Für Jesus in Einheit mit Rom leben

John C. Broadhurst (68) anglikanischer Bischof der Londoner Diözese (Bezirk Fulham)
10.12.2010 Tagespost

Bischof Broadhurst ist Präsident von „Forward in Faith“, einer internationalen anglo-katholischen Gemeinschaft mit mehreren hunderttausend Mitgliedern. Er ist einer der fünf anglikanischen Hirten, die ihren Übertritt zur katholischen Kirche angekündigt haben. Mit ihm sprach Hinrich E. Bues

Exzellenz, Sie sind einer der fünf englischen Bischöfe, die zum Ende dieses Jahres ihren Übertritt zur katholischen Kirche angekündigt haben. Sie werden dann Anfang 2011 als katholischer Priester geweiht werden und als einer der ersten dem neuen Römischen Ordinariat in England beitreten. Die Zeitung „The Telegraph“ spricht von einem „Erdbeben für die Anglo-Katholiken“. Ist das wahr?

Nur ein kleines Erdbeben. Allerdings ist dieser Schritt schon von größerer Bedeutung, denke ich. Niemals zuvor ist ein aktiver anglikanischer Bischof zurückgetreten und römisch-katholisch geworden. Von den fünf Bischöfen, die Ende des Jahres übertreten werden, sind drei noch im aktiven Dienst. Das ist schon von großer Bedeutung, ein Signal, weil so viele anglikanische Christen auf diesen Schritt gewartet haben.

Ihr Übertritt zur katholischen Kirche wird auch die „erste Welle“ genannt. Hoffen Sie also auf eine zweite und dritte Welle der Übertritte?

Und eine vierte und fünfte Welle der Übertritte. Ich habe ungefähr hundert Priester in meiner Diözese. Ich fragte sie: Was denkt ihr über das Römische Ordinariat? Einer sagte: Das kommt für mich absolut nicht in Frage. Ich werde nicht römisch-katholisch werden. 99 Prozent waren aber interessiert. Aber nur sechs sagten, wir werden es jetzt tun. Die anderen überlegen noch und wollen den Schritt vielleicht später gehen.

Sie sind ebenfalls der Präsident der internationalen anglikanischen Organisation „Forward in Faith“ (FiF). Wie sieht die Situation in Australien oder den USA aus? Bereiten sich dort Gruppen von Gläubigen, Priestern und Bischöfen auf den Übertritt und die Errichtung der Römischen Ordinariate vor?

Der australische Zweig von FiF ist sehr engagiert und verbunden mit der Idee des Römischen Ordinariates. Dort werden sehr viele Übertritte erwartet. In den Vereinigten Staaten ist die Situation gemischter und die Offenheit für die neuen Ordinariate unterschiedlich. In beiden Ländern wird aber jeweils ein Ordinariat errichtet werden – und dies auch sehr schnell.

Vor einiger Zeit trafen Sie mit Papst Benedikt zusammen. Es wird gesagt, die Ordinariate lägen dem Papst „sehr am Herzen“. Würden Sie das auch so sehen?

Ja, auf jeden Fall. Der Heilige Vater sieht die Einheit der Kirche als einen Imperativ des Evangeliums. Ich glaube, dass der Papst über die fehlende Kircheneinheit seit langer Zeit sehr beunruhigt ist. Seit über 20 Jahren organisiere ich auf anglikanischer Seite unterstützende Initiativen für die Einheit mit dem Heiligen Stuhl. Mehr als tausend Priester sind hier beteiligt gewesen. Wenn jetzt der Heilige Vater durch die Konstitution „Coetibus Anglicanorum“ die Chance zur Einheit schafft, haben wir eigentlich keine Wahl.

Erhalten Sie von katholischen Bischöfen in England positive Zeichen angesichts Ihres bevorstehenden Übertritts?

Ja, aber auch hier sind die Reaktionen gemischt. Einige Stimmen sind konstruktiv, andere ablehnend und wieder andere enthusiastisch. Das ist ziemlich natürlich, wenn es um eine sehr grundsätzliche Änderung geht. Wir haben aber bisher keinerlei Feindseligkeit erlebt.

