Von der Isar an den Tiber

Ratzinger profilierte sich in Rom mit seiner theologischen Brillanz und den klaren Analysen

Sachverstand und Unabhängigkeit waren wohl auch ausschlaggebend für seine Wahl zum Papst.

Vatikanstadt, kath.net/KNA, 25.11.2011, von Johannes Schidelko KNA

Jahrhundertelang war die römische Kurie eine Domäne der Italiener. Erst Papst Paul VI. (1963-78) gab der kirchlichen Zentralverwaltung ein internationales Gesicht. Wie das Kardinalskollegium sollte auch der Vatikan immer mehr ein Spiegelbild der Weltkirche sein. Zunächst blieben deutschsprachige Kirchenführer bei der Besetzung kurialer Spitzenämter jedoch meist aussen vor – sieht man von den Kardinälen Augustin Bea (Ökumene-Sekretariat) oder Franz König (Sekretariat für die Nichtglaubenden) ab. So war die Ernennung des Münchener Erzbischofs Joseph Ratzinger zum Präfekten der Glaubenskongregation am 25. November 1981 eine Überraschung.

Ratzinger war nicht der erste Münchener Oberhirte, der nach Rom wechselte. Bereits 1855 wurde sein Vorgänger Kardinal Karl August von Reisach (1800-69) Unterrichtsminister im damals noch bestehenden Kirchenstaat. Als Ratzinger im März 1982 nach seiner Verabschiedung aus der Isar-Metropole am Tiber eintraf, traf er dort noch den aus Eichstätt stammenden Kurienkardinal Joseph Schröffer (1903-83), der viele Jahre Sekretär der Bildungskongregation war. Aber mit Ratzinger übernahm ein profilierter Theologe, zuvor Professor an fünf deutschen Hochschulen, die Leitung der wichtigsten vatikanischen Kongregation. Und neben dem Kardinalstaatssekretär wurde er zum bekanntesten und einflussreichsten Kurienkardinal.

Der Abschied von München sei ihm zunächst nicht leichtgefallen, gestand der damals 54-Jährige, der bereits wenige Wochen nach seiner Bischofsweihe 1977 ins Kardinalskollegium berufen worden war. Er habe seine Bischofsweihe auch als Zusage der Treue zu seiner Diözese verstanden, betonte er. Aber Johannes Paul II. habe sich bereits bald nach seiner Papstwahl vorgenommen, ihn als Präfekten der Glaubenskongregation nach Rom zu berufen, sagte er im Interview-Buch “Licht der Welt”.

Ratzinger sah sich in Rom vor einer Doppelaufgabe. Er sei einerseits Glaubenswächter, der die katholische Lehre erhalten, gegen Angriffe verteidigen und vor Verfälschung schützen müsse. Aber ein mindestens ebenso wichtiger Teil sei auch der “ständige theologische Austausch mit der ganzen theologischen Bewegung in der Weltkirche” – und damit “die Förderung des Dialogs und der Austausch mit der Einheit des Glaubens”, sagte er 1982 bei seiner ersten Begegnung mit Journalisten in Rom. Bereits zum Ende des Konzils (1962-65) war das Heilige Offizium von einem Tribunal zu einer Kongregation umgestaltet worden. Diese Änderung habe es ihm “wirklich gut ermöglicht, dieses Amt anzunehmen”. Zugleich arbeite die Kongregation “im Gefüge der Kollegialität”, in Zusammenarbeit mit den Bischofskonferenzen und den jeweiligen Bischöfen und Ordensoberen.

Zu den ersten grossen Themen des neuen Kurienkardinals gehörte die Diskussion um die Befreiungstheologie. 1984 und 1986 gab seine Kongregation zwei Dokumente heraus, in der sie sich hinter das theologische Anliegen einer “Option für die Armen” stellte, aber alle unkritischen Anleihen bei fremden Modellen, vor allem dem Marxismus, strikt ablehnte. Zu seinen ersten Aufgaben Ratzingers gehörte auch das Gespräch mit dem Traditionalisten-Oberen Erzbischof Marcel Lefebvre – das 1988 freilich mit einem Bruch endeten.

Als Präfekt der Glaubenskongregation übernahm Ratzinger auch die Leitung der Internationalen Theologenkommission und der Bibelkommission. Er reiste zu Vorträgen und Kongressen in alle Welt.

Der deutsche Kurienpräfekt blieb als Buchautor auch der theologischen Arbeit verbunden. Zudem stiess er mit seinen Interviewbänden “Zur Lage des Glaubens” oder “Salz der Erde” Diskussionen etwa zur Rezeption des Konzils, zum Zustand der nachkonziliaren Kirche oder zur Liturgiereform an. Sehr rasch profilierte sich Ratzinger mit seiner theologischen Brillanz und den klaren Analysen innerhalb der Kurie, ohne in irgendwelche Seilschaften eingebunden zu sein. Dieser Sachverstand und diese Unabhängigkeit waren sicher auch ausschlaggebend dafür, dass er am 19. April 2005 zum Papst gewählt wurde.

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