Die Rückkehr des Teufels

Rom vor einem Jahr

Rom, Die Tagespost, 12. März 2014

Rom vor einem Jahr: Franziskus zog aus, um die Menschen vor die Wahl zu stellen – Entweder Jesus Christus oder der Fürst dieser Welt.

Von Guido Horst

Das war nicht spontan: Franziskus und der Petersplatz vor einem Jahr. Lange hatte die Menge gewartet, während sich die dunkle Nacht über die Kuppel der Vatikanbasilika senkte. Im strömenden Regen. Dann hatte der Himmel ein Einsehen – mit einer Menschenmasse, die auf über zweihunderttausend Wartende angewachsen war. Die Regenschirme klappten zu – und auf der Loggia des Petersdoms erschien der Mann, auf den die Menschen zu seinen Füssen, die Kirche und die ganze Welt Stunden, ja Tage gewartet hatten.

Der Argentinier Jorge Mario Bergoglio, der neue Papst. Um 19.07 Uhr hatte die Metallröhre über der Sixtinischen Kapelle weissen Rauch ausgespuckt. Über anderthalb Stunden jedoch mussten die Medien und die Schaulustigen auf dem Petersplatz dann nochmals warten.

Doch was nun folgte, war genau einstudiert. Einfache Gesten und einfache Botschaften. Zunächst die Botschaft: Der Jesuit Bergoglio gibt sich als 265. Nachfolger des Apostels Petrus den Papstnamen Franziskus. Dann die Gesten: “Buona sera” – “Guten Abend” sind seine ersten Worte. Anhänger oder besser Verehrer eines traditionellen Papstbildes sind wie vor den Kopf geschlagen: Der Heilige Vater ist nackt. Keine Mozetta, nur die einfache weisse Soutane. Nackt wie Franziskus, als dieser der Welt entsagte. Der Bischof von Rom verbeugt sich vor seinen Römern und lässt die Menge für sich beten. Und am Ende wieder eine Botschaft: Noch am nächsten Morgen werde er bei Maria sein. Franziskus kündigt an, der “Salus Populi Romani” – der “Beschützerin des römischen Volkes” in der Basilika Santa Maria Maggiore – seine Aufwartung zu machen. Die ganze Szene auf der Loggia der Vatikanbasilika wirkt wie einstudiert. Eine nahezu perfekte Inszenierung. Mit anderen Worten: Franziskus hatte Tage, wenn nicht Wochen Zeit, sich abwägend und präzise auf diesen Augenblick vorzubereiten.

Am nächsten Morgen dann in der Sixtinischen Kapelle die Messe mit den Kardinälen, die den Jesuiten zum Nachfolger von Benedikt XVI. gewählt hatten. Franziskus hatte signalisiert, “versus populum” zelebrieren zu wollen. Die Vatikanbediensteten, die den Volksaltar aufbauten, hatten nicht ganz vermeiden können, dass einfache Spanplatten in das Visier der mitlaufenden Kameras lugten. Die Verehrer eines traditionellen Papstbildes sind wieder empört. Doch die eigentliche Botschaft des Jesuiten kommt in seiner Predigt vor den 114 Papstwählern. Typisch jesuitisch hatte er seine kurze Ansprache in drei Gliederungspunkte unterteilt: “Gehen, aufbauen, bekennen”. Und ebenfalls typisch: Die zentrale Botschaft kommt in der Mitte der Predigt. Man könne vieles aufbauen, “aber wenn wir nicht Jesus Christus bekennen, geht die Sache nicht”. Man würde zu einer wohltätigen Nicht-Regierungs-Organisation, aber nicht zur Kirche, zur Braut Christi. “Wenn man nicht auf Stein aufbaut, was passiert dann? Es geschieht das, was den Kindern am Strand passiert, wenn sie Sandburgen bauen: Alles fällt zusammen, es hat keine Festigkeit. Wenn man Jesus Christus nicht bekennt, da kommt mir das Wort von Léon Bloy in den Sinn: ‘Wer nicht zum Herrn betet, betet zum Teufel.’ Wenn man Jesus Christus nicht bekennt, bekennt man die Weltlichkeit des Teufels, die Weltlichkeit des Bösen.”

Diese Radikalität, diese Entschiedenheit ist inzwischen zum roten Faden in der Verkündigung von Papst Franziskus geworden. Entweder Gott – oder der Teufel. Der Mensch hat die Wahl. Einen Zwischenweg gibt es nicht. Überdeutlich war diese Fragestellung in seiner Ansprache beim “Engel des Herrn” am vergangenen Sonntag. Die Zuhörer auf dem – wie immer gut gefüllten – Petersplatz forderte er auf, einer “mondäne Mentalität” zu entsagen, die den Menschen auf Grundbedürfnisse wie Nahrung, Ansehen und Macht reduziere und damit von Gott abhalte. Wenn Franziskus zum Eingemachten kommt, dann bittet er nicht und ergeht sich auch nicht in theologischen Spekulationen. Dann fordert er. So appellierte er am vergangenen Sonntag an die Gläubigen, gerade in der Fastenzeit ihr Taufversprechen zu erneuern und “sich dem Satan und seinen Werken und seinen Verführungen zu widersetzen”. Denn mit dem Teufel könne man nicht verhandeln oder in einen Dialog treten, weil er so trickreich sei. “Wir müssen uns frei machen von Götzen und nichtigen Dingen, und unser Leben auf dem Wesentlichen aufbauen”, bekräftigte der Papst. Es gehe darum, dem Ruf Gottes nach dem Wahren, dem Guten und Schönen zu folgen. Franziskus erinnerte daran, wie der Teufel versucht habe, Jesus von seinem Weg zum Kreuz abzubringen, indem er ihm falsche messianische Hoffnungen gemacht habe: wirtschaftlichen Wohlstand, wundertätiges Auftreten und den raschen Weg zur Macht. Jesus habe diese Versuchungen entschieden abgelehnt und seinen Willen bekräftigt, den von Gott vorgegebenen Weg unbeirrt zu gehen.

Es hat eine Zeit gegeben, da hat man in der Kirche den “Abschied vom Teufel” zelebriert. In Deutschland etwa mögen das Theologen wie Herbert Haag oder Hubertus Halbfas in die Schulbücher für den Religionsunterricht gedrückt haben und bei den eigentlichen Hirten, den Bischöfen, klang die Rede vom Bösen oft mehr als windelweich. Aber es war eben ein Erbe der Aufklärung, vielleicht nicht Gott, aber doch alle guten und bösen Geister wie Engel, Teufel, den Satan und seine Widersacher wie Michael und die Erzengel in das Reich der Mythen zu verweisen. Mit Papst Franziskus sind sie alle wiedergekehrt. Wer nicht für Jesus Christus streitet (sic!), dient (sic!) dem Satan. Kompromisse gibt es nicht. Und es gehe darum, so Franziskus, dem Teufel nicht theoretisch oder prinzipiell zu widersagen, sondern ganz konkret im Alltag. Wie es der Jesuiten-Papst bereits am 15. März vergangenen Jahres vor den in Rom versammelten Kardinälen formulierte: “Geben wir nie dem Pessimismus nach, jener Verbitterung, die der Teufel uns jeden Tag bietet; geben wir nicht dem Pessimismus und der Mutlosigkeit nach: Wir haben die feste Gewissheit, dass der Heilige Geist mit seinem mächtigen Wehen der Kirche den Mut schenkt, fortzufahren und auch nach neuen Wegen der Evangelisierung zu suchen, um das Evangelium bis an die Grenzen der Erde zu bringen.”

Mit seiner Rede vom Teufel ist Papst Franziskus ganz ