Vorbild des Zusammenlebens

Jordanien ist ein islamisches Land. Die Lage der Christen dort ist dennoch so gut wie kaum irgendwo sonst in der Region

Umfassende Religionsfreiheit gibt es in Jordanien nicht. Dennoch genießen die Christen des Landes vollständige Kultusfreiheit: Im Bild eine Beterin in der Kirche Unserer Lieben Frau vom Frieden bei Amman, die Papst Benedikt 2009 besucht hat.Von Oliver Maksan

Amman, Die Tagespost,  19. Mai 2014

Wenn Papst Franziskus am Samstag auf dem Flughafen Amman landet, wird ihn mit König Abdullah II. ein Nachfahr des Propheten Mohammed begrüssen. Auf ihn führt sich das Herrscherhaus des Haschemitischen Königreichs Jordanien zurück. Ehe die Familie König Abdullahs II. von den Briten auf den Thron des von ihnen geschaffenen Staates Transjordanien – seit der Annexion des Westjordanlandes 1950 Jordanien – gehoben wurde, regierten sie jahrhundertelang als Scherife von Mekka und Hüter der dortigen heiligen Stätten.

Ein Urahn des jetzigen jordanischen Königs hatte zuletzt noch den Titel eines König des Hedschas, der westlichen Region der arabischen Halbinsel, inne, ehe die Haschemiten von den Saudis vertrieben wurden. Die Briten, die sich im Ersten Weltkrieg der Haschemiten gegen die Osmanen bedient hatten, indem sie sie zum arabischen Aufstand gegen Istanbul drängten, fanden ihre Verbündeten mit dem jordanischen und irakischen Thron ab. Zuvor hatte London im Zusammenspiel mit Paris ihre Hoffnungen auf eine panarabische Herrschaft enttäuscht.

Mehr als 60 Prozent sind palästinensischer Herkunft

Es ist also eine alte islamische Dynastie, die einem staatlich jungen, indes durch und durch vom Islam geprägten Land vorsteht. Der Islam ist Staatsreligion. Schariagerichte regeln die Personenstandsangelegenheiten der Muslime. Das Staatsoberhaupt muss Muslim sein. Das Land ist eine wichtige Station des internationalen Pilgerverkehrs nach Mekka und Medina. Über 95 Prozent der etwa 6,9 Millionen Einwohner sind sunnitische Muslime. Drusen, Schiiten und Bahais machen weniger als ein Prozent der Bevölkerung aus. Über sechzig Prozent der Bevölkerung sind palästinensischen Ursprungs – eine Quelle steter Spannungen mit der alteingesessenen ostjordanischen Beduinenbevölkerung. Sie liessen sich als Flüchtlinge infolge der israelisch-jordanischen Kriege von 1948 und 1967 östlich des Jordans nieder. Mit ihnen kamen auch zahlreiche palästinensische Christen.

Doch hatte es schon zuvor eine autochthone christliche Bevölkerung gegeben, die auf älteste Zeiten zurückgeht. Einige der alteingesessenen Clans waren christlich und blieben es über die islamische Eroberung im 7. Jahrhundert hinaus. Bemerkenswert ist die christliche Geschichte der Stadt Madaba, die für ihr die Stätten des Heiligen Landes zeigendes Mosaik aus dem sechsten Jahrhundert berühmt ist. Die Ruinenstadt wurde im 19. Jahrhundert von christlichen Stämmen wiederbesiedelt, die zuvor nach einem Zerwürfnis mit einem orthodoxen Priester zum Katholizismus konvertiert waren und ihre Heimatstadt Kerak verlassen hatten. Mit Hilfe der katholischen Kirche und des französischen Konsuls richteten sie sich in Madaba ein. Aufgrund muslimischen Zuzugs und der hohen Geburtenrate der Muslime ist Madaba heute aber keine überwiegend christliche Stadt mehr – ein Phänomen, das für ganz Jordanien gilt. Von den Städten verfügen nurmehr Orte wie Fuheis und Al Husun im Nordwesten des Landes über eine überwiegend christliche Bevölkerung.

Das Königshaus ist Motor des Dialogs der Religionen

Trotz ihrer relativ geringen Zahl sind es vor allem die Christen, die Jordanien als Vorbild interreligiösen Zusammenlebens in einer Region schätzen, wo die Koexistenz vielfach bedroht ist. Gerade das Königshaus selbst gilt als Motor des Dialogs der Religionen. Kirchenvertreter betonen die umfassende und von der Mehrheitsgesellschaft akzeptierte Kultusfreiheit, die die Christen in dem Land genössen. Christen haben traditionell hohe Posten in den Kabinetten und der Armee inne. Christen stehen als einziger Religionsgemeinschaft zudem nach einer Quote neun der 150 Sitze des nationalen Parlaments zu. Vollständige Religionsfreiheit einschliesslich der Gewissensfreiheit und des Religionswechsels ist indes nicht gegeben.

Das amerikanische Aussenministerium berichtet in seinem jährlichen Report über die Religionsfreiheit von sozialen und staatlichen Sanktionen, die muslimische Konvertiten zum Christentum erleben müssen. Vor allem freikirchliche protestantische Gemeinschaften entfalten im Gegensatz zu den etablierten Kirchen eine rege Missionstätigkeit. Sorge bereiten Christen auch vor allem infolge des Syrienkonflikts radikalisierte islamistische Gruppen.

Die katholische Kirche geht von etwa 250 000 Christen aller Konfessionen in Jordanien aus. Etwa 70 000 von ihnen leben derzeit aber im Ausland. Katholiken der verschiedenen Riten, vor allem des lateinischen, stellen den grössten Teil der Christen. Zu den 80 000 lateinischen Katholiken kommen etwa 30 000 griechisch-katholische, melkitische Christen. Kleine Gruppen von syrisch-katholischen, armenisch-katholischen und maronitischen Christen leben ebenfalls in dem Land. Neuerdings wird die Katholikenzahl durch etwa 50 000 überwiegend römisch-katholische Gastarbeiter vor allem von den Philippinen verstärkt. Zehntausende Christen, darunter viele katholische Chaldäer, sind auch mit den Flüchtlingswellen aus dem Irak und Syrien ins Land gekommen.

Jordanien gehört zum Lateinischen Patriarchat von Jerusalem und wird von einem Bischofsvikar mit Sitz in Amman geleitet. Patriarch Fuad Twal selbst ist gebürtiger Jordanier und entstammt einer alten christlichen Familie. Sein Verhältnis wie das der Kirche insgesamt zum König gilt als ausgezeichnet. Die katholische Kirche unterhält im Königreich derzeit 46 Schulen sowie eine Universität, die Amerikanische Universität von Madaba, deren Grundstein Papst Benedikt XVI. bei seinem Besuch 2009 segnete. Sie wurde in Anwesenheit des Monarchen im vergangenen Jahr eingeweiht und gilt als derzeit wichtigstes Infrastrukturprojekt der katholischen Kirche. Patriarch Twal erhofft sich davon eine Stärkung der Stellung der Christen im öffentlichen Leben des Landes und eine weitere Verbesserung im Verhältnis zu den Muslimen, die den grössten Teil der Studentenschaft stellen. Kritiker meinen, das Millionenprojekt binde zu viele Mittel, die andernorts dringend benötigt würden. Mit staatlicher Unterstützung wird zudem die katholische Präsenz an der am Ostufer des Jordan gelegenen Taufstelle des Herrn ausgebaut. Der jordanische Staat erhofft sich dadurch eine Stärkung des christlichen Pilgertourismus.

Die ökumenischen Beziehungen der katholischen zur griechisch-orthodoxen Kirche des Patriarchats von Jerusalem sind nicht spannungsfrei. Dies betrifft indes vor allem das Verhältnis zur ökumenisch kritisch eingestellten Hierarchie. Aufgrund zahlreicher Eheschliessungen zwischen Katholiken und Orthodoxen gilt das Verhältnis der Gläubigen untereinander hingegen als gut.

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