Benedikts Rückenwind für Kroatien

“Die Einigung Europas ist ein zutiefst christliches Projekt!“

Tagespost, 06.06.2011, Stephan Baier

Die Einigung Europas ist ein zutiefst christliches Projekt!, meinte der agnostische Präsident Ivo Josipovic beim Willkommen für den Papst in Zagreb.

Drei Tage Regenwetter hatten die Meteorologen verheissen, doch wo immer der Papst am vergangenen Wochenende in Kroatiens Hauptstadt auftrat, da strahlte die Sonne. Das war erfreulich für die mehr als 50 000 Jugendlichen, die mit Benedikt XVI. auf den zentralen Jelacic-Platz sangen und beteten, und für die rund 450 000 Gläubigen, die der Sonntagsmesse in der Pferderennbahn von Zagreb beiwohnten. Vor allem aber war es zeichenhaft für die Gastfreundschaft und Zuneigung, mit der die Kirche, die Politik, die Medien, ja die Gesellschaft Kroatiens den Nachfolger Petri empfingen.

Die Begegnungen in Kroatien hätten ihm “das Gefühl vermittelt, einer von Ihnen zu sein, an Ihrer Geschichte teilzuhaben”, heisst es in der Abschiedsrede des Papstes, die auf dem Flughafen Zagreb-Pleso dann letztlich ins Wasser fiel und wegen des Regens nicht gehalten wurde. Tatsächlich war Benedikt XVI. in den Akzenten, die er während der zwei Tage in Kroatiens Hauptstadt setzte, in jene Solidarität eingetreten, die Kroatien seit Jahrhunderten mit dem Nachfolger Petri verbindet.

Die Zukunft Kroatiens in Europa, die Familie und der moralische Zustand der Gesellschaft sowie die Quellen ihrer Erneuerung standen im Mittelpunkt der päpstlichen Visite und waren wohl auch der Grund dieses bereits vierten Papstbesuchs innerhalb von zwei Jahrzehnten. Staatspräsident Ivo Josipovic erinnerte am Samstagvormittag in seiner Begrüssungsrede auf dem Flughafen vor Vertretern von Politik und Kirche daran, dass dieser Papstbesuch zeitlich mit dem 20. Jahrestag der Gründung des “freien, demokratischen kroatischen Staates, dessen Prinzipien das Wohl des freien Individuums einschliessen”, zusammenfalle. Gleichzeitig stehe Kroatien vor dem Abschluss seiner EU-Beitrittsverhandlungen. “Eure Heiligkeit, Sie kommen zu einer Zeit, da man bereits den nahen Horizont der Verwirklichung der vollständigen förmlichen und politischen Eingliederung des modernen Kroatiens in jene Welt, zu der es kulturell immer gehörte, sehen kann”, sagte Josipovic. Dann würdigte der Staatspräsident, der sich selbst als Agnostiker und Sozialist bekennt, die historische Schlüsselrolle des Heiligen Stuhls bei der Anerkennung des kroatischen Staates wie auch die Rolle der kroatischen Kirche bei der Bewahrung des nationalen Erbes und bei der Verteidigung des Landes.

Noch bemerkenswerter aber war, dass Josipovic nicht nur die “lange christliche Tradition, mit dem Katholizismus als wesentlichem Element der nationalen und kulturellen Identität” würdigte, sondern die universale Kirche als Träger einer Zivilisation und Kultur lobte, “in der sich der Geist der Liebe und die Vernunft zum Wohl der Menschen vereinen”. Dass dies nicht einfach ein billiges Kompliment an die starke katholische Kirche des Landes – 90 Prozent der 4,4 Millionen Kroaten sind katholisch – und an den hohen Gast war, zeigten die Schlussfolgerungen des Präsidenten, der an die Opfer des Krieges erinnerte, der Kroatien 1991 von Belgrad aufgezwungen worden war, und zur Gesellschaftskritik ansetzte: “Die Korruption, sei sie moralisch oder materiell, ist direkt gegen das Wohl der Bürger gerichtet, gegen den Geist der Liebe und der Vernunft, sie ist wahrlich ein Verrat der Opfer jener, die für das Vaterland gefallen sind, ein Verrat an den demokratischen Werten, und auch ein Verrat an den christlichen Werten, auf die wir in Kroatien so stolz sind.”

Kroatien will grosszügig sein im Vergeben

Neben dem EU-Beitritt und der viel diskutierten Korruption griff der Präsident noch ein drittes heisses – nach dem allgemein als ungerecht empfundenen Haager Urteil gegen General Ante Gotovina erneut heiss gewordenes – Thema auf: “Das moderne Kroatien wünscht, seinen Nachbarn gegenüber grosszügig zu sein im Vergeben, denn im Vergeben finden wir den Weg der Versöhnung, und in der Versöhnung das beiderseitige Wohl.” Das ist keine leichte Kost für eine Gesellschaft, deren jahrelange Selbstverteidigung gegen den serbischen Vernichtungskrieg in augenfälliger Einseitigkeit vor einem UN-Tribunal verhandelt wird. “Ohne Vergebung und Versöhnung ist die Vereinigung Europas nicht möglich”, sagte der Agnostiker Josipovic, und fügte hinzu: “Die Einigung Europas ist ein zutiefst christliches Projekt!”

