Zur Berufungsgeschichte Papst Benedikt XVI.
Ein Abschnitt aus der Lebensgeschichte Joseph Ratzingers
Ein Abschnitt aus der Lebensgeschichte Joseph Ratzingers. Zum 60. Jahrestag der Priesterweihe des Papstes.
Rom, kath.net/as, 27. Juni 2011, von Armin Schwibach
Im Jahr 1996 veröffentlichte der Journalist und Publizist Peter Seewald unter dem Titel “Salz der Erde. Christentum und katholische Kirche an der Jahrtausendwende” sein erstes Interviewbuch mit dem damaligen Präfekten der Kongregation für die Glaubenslehre Joseph Kardinal Ratzinger, das nach seinen Worten Anlass für die Wende in seinem Leben als Katholik gewesen ist. Das Buch liess und lässt einen Joseph Ratzinger sichtbar werden, der so ganz anders ist als das von den Mainstream-Medien zugewiesene und konstruierte Bild des “Panzerkardinals” oder ähnlicher Persiflagen. Es stellt somit einen unverzichtbaren Beitrag zum Verständnis der Gestalt und des Denkens Joseph Ratzingers dar.
Das Buch hebt mit dem Kapitel “Herkunft und Berufung” an. Anlässlich des 60. Priesterjubiläums, das Benedikt XVI. am kommenden 29. Juni begehen wird, veröffentlicht kath.net einen Abschnitt, in dem der künftige Papst den Weg zu seiner endgültigen Entscheidung beschreibt.
Aus: Joseph Kardinal Ratzinger, Salz der Erde. Christentum und katholische Kirche an der Jahrtausendwende. Ein Gespräch mit Peter Seewald, Stuttgart 1996, S. 43-4:
Wie kam es zu Ihrer Berufung? Wann haben Sie gewusst, was Ihre Bestimmung ist? Sie äusserten einmal: “Ich war überzeugt, ich selbst weiss nicht wie, dass Gott etwas von mir wollte, das nur erreicht werden konnte, indem ich Priester wurde.”
Es gibt da jedenfalls keinen blitzartigen Erleuchtungsaugenblick, in dem ich nun erkannt hätte, dass ich Priester werden soll. Es ist im Gegenteil langsam mit mir gewachsen und musste auch immer wieder neu bedacht und neu erworben werden. Ich könnte die Entscheidung auch nicht datieren. Aber das Gefühl, dass Gott mit jedem Menschen etwas vorhat, auch mit mir, das ist früh in mir deutlich geworden, dass eine Idee Gottes mit mir da ist, und allmählich ist mir klargeworden, dass das, was er vorhat, mit dem Priestertum zu tun hat.
Hatten Sie denn zu einem späteren Zeitpunkt so etwas wie Erleuchtungsmomente – oder Erleuchtung schlechthin?
Also Erleuchtung in dem klassischen Sinne, so halb mystisch oder wie, habe ich nicht gehabt. Ich bin ein ganz normaler Christenmensch. Aber in einem weitläufigeren Sinn gibt einem der Glaube natürlich ein Licht. Verbunden mit dem Denken, glaubt man, um mit Heidegger zu reden, doch auf die Lichtung durchzublicken aus den verschiedenen Holzwegen heraus.
Sie schrieben einmal: “Alles, was ist, ist geronnener Gedanke. Der Schöpfergeist ist der Ursprung und der tragende Grund aller Dinge. Alles, was ist, ist seinem Ursprung nach vernünftig, weil aus der schöpferischen Vernunft kommend.”
Diese Sätze sind eigentlich ein Versuch, das, was christliche Schöpfungslehre an Philosophie entwickelt hat und in sich enthält, zur Aussage zu bringen. Dass eben nichts nur einfach da ist, sondern was da ist, ist aufgrund einer schöpferischen Energie da, und die ist wiederum nicht irgendeine tote Energie, sondern ist Vernunft und Liebe – und insofern ist alles Geschaffene letztendlich vernünftig. Das ist, glaube ich, die christliche Schöpfungsphilosophie. Und geglaubt und bedacht gibt sie einem ein Licht, aber von “Erleuchtung” im geläufigen Sinn kann man da nicht reden.
Nachdem Sie sich für die Priesterschaft entschieden hatten – tauchten da irgendwann nicht auch gewisse Selbstzweifel, Anfechtungen oder Verführungen auf?
Das gab es schon. Gerade in den sechs Jahren Theologiestudium begegnet man so vielen menschlichen Problemen und Fragen. Ist der Zölibat das richtige für mich? Ist Pfarrer sein das richtige für mich? Das waren schon Fragen, mit denen fertig zu werden nicht immer einfach gewesen ist. Die Grundrichtung hatte ich immer vor mir, an Krisen hat es allerdings nicht gefehlt. Welche Krisen tauchten da auf? Können Sie uns hierfür ein Beispiel nennen? In den Jahren meines Münchener Theologiestudiums habe ich vor allem mit zwei Fragen ringen müssen. Ich war fasziniert von der wissenschaftlichen Theologie. Ich fand es wunderbar, in die grosse Welt der Geschichte des Glaubens einzudringen; weite Horizonte des Denkens und des Glaubens erschlossen sich mir, und ich lernte dabei, die Urfragen des Menschseins, meine eigenen Lebensfragen zu bedenken. Aber es wurde immer klarer, dass zum Priesterberuf mehr gehört als die Freude an der Theologie, ja, dass die Arbeit in der Pfarrei oft recht weit wegführen kann davon und ganz andere Anforderungen stellt. Ich konnte ja nicht Theologie studieren, um Professor zu werden, auch wenn dies mein stiller Wunsch war. Aber das Ja zum Priestertum bedeutete für mich, ja zu sagen zur ganzen Aufgabe, auch in ihren einfachsten Formen.
Da ich eher schüchtern und recht unpraktisch war, da ich weder sportlich noch organisatorisch oder administrativ begabt war, musste ich mich fragen, ob ich den Zugang zu den Menschen finden würde – ob ich zum Beispiel als Kaplan im Stande sein würde, katholische Jugend zu führen und zu inspirieren, ob ich zum Religionsunterricht für die Kleinen fähig sein würde, mit den Alten und Kranken umgehen könnte usw. Ich musste mich fragen, ob ich zu alledem ein Leben lang bereit sein würde und ob es wirklich meine Berufung sei.
Damit verband sich natürlich die Frage, ob ich ein Leben lang den Zölibat, die Ehelosigkeit, würde bestehen können. Da in der zerstörten Universität noch kein Platz für die Theologie war, lebten wir zwei Jahre lang im Schloss Fürstenried mit seinen Zubauten am Rand der Stadt. Da war die Lebensgemeinschaft nicht nur zwischen Professoren und Studenten, sondern auch zwischen Studenten und Studentinnen eng, so dass im täglichen Begegnen die Frage des Verzichts und seiner inneren Sinngebung durchaus praktisch war. Ich habe diese Fragen oft durch den schönen Park von Fürstenried und natürlich in die Kapelle getragen, bis ich schliesslich bei der Diakonatsweihe im Herbst 1950 ein überzeugtes Ja sagen konnte.
Quelle
SalzderErde
Do.CD
OffizielleKurzbiographie
AnsprachenundBeiträge von Kardinal Joseph Ratzinger
JoephRatzinger Papst Benedikt XVI.-Stiftung
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