Papst Benedikt hat England und Schottland im September besucht. Hatte dieser Besuch einen positiven Effekt auf Entscheidung zum Übertritt?
Ja sehr. Einer meiner Priester, der sich die Entscheidung zum Übertritt noch einige Jahre überlegen wollte, sagte zu mir nach dem Papst-Besuch: Jetzt komme ich sofort. Das ist wirklich sehr interessant. Die Frage in unserer Gesellschaft ist: Wer spricht eigentlich für Jesus? Und da gibt es keinen Zweifel. Als der Heilige Vater in England war, da sprach er für Jesus. Und das ist zentral. Nichts ist wichtiger, als wirklich für Jesus Christus zu sprechen.

Welche Schwierigkeiten beobachten Sie, wenn jetzt durch Coetibus Anglicanorum zum ersten Mal in der Geschichte große Gruppen oder Gemeinschaften von Anglikanern in die katholische Kirche aufgenommen werden können?

Die Schwierigkeiten für die Priester sind: Wo werden sie leben, wie werden sie bezahlt werden? Für die Gläubigen vor allen Dingen die Frage: Wo werden sie zum Gottesdienst gehen können? Anglikanische Gemeinden sind keine großen Gruppen. Wir sprechen hier von vielleicht fünfhundert Christen in einer Gemeinde, die auch die Finanzen aufbringen müssen.

Wie finanzieren sich die Gemeinden in England?

Anders als in Deutschland gibt es in England keine Kirchensteuer. Der Priester wird eigentlich von der Pfarrgemeinde bezahlt. Denn die Gemeinde überweist das gesammelte Geld an die Diözese und diese bezahlt davon die Priester und die Gebäudekosten. Wir rechnen ungefähr so, dass 100 Gläubige mit ihren monatlichen Beiträgen einen Priester bezahlen können. Die Gehälter liegen dabei aber wesentlich niedriger als in Deutschland. Im Hinblick auf die neuen Ordinariate haben wir gegenwärtig eigentlich überhaupt kein Geld.

Wie denken die jüngeren anglikanischen Kleriker über einen möglichen Übertritt in das Römische Ordinariat?

Das ist schon etwas Besonderes. Meine jungen Priester sagen: Ja, lass es uns jetzt tun. Und sie haben wirklich viel zu verlieren. Und die älteren Priester, die immerhin ihre Pension behalten können, sagen: Lass es uns morgen tun. Lass uns abwarten und sehen, wie die Dinge so laufen werden. Sehr interessant, nicht?

Außer Ihnen werden noch vier andere Bischöfe zum Ende des Jahres die Einheit mit der katholischen Kirche wieder herstellen. Wie viele Priester und Gläubige werden diesen Schritt mitgehen? Können Sie Zahlen nennen?

Zu Anfang werden es etwa fünfzig Priester in England sein. Wie viele Gläubige mitgehen werden, weiß ich nicht. Ein Priester sagte neulich zu mir: Ich bin sehr besorgt, weil manche Christen plötzlich verschwinden. Und ein anderer Priester berichtete: Plötzlich kommen Gläubige aus anderen Gemeinden und wollen sich uns anschließen (lacht). Da geschehen wirklich sehr unerwartete Dinge, die man nicht erklären kann. Ich denke, wir werden das einfach sehen.

Der Anfang wird also klein sein?

Ja, bei der ersten Welle werden wir noch nicht viele sein. Darin liegt aber auch eine Chance. Wenn der kleine Anfang gelingt, dann können wir wachsen. Das kommt auch der römischen Intention entgegen. Im Vatikan ist man an guten Beziehungen zu den anderen kirchlichen Gemeinschaften interessiert und möchte diese nicht zu sehr gestört sehen. Da hilft so ein relativ kleiner Anfang.

Wird die Errichtung der Ordinariate, trotz ihres kleinen Anfangs, auf eine Änderung der kirchlichen Landkarte hinauslaufen?

Ja, sicherlich, das wird es. Da gibt es etwas sehr Spezielles in England, das man zuerst verstehen muss. Nach der Reformation war die katholische Kirche in England hauptsächlich von der Aristokratie und der Mittelklasse geprägt. Erst durch die Einwanderung aus dem katholischen Irland kamen andere Schichten in die Kirche hinein. Die Anglikanische Kirchengemeinschaft hatte immer ein gewisses Gefühl der Überlegenheit gegenüber der katholischen Kirche. Wenn wir jetzt anglikanisch-katholische Ordinariate haben werden, wird das, psychologisch gesehen, die Einschätzung ändern.

