Angst, Wut und Trauer unter den Kopten
Ägyptens Christen rufen dreitägiges Beten und Fasten aus
Die internationale Politik reagiert verhalten auf das Blutbad vom Sonntagabend
Die Tagespost, 12.10.2011, von Stephan Baier
Mit der weltweiten Empörung, die der Anschlag auf eine koptische Kirche in Alexandria in der Neujahrsnacht ausgelöst hatte, waren die internationalen Reaktionen nach dem sonntäglichen Blutbad in Kairo am Montag eher schwach. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon mahnte die Ägypter zur Besinnung auf den historischen Wandel vom Jahresanfang und forderte von der gegenwärtigen Regierung, die Menschen- und Bürgerrechte aller Ägypter unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit zu schützen. US-Präsident Barack Obama rief bezeichnenderweise alle Seiten zur Mässigung auf, so als hätten die rund 2 000 christlichen Demonstranten das Blutbad ebenfalls zu verantworten. Das Weisse Haus in Washington liess verlauten: “Diese tragischen Ereignisse sollten zeitnahen Wahlen und einem fortgesetzten Übergang in eine friedfertige, gerechte und umfassende Demokratie nicht im Wege stehen.”
Auch die Europäische Union, deren Aussenminister im Januar grossen Druck auf die politische Führung Ägyptens ausgeübt und die Religionsfreiheit der ägyptischen Christen zum Politikum gemacht hatten, schien bei ihrer Sitzung am Montag mit anderem beschäftigt zu sein. EU-Aussenbeauftragte Catherine Ashton betonte zwar, dass “Meinungs- und Glaubensfreiheit absolut fundamentale Grundrechte” seien, und eine Reihe von Aussenministern der EU-Mitgliedstaaten äusserten sich zu Toleranz, Pluralismus und freier Religionsausübung, welche auch für die Christen in Ägypten gelten müsse. Von einem europäischen Druck auf die in Kairo herrschende Übergangsregierung unter Feldmarschall Mohammed Hussein Tantawi – der ab 1991 Mubaraks Verteidigungsminister gewesen war – war am Montag jedoch nichts zu spüren. Der Fraktionsvorsitzende der christdemokratischen EVP im Europäischen Parlament, Joseph Daul, sagte: “Gewalt gegen Demonstranten ist inakzeptabel.” Sein Vize, der Österreicher Othmar Karas, sieht nach den blutigen Ereignissen vom Sonntag die Glaubwürdigkeit des “arabischen Frühlings” in Ägypten auf dem Spiel.
Radikale Islamisten greifen koptische Kirchen an
Genau darum geht es in der Tat, denn bereits im Frühling zeigte sich, dass radikale Islamisten – insbesondere die von Saudi-Arabien inspirierten Salafisten – versuchen, die von Christen und Muslimen gemeinsam getragene ägyptische Revolution zu okkupieren. Ihr Ziel ist nicht eine religiöse Vertiefung der muslimischen Mehrheit, sondern ein rein islamistischer Staat und die Vertreibung oder Unterdrückung der andersgläubigen Minderheiten, vor allem der zahlenmässig starken Christen. Jede Eskalation der Situation dient diesen Kräften.
So kam es auch nach dem Sturz von Präsident Hosni Mubarak vor genau acht Monaten immer wieder zu gewaltsamen Übergriffen auf Christen und kirchliche Einrichtungen. Anfang März wurde eine koptische Kirche in Brand gesetzt; zwei Christen in Sol wurden ermordet. Als Kopten daraufhin in Kairo demonstrierten, wurden sie von muslimischen Anwohnern attackiert. 13 Menschen kamen dabei ums Leben, 110 wurden verletzt. Seit Monaten von radikalen Gruppen gestreute Gerüchte, Christen würden zwei zum Islam konvertierte Frauen gegen ihren Willen festhalten, führten Anfang Mai zu Strasssenkämpfen in Kairo, bei denen zwölf Menschen getötet und 230 verletzt wurden. Anfang Oktober überfielen radikale Islamisten die noch im Bau befindlichen koptischen Dorfkirchen in Mirinab und Madmar. Hunderte Kopten demonstrierten daraufhin vor der Residenz des Provinzgouverneurs von Assuan. Diese Zwischenfälle hatten schliesslich zu dem Protestzug von rund 2 000 Gläubigen in Kairo am Sonntagabend geführt, bei dem es dann zu Angriffen des Militärs mit bis zu 35 Toten und vielen hundert Verletzten kam.
Die koptische Kirche geht nun offenbar davon aus, dass sich in den christlichen Demonstrationszug vom Sonntag Provokateure eingeschlichen haben, die bewusst auf eine Eskalation setzten. Der Papst der koptisch-orthodoxen Kirche, Shennouda III., erklärte am Montag, Unbekannte hätten sich eingeschlichen und “jene Verbrechen begangen, für die die Kopten verantwortlich gemacht werden”. Die koptische Kirche distanzierte sich in einer offiziellen Erklärung von jeglicher Gewalt und rief ein dreitägiges Fasten und Beten aus.
