Zwischen bebenden tektonischen Platten

Multiplikatoren mit Missionseifer

Der Kongress des Päpstlichen Rates zur Förderung der Neuevangelisierung liefert Ideen und moralische Unterstützung

Rom, Die Tagespost, 17.10.2011, von Regina Einig

Glücklich werden hängt von der Lebenskunst des Menschen ab, die Lebenskunst wiederum von Glaube und Weisheit. Papst Benedikt XVI. hat beim Kongress für Neuevangelisierung am Wochenende in Rom daran erinnert, dass Christus der Weg zum Glück und zum Leben ist – ein Gedanke, der in der postsäkularen Gesellschaft nicht mehr ohne Weiteres verstanden wird. “Die Welt braucht Menschen, die mit Gott sprechen, um dann von ihm sprechen zu können”, sagte Benedikt XVI.

Mit einem “Jahr des Glaubens” will die katholische Kirche vom 11. Oktober an missionarische Akzente setzen und zugleich den 50. Jahrestag des Konzilsbeginns würdigen. Als Verkünder und Zeugen für andere sandte der Heilige Vater am Sonntag im Petersdom die 8 000 Gläubigen aus, die am zweitägigen Kongress des Päpstlichen Rates zur Förderung der Neuevangelisierung teilgenommen hatten. Der Kongress war die erste öffentliche Veranstaltung des 2010 gegründeten Dikasteriums. Die deutschsprachigen Katholiken waren unter anderem vertreten durch das Bonifatiuswerk, der Alphakurs, “Communio in Christo”, Totus Tuus, Jugend 2000, Nightfever, “Set Free”, die Loretto-Bewegung und das Schönstattwerk sowie Erzbischof Robert Zollitsch, Mitglied im Päpstlichen Rat zur Förderung der Neuevangelisierung. Verwunderung rief in Rom die Kritik des Bundes der katholischen Jugend hervor. Deren Bundespräses Simon Rapp hatte sich am Freitag darüber beschwert, dass keine Vertreter der deutschen Jugendverbände eingeladen worden seien, sondern ausschliesslich Jugendliche aus neuen geistlichen Gemeinschaften. Vom Kongressveranstalter war zu erfahren, dass die Teilnehmer aus Bewegungen und Gruppen stammten, die im ersten Jahr der Existenz des Päpstlichen Rates zur Förderung der Neuevangelisierung auf das Dikasterium zugegangen waren, um es kennenzulernen und ihm ihre Mitarbeit anzubieten. Der BDKJ war nicht darunter.

Wie Christen heute kreativ missionieren können, zeigte der Kongress an vielen Einzelmodellen. Am Samstag trafen sich dreihundert ausgewählte Vertreter in der Synodenaula zum Austausch. Als Säulen der Neuevangelisierung kristallisierten sich dabei heraus: Anbetung, Liturgie in den Pfarreien sowie die Pflege des geistlichen Lebens in der Familie. Catherine Wiley, irische Begründerin des Katholischen Grosselternverbandes, berichtete von der zehnjährigen Erfolgsgeschichte der Grosseltern-Enkel-Wallfahrten: “Seit fünf Jahren explodieren die Teilnehmerzahlen förmlich”, berichtete die aparte Frau im Gespräch mit dieser Zeitung. “Den Glauben an die Enkel weiterzugeben ist für Grosseltern eine ganz wichtige und möglicherweise die letzte Aufgabe in diesem Leben.” Ermutigt fühlte sich Frau Wiley, als der Papst ihre Bitte um ein selbstverfasstes Gebet für Grosseltern erfüllte, denn “heute brauchen viele Familien und Kinder die Hilfe ihrer Grosseltern, aber die Grosseltern brauchen den Rückhalt der Kirche.” Auch in den Vereinigten Staaten und in England pilgern mittlerweile Grosseltern gemeinsam mit ihren Enkeln. In Deutschland hat die Schönstattbewegung die Idee aufgegriffen.

Die Familie spielt auch im Konzept des Neokatechumenalen Wegs und der Schönstattbewegung eine zentrale Rolle. Die Eltern seien die ersten Glaubensverkünder der Kinder, unterstrich eine Madrider Schönstattfamilie. Kiko Argüello, Gründer des Neokatechumenalen Wegs, erinnerte daran, dass die meisten geistlichen Berufungen der Bewegung aus kinderreichen Familien stammten. “Worin besteht heute Christsein?” fragte Kiko und gab selbst die Antwort: “in der Gemeinschaft”. Für christliche Familien bedeute das, das Evangelium durch ihren Glauben an die Unauflöslichkeit der Ehe zu bezeugen.

Vor der Vereinzelung der Christen warnte die Gemeinschaft Sant’Egidio. Ihr Vertreter unterstrich die Verantwortung der Kirche für die Einwanderer. Viele brächten als unschätzbares Kapital einen lebendigen christlichen Glauben in säkularisierte Gesellschaften mit. Im Gastland sehen sie sich antireligiösen Einflüssen ausgesetzt. Die innere Emigration sich in ihrem Glauben unverstanden fühlender Einwanderer würde jedoch eine geistliche Verarmung aller bedeuten.

Welche Rolle den Pfarreien in diesem Zusammenhang zukommt, berichtete der französische Vertreter der Gemeinschaft Emmanuel. Nach seinem Umzug in die Ewige Stadt sei er eineinhalb Jahre lang jeden Morgen um acht Uhr in die heilige Messe seiner Pfarrgemeinde gegangen, ehe er zum ersten Mal persönlich angesprochen wurde. Die Gemeinschaft Emmanuel wolle alle Menschen guten Willens, auch Ungläubige ansprechen und versuche dies vor allem durch Musik. Mit Musik assoziiere man in der westlichen Kultur auch die Botschaft von Liebe und Freiheit. Das Eis sei hier dünner, die Bereitschaft, sich Wertfragen zu öffnen, grösser. Darum wolle Emmanuel die Musikkultur christlich besetzen.

Ähnlich praktisch setzt auch die von einem brasilianischen Salesianerpater gegründete Gemeinschaft Cançao Nova an. Mit Missionshäusern, Musikprogrammen und eigenen Fernseh- und Radioproduktionen evangelisieren sie in Lateinamerika mit Musik und christlicher Unterhaltung. Neue Kommunikationsstile und eine moderne Sprache sind für die Mitarbeiter unverzichtbar. Für die Neuevangelisierung sei das Beste gerade genug genug, darum strebe man Produktionen und Präsentationen auf höchstem technischem Niveau an. Mit Journalistenkursen an Hochschulen will die vor zwei Jahren päpstlich anerkannte Gemeinschaft dazu beitragen, Christus und die Welt einander näherzubringen. Politik und Kultur bieten Christen heute schier unerschöpfliche Verkündigungsfelder. Einen Namen an den Universitäten gemacht hat sich auch die von dem italienischen Priester Don Luigi Giussani gegründete Gemeinschaft Comunione e Liberazione. Den Bruch zwischen Glauben und Wissen zu überwinden sei ein Ziel der Gemeinschaft, erklärte ein CL-Mitglied.

Der Präsident des Päpstlichen Rates für die Neuevangelisierung, Erzbischof Salvatore Fisichella wies auf die Neuevangelisierung der traditionell christlichen Länder als “prophetische Dimension des Pontifikats Johannes Pauls II.” hin. Gott werde in den säkularisierten Gesellschaften immer stärker an den Rand gedrängt. Auch Christen könnten ihren Glauben oft nicht mehr begründen. Anderen seien nicht einmal die Grundlagen des christlichen Glaubens bekannt. Benedikt XVI. setze darum auf missionarischen Eifer, das Zeugnis und die ausdrückliche Verkündigung. Als entscheidenden Schritt zur Neuevangelisierung hob Erzbischof Fisichella einen Mentalitätswandel hervor: Es komme auf das Bewusstsein an, dass missionarischer Eifer dringend gefördert werden müsse. “Gefragt sei zudem Fügsamkeit gegenüber dem Heiligen Geist”. Zur Definition der Neuevangelisierung gehört aus Sicht Fisichellas auch der Glaube, dass “Christus der einzige Retter der Menschheit ist”.

Mit Nachdruck forderte der Präsident des Päpstlichen Rates für die Neuevangelisierung mehr Offenheit in der ordentlichen Seelsorge. Die Pfarreien sollten auch neue Formen kirchlichen Lebens zulassen und Gastfreundschaft zeigen. Als unerlässliche Voraussetzung für die geistliche Erneuerung nannte Erzbischof Fisichella die Beichte. Gesündigt werde heute auch, weil der Sinn für die Kirche verlorengegangen sei. Beichten verändere den Menschen und bezeuge in einer Welt der Gewalt zugleich, dass es Barmherzigkeit und Verzeihung gebe.

Auch der Erzbischof von Washington, Kardinal Donald Wuerl, hob die Bedeutung persönlicher Umkehr für die Neuevangelisierung hervor. Zudem forderte er die Kongressteilnehmer auf, sich um solide Kenntnisse des christlichen Glaubens und katechetische Ausdrucksfähigkeit zu bemühen.