Werden die neuen Ordinariate vielleicht auch die katholische Kirche in England selbst verändern? Werden zum Beispiel Katholiken aus liberalen Gemeinden in die Ordinariate kommen wollen?

In Amerika gibt es bereits einen anglikanischen Ritus in der katholischen Kirche, der seit fünfzehn Jahren vom Vatikan genehmigt ist. In nur sechs oder sieben Pfarrgemeinden wird dieser Ritus praktiziert, mit einigen tausend Mitgliedern. Ich kenne einen der Gemeindepriester persönlich und er berichtete von folgendem Problem: Aus den katholischen Nachbargemeinden kommen viele Gläubige, weil sie den mehr traditionellen Ritus schätzen.

Seit den Protesten gegen die Frauenordination in den 80er Jahren sind bereits viele anglikanische Priester konvertiert und katholisch geweiht worden. Wie viele sind es und wie arbeiten sie?

Ich habe nicht die genauen Zahlen vorliegen, aber es sind etwa 300 bis 400 Priester. Ungefähr 50 von ihnen sind verheiratet. Ich selber habe als Pfarrer verschiedene, meist sehr große Gemeinden geleitet und etwa 20 assistierende Priester arbeiteten dabei mit mir zusammen. Von diesen 20 sind heute drei römisch-katholisch, zwei leben zölibatär und einer ist verheiratet. Der verheiratete Priester ist heute Gemeindepfarrer in Nord-London.

Was ist eigentlich der springende Punkt: Warum wollen Sie katholisch werden? Haben Sie sich über die Anglikanische Kirchengemeinschaft geärgert, sind Sie enttäuscht?

Nein, ich war eigentlich immer katholisch. Ich denke auch, dass die Anglikanische Kirche im Grunde immer katholisch, wenn auch nicht in Einheit mit Rom war. Aber in den letzten 15 bis 20 Jahren ist viel passiert. Über fast 40 Jahre arbeitete die anglikanisch-katholische ARCIC-Kommission, ohne das erhoffte Ziel einer Einheit der Kirche zu erreichen. So stellte sich für mich die Frage: Wo will ich eigentlich sein? Und ich wollte kein alter Mann sein, der sozusagen weinend in der Ecke liegt. Das ist vielleicht etwas pathetisch. Aber ich fühlte, dass ich eine Entscheidung treffen muss – hinsichtlich der Einheit der Kirche. Egal wie alt man ist, man muss heute eine Entscheidung fällen.

War der entscheidende Punkt also die Einheit mit dem Heiligen Stuhl?

Ja. Ich fragte mich, was will ich eigentlich mit dem Rest meines Lebens tun? Meine Motivation war immer, für Jesus Christus zu leben. Und für Jesus kann ich nur leben in der Einheit mit dem Heiligen Stuhl. Das ist der Punkt. Obwohl der Ruf zur Einheit der Kirche ungebrochen ist, haben sich die Erwartungen geändert. Ursprünglich war die Erwartung, dass es eine anglikanisch-katholische Einheit geben würde. Das ist nicht eingetreten. Sollte ich also als Einzelperson konvertieren? Das ergab für mich keinen Sinn.

Die neue päpstliche Konstitution „Coetibus Anglicanorum“ hat also die Lage entscheidend verändert?

Ja, plötzlich gibt es für uns eine sinnvolle Perspektive. Eine Einzelkonversion hätte im Sinne der Kirche keinen Sinn ergeben, aber jetzt können wir mit großen Gruppen von Gläubigen, für die wir ja als Bischöfe Verantwortung tragen, die Einheit mit der katholischen Kirche und dem Heiligen Stuhl wieder herstellen. Es ist vielleicht nicht alles perfekt, aber ich kann keinen Grund mehr sehen, um jetzt noch Nein zu sagen. Wenn ich an die nächsten Monate denke, bin ich nicht ängstlich, sondern eher erwartungsvoll. Ich freue mich, dass ich ein Teil dieses wichtigen Prozesses auf dem Weg der Einheit sein kann.

Coetibus-Anglicanorum: Apostolische Konstitution

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