein Kloster zurückzuziehen gedenkt.

“Würdige Vertreter”, “treue Arbeit”, “grössere Verfügbarkeit”, “Dienst der Liebe”, “Hingabe bis zum Blutvergiessen”, “Weisheit”, “Treue”, “Mut” – der Papst liess zur Kardinalserhebung also kaum ein Wort aus, das geeignet war, die Würde und Tragweite des Amtes zum Ausdruck zu bringen. Stellvertretend für die neuen Kardinäle versprach bei der Dankmesse am Sonntag der Präfekt der Missionskongregation “Propaganda Fide”, Fernando Filoni, der nach dem Wechsel vom Amts des Substituten im Staatssekretariat an die Spitze der “Propaganda Fide” nun selber mit dem Purpur ausgezeichnet worden war, dem Papst “erneuerte Treue” und “vollständige Verfügbarkeit”.

Die Deutschen, die nach dem Konsistorium dem nun in Rot gewandeten Erzbischof von Berlin gratulieren wollten, fanden ihn am Samstagnachmittag in der Synodenaula. Wenn man die “visite di calore” bei den neuen Kardinälen macht, öffnet der Vatikan alle seine Tore, die einzige Gelegenheit überhaupt, bei der man ohne Einladung oder Einlasskarten die Sperren der Schweizer Gardisten überwinden kann. Und die Menschen kamen in Massen. Wer in einen kleinen Wortwechsel mit den Gardisten geriet, weil sich die Besucherströme verhakten, erfuhr, dass diesmal der Andrang grösser war als beim letzten Konsistorium im November 2010. Die hohe Zahl der Italiener unter den Neuernannten mag dazu beigetragen haben.

Kardinal Woelki schüttelte geduldig die Hände, liess sich fotografieren, während der andere Deutsche, der den Purpur erhalten hatte, der Jesuit und Theologe Karl Josef Becker, sich während der Gratulationstour am Nachmittag eine Pause gönnte. Alle deutschen Kardinäle waren anwesend – es sind jetzt immerhin neun, auch wenn von ihnen niemand mehr ein Kurienamt in Rom bekleidet. Dafür aber erhielten die beiden neuen deutschen Kardinäle auch ihre Titelkirche in Rom, beide an der Peripherie der Stadt gelegen: Rainer Maria Woelki die dem heiligen Pfarrer von Ars geweihte Kirche “San Giovanni Maria Vianney” und Kardinal Karl Josef Becker die Kirche “San Giuliano Martire”. Zur “Kardinalsfamilie” von Erzbischof Woelki waren auch politische Gäste aus Berlin zum Konsistorium angereist. Unter ihnen war der Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit und als Vertreter weiterer Bundesländer, in die sich das Berliner Erzbistum erstreckt, die Brandenburger Kulturministerin Sabine Kunst und Mecklenburg-Vorpommerns Justizministerin Uta-Maria Kuder. Wie schon beim letzten Konsistorium, als der Münchener Erzbischof Reinhard Marx und der Kirchenhistoriker Walter Brandmüller den Purpur empfingen, sind die anschliessenden Empfänge für die Neuernannten meistens dann doch eine Gelegenheit, bei der nach den ernsten Worten des Papstes auch viel “politisch Korrektes” von sich gegeben wird. Am Samstag fanden diese Empfänge zunächst im Campo Santo Teutonico und am Abend dann in der deutschen Botschaft beim Heiligen Stuhl statt.

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, formulierte seine Freude und auch den “Respekt über den rasanten Aufstieg” Woelkis in den vergangenen Monaten. Seit dessen Amtsantritt in Berlin habe dieser “die Herzen der Gläubigen in der Hauptstadt erobert”, Woelki sei “mit Tatkraft und einer grossen Offenheit” an seine neue Aufgabe herangegangen. Der Jesuit Becker werde für seine langjährige wissenschaftliche Arbeit und Treue zur Kirche geehrt, meinte Zollitsch weiter. Die Auszeichnung sei auch eine grosse Freude für den Jesuitenorden.

Mancher erwartete mit Spannung die Ansprache von Bürgermeister Klaus Wowereit, und der gab sich sehr offen und dialogbereit. Wowereit erinnerte daran, dass das Erzbistum Berlin vor zwanzig Jahren noch seinen Sitz im Ostteil der Stadt, hinter der Mauer hatte: “Wir sind dankbar, dass die Kirche auch immer ein Ort war, wo Menschen jenseits des diktatorischen Systems Frieden schliessen konnten, wo sie Schutz gefunden haben. Ohne diese Schutzräume wäre die friedliche Revolution in der DDR durch die Bürgerinnen und Bürger nicht möglich gewesen.” Aber auch heute stelle Berlin eine besondere Herausforderung dar: “Kardinal Woelki wird in den letzten Monaten schon gemerkt haben: Ganz so schlimm ist es nicht im heidnischen Berlin. Sondern diese Stadt ist geprägt durch Vielfalt und durch unterschiedliche Religionen, aber durch Menschen, die ihren Glauben haben, die ihren Glauben auch praktizieren und leben.” Er freue sich, so Wowereit, dass der Berliner Erzbischof in seiner kurzen Amtszeit da “schon deutliche Signale ausgesendet” habe.

Auch der evangelische Landesbischof Markus Dröge und die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Berlins, Lala Süsskind, waren mit Woelki nach Rom gereist. Dröge meinte am Rande des Empfangs, als Kardinal solle “Bruder Woelki” den Papst “aus der Situation eines Landes der Reformation heraus beraten”. In Berlin würden die heutigen Herausforderungen an die Kirche am deutlichsten spürbar. Süsskind wertete die Einladung als Zeichen der guten Zusammenarbeit mit der katholischen Kirche in Berlin. Sie riet Woelki, im Erzbistum Berlin weiterzumachen wie bisher: “Er passt in unsere Stadt.”

In seiner Dankansprache in der deutschen Botschaft meinte Kardinal Woelki, vielleicht titele morgen die eine oder andere deutsche Zeitung: “Woelki – eine steile Karriere” oder “Woelki – jetzt hat er’s geschafft”. Aber das ginge am Wesen dessen, was ein Kardinal sein soll, vorbei. Als Kardinal müsse man bereit sein, “sich einzusetzen für die Mehrung des christlichen Glaubens, für den Frieden und die Ruhe des Volkes Gottes und für die Freiheit der Kirche – bis zum Vergiessen des Blutes”. Freiheit brauche dabei die Rückbindung an eine höhere Instanz. Nur wenn sie sich verantwortlich weiss einem höheren Gut, das es nur für alle gemeinsam gibt, dann entfaltet sie sich. Freiheit könne nicht in Beziehungslosigkeit gelebt werden, sondern muss auch immer die Mitmenschen im Blick haben. “Und dabei soll und werde ich doch bleiben, wofür ich nach Berlin gekommen bin: Erzbischof von Berlin – für die Berlinerinnen und Berliner. Wenn der Berliner Erzbischof jetzt Kardinal ist, dann ist das vor allem auch eine Auszeichnung für die Berlinerinnen und Berliner, für die deutsche Hauptstadt und für die Katholiken, die in der DDR ihren Glauben bekannt und von Christus Zeugnis gegeben haben.”

Aber so ganz konnte Kardinal Woelki auch an diesem Abend seine Herkunft nicht verleugnen: Als der offizielle Teil vorüber und das Buffet leergegessen war, gab es mit Klavierbegleitung zum Mitsingen für alle kölsche Karnevalslieder – und für Bürgermeister Wowereit einen Narren-Orden aus der Stadt am Rhein.

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