Wie sein in Kroatien überaus beliebter Vorgänger bei seiner 100. Auslandsreise 2003, die ihn nach Rijeka, Osijek, Dubrovnik und Zadar führte, liess auch Benedikt XVI. in Zagreb keinen Zweifel an seiner Unterstützung für den EU-Beitritt Kroatiens. Er betonte zugleich, dass Kroatien im vereinten Europa eine Aufgabe hat: “Von Anfang an gehört Ihre Nation zu Europa und leistet ihm in besonderer Weise einen Beitrag an geistigen und moralischen Werten.” Es gehe um eine “Förderung der moralischen Grundwerte, auf denen das gesellschaftliche Leben und die Identität Europas basieren”. Die Geschichte Kroatiens könne “ein Grund zur Reflexion für alle anderen Völker des Kontinents sein” und ihnen helfen, “das unschätzbare gemeinsame Erbe an menschlichen und christlichen Werten zu bewahren und neu zu beleben”.

Solche Wegweisungen werden in Kroatien wach rezipiert, nicht nur weil Benedikt XVI. geschickt genug war, seinen auf Italienisch vorgetragenen Ansprachen längere kroatisch gelesene Passagen einzuflechten, sondern weil der Papst in Kroatien eine unumstrittene moralische Autorität ist. Selbst die Zeitungen des Landes, deren Leidenschaft für Kritik und Konflikte legendär ist, mäkelten zwar an Einladungslisten und Sicherheitsfragen herum, begleiteten aber den Papst und seine Reden intensiv und positiv. Die Boulevardblätter “Vecernij list” (Abendzeitung) und “24sata” (24 Stunden) machten mit der päpstlichen Versicherung auf, dass Kroatien “von Anfang an zu Europa” gehört habe.

Im Vorfeld gaben die Medien der Frage, warum der für seine anti-kirchlichen Auslassungen berüchtigte Ex-Präsident Stipe Mesic nicht zur Begegnung mit dem Papst eingeladen war, breiten Raum. Zwist gab es auch um die Abwesenheit des Vorsitzenden der Sozialistischen Partei, der – wie ein hoher Beamter des Aussenministeriums gegenüber der “Tagespost” bestätigte – durch seine Sekretärin zweimal abgesagt hatte, dann aber darüber klagte, nicht eingeladen worden zu sein. Am Ende jedoch überlagerten der Papst und seine Botschaften den schon rituellen innenpolitischen Streit, alles Gemäkel an der Kirche und die Debatten um Orte und Abläufe.

Einhellig sahen Staatspräsident Josipovic, Ministerpräsidentin Jadranka Kosor, die den Papst in der Nuntiatur besuchte, und die Medien Kroatiens den Papstbesuch als “eine wichtige Unterstützung des Landes auf dem Weg in die Europäische Union”, wie die Tageszeitung “Novi list” formulierte. Gläubige mit kroatischen, mehr aber noch mit weiß-gelben Fähnchen säumten die Strassen, viele von ihnen in den traditionsreichen, bunten, vielfältigen Trachten des Landes.

Der Papst kennt dieses Volk und seinen Glauben

Im Nationaltheater, wo sich der Papst an die Spitzen des akademischen, kulturellen und gesellschaftlichen Lebens wandte, waren unter den 16 ausgewählten Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die Benedikt XVI. persönlich begrüssen durften, auch der serbisch-orthodoxe Metropolit Jovan Pavlovic, der jüdische Oberrabbiner Mose Prelevic und Mufti Sevko Omerbasic. Der Papst stellte das Gewissen “als Ort des Hörens auf die Wahrheit und das Gute, als Ort der Verantwortung gegenüber Gott und den Mitmenschen” in den Mittelpunkt seiner Ausführungen.

Immer wieder bewies der Papst, dass er – wie Zagrebs Erzbischof, Kardinal Josip Bozanic, bei der Begrüssung im Hippodrom formulierte – das kroatische Volk, seine Geschichte und seinen Glauben, kennt. Es mag für Ausländer ein Detail sein, doch für die Kroaten war es von Bedeutung, dass der Papst den 1711 in Dubrovnik geborenen Jesuiten Josip Boskovic als herausragenden kroatischen Wissenschaftler erwähnte, da ihn – obwohl er kroatisch schrieb und Jesuit war – sowohl die Italiener als auch die Serben für sich beanspruchen. Für manchen Ausländer mag es auch unverständlich sein, dass Johannes Paul II. dieses mitteleuropäisch-mediterrane Land dreimal besuchte und Papst Benedikt XVI. nun ebenfalls kam. Für die Kroaten ist damit eine Verbindung bestätigt und gestärkt, die im Jahr 879 mit der Anerkennung des kroatischen Staates durch Papst Johannes VIII. begann und über alle Wechselfälle und Tragödien der Geschichte stets stark und herzlich blieb.

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