Das Staatsfernsehen macht aus den Opfern Täter
Die ägyptische Staatsanwaltschaft liess am Montagabend 19 Christen und zwei Muslime verhaften. Der Verwurf lautet auf Zerstörung öffentlichen Eigentums und Angriffe auf die Armee. Das Militär bestritt, mit scharfer Munition vorgegangen zu sein, obwohl etliche der Toten an Schussverletzungen gestorben waren. Damit wird die Schuld der Sicherheitskräfte an der Gewalteskalation umgekehrt oder zumindest relativiert. Eine Taktik, die am Sonntagabend bereits das staatliche Fernsehen anwandte, das davon sprach, demonstrierende Christen würden Soldaten attackieren – eine Darstellung, die zur Eskalation wesentlich beitrug. Nachdem ägyptische Massenmedien die Kopten als Angreifer darstellten, kam es auch vor einem Krankenhaus, in das Verletzte gebracht wurden, zu Attacken lokaler Muslime auf Christen.
Die koptische Zeitung “Watani” schrieb am Dienstag über die Gewaltakte der Sicherheitskräfte: “Das gewalttätige Vorgehen war schlimmer als das, was die israelische Armee mit den Palästinensern macht, die Kassam-Raketen abfeuern.” Mehrere Bischöfe und koptische Intellektuelle wiesen in diesen Tagen aber darauf hin, dass unter den Opfern auch Muslime sind, die auf der Seite der Kopten demonstriert und sich mit ihnen solidarisiert hatten. Auch der koptisch-katholische Patriarch, Kardinal Antonios Naguib, und mehrere Bischöfe der mit Rom unierten koptisch-katholischen Kirche kritisierten das Vorgehen der Soldaten massiv und warnten vor einem wachsenden Einfluss der radikalen Salafisten. Zumindest ein Regierungsmitglied zog am Dienstag persönliche Konsequenzen aus dem Massaker: Der 74-jährige Finanzminister und stellvertretende Ministerpräsident Hazem al-Beblawi sprach von einer “schwachen Leistung der Regierung im Umgang mit den Zusammenstössen” und trat von seinen Regierungsämtern zurück.
In der Nacht auf Dienstag zogen rund 20 000 Trauernde zum Amtssitz von Papst Shennouda III., der koptischen Kathedrale in Abbassiya. Dort findet sich das Grab des Evangelisten Markus, den die Kopten als Gründer ihrer Kirche verehren. Koptische Theologen betonen zwar, dass ihre Kirche sich als “Märtyrerkirche” auf dem richtigen Weg wisse, wenn sie Verfolgung erleidet, doch hat die Angst der Gläubigen seit dem Sturz Mubaraks eher zu- als abgenommen. Rund 100 000 Kopten haben in den zurückliegenden Monaten ihre Heimat verlassen. Insgesamt leben bereits Millionen koptischer Ägypter in der Diaspora.
Dieser Trend dürfte nach den Zwischenfällen vom Sonntag anhalten. Zwiespältig liest sich in diesem Kontext die offizielle Erklärung Saudi-Arabiens zu dem Blutbad am Sonntag. Die Saudis, die zur Radikalisierung der Muslime im Nachbarland beitragen, appellierten darin “an alle Ägypter, Mässigung walten zu lassen, weise zu sein und ihre geliebte Heimat zu bewahren, die das Herz der arabischen und islamischen Gemeinschaft ist”. Doch Ägypten ist nicht nur ein Kernland des Islam, sondern auch eines der ältesten christlichen Länder: seit den Zeiten der Apostel, oder – wie die Kopten gerne betonen – seit der Flucht der Heiligen Familie vor Herodes.
Berlin hat die Militärs in Kairo viel zu früh unterstützt
Die aktuellen Ereignisse in Kairo waren auch ein Thema beim Besuch der “Konferenz der Lateinischen Bischöfe in den arabischen Regionen” (CELRA) bei Papst Benedikt XVI. am Dienstag in Rom. Gleichzeitig appellierte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, an die Verantwortlichen in Ägypten, “die dramatische Spirale der Gewalt zu beenden”. Münchens Kardinal Reinhard Marx forderte die deutsche Regierung und die EU auf, einer Islamisierung Ägyptens entgegenzutreten: “Es darf nicht sein, dass sich jetzt Regime verfestigen, die den Aufbau pluraler und toleranter Demokratien zu konterkarieren trachten, und die Grundrechte wie die Religionsfreiheit mit Füssen treten.” Fuldas Bischof Heinz Josef Algermissen kritisierte, Berlin habe den Übergangsrat in Kairo viel zu früh wirtschaftlich unterstützt, ohne Bedingungen an die Mittel zu knüpfen. Dies habe zum Machterhalt der Militärs beigetragen, aber nicht der Bevölkerung gedient.
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