Als weitere Felder der Neuevangelisierung nannte Fisichella Familie und Politik. Christen sollten die Soziallehre der Kirche in das politische Gespräch einfliessen lassen. “Gesetze schaffen Kultur”, so der Präsident des Päpstlichen Rates für die Neuevangelisierung. Die Kultur aber erzeuge das Klima, in dem das Wort Gottes wachsen könne.

Ein Vertreter der Charismatischen Erneuerung in Italien benannte anschliessend Tugenden des christlichen Politikers: Übereinstimmung mit der überlieferten Lehre, moralische Konsequenz, kulturelle Urteilsfähigkeit, professionelle Kompetenz, Leidenschaft für den Dienst.

Insgesamt hoben sich die Beiträge durch ihre begriffliche Trennschärfe wohltuend vom Pastoraljargon nördlich der Alpen ab. Dass deutschen Ohren so vertraute Begriffe wie “Ökumene” oder “Diaspora” nicht explizit fielen, bedeutete allerdings nicht, dass ihre Bedeutung für die Neuevangelisierung nicht angesprochen worden wäre. Vittorio Messori beleuchtete die radikale religiöse Gleichgültigkeit an den Hochschulen an und die Gefahren christlicher Verflachung an.

Das Miteinander der Christen guten Willens für eine menschenwürdige neue Kultur wurde in vielen Stellungnahmen hervorgehoben. Wie man der Vereinzelung der Getauften in den urbanen Milieus entgegenwirken kann beschäftigte insbesondere die jüngeren Vertreter. Verónica Berzosa, Gründerin der derzeit 210 Mitglieder zählenden spanischen Gemeinschaft Iesus Communio, berichtete von ihren Erfahrungen im Sprechzimmer. So sei einer Jugendlichen bewusst geworden, dass ihre Depressionen letztlich daher rührten, sich dem Anruf Gottes zu verschliessen. “Der geistliche Durst ist der Schrei des Heiligen Geistes in uns”, so Schwester Veronica. Christen sollten der Welt zeigen, dass Gott ein Garant des Guten, aber kein Rivale unseres Glücks ist. “Mit Christus haben wir im Leben nichts verpasst”, schloss die charismatische Ordensfrau.

Die Bandbreite der Vorschläge umfasste alltagstägliche Formen bis zur professionellen Arbeit. Schlicht aber höchst wirksam setzt beispielsweise der Alphakurs an: Zehn Abendessen in zweieinhalb Monaten werden zur Schule des Glaubens und helfen den Pfarreien. Innovativ verbindet Nightfever klassische Pastoral und Katechese mit neuen Kommunikationsstilen. Andere Gruppen haben die kirchlichen Tradition für sich wieder entdeckt. So pflegt die Irische Evangelisierungsschule ISOE die monastische Übung der geistlichen Lesung (lectio divina). Ein ISOE-Mitglied riet zu mehr Pfingstkultur in der Kirche und zur Wiedereinführung der Pfingstoktav.

Viel Applaus erhielt der Kongressveranstalter für die perfekt präsentierte neue Homepage des Päpstlichen Rats zur Förderung der Neuevangelisierung. In Rom zeigte sich deutlich: Medien sind für Neuevangelisierer ein Aeropag, von dem sich Christen nicht fernhalten dürfen. Vor allem sind sie nicht rein funktional zu sehen, sondern unter dem Aspekt der Verkündigung. Das geistliche Konzert des italienischen Tenors Andrea Bocelli am Samstagnachmittag in der Audienzhalle beleuchtete die Chancen der christlichen Künstler für die Neuevangelisierung.

Auch wenn sich Katholiken in der Welt wie zwischen bebenden tektonischen Platten fühlen mögen, driften Kirche und Welt doch nicht unerbittlich auseinander? Abends traf man sich in verschiedenen römischen Pfarrkirchen zu Gebet und Gesang. Viele Berichte von kleinen und grossen Wundern der Gnade im Alltag wurden ausgetauscht. Auch wenn der Kommunikationsstil mancher Teilnehmer aus romanischen Ländern nicht immer den deutschen Geschmack treffen mochte: Dass der Funke der Neuevangelisierung überall zünden soll verband die Teilnehmer. Erzbischof Fisichella nannte gegenüber dieser Zeitung den nächsten Termin, auf den er Hoffnungen für die Kirche in Deutschland setzt: Die Stadtmission in Köln in der Fastenzeit 2012.
 
Predigt Papst Benedikt XVXI., 16. Oktober 2011 kathTube
Catholic.Grandparents.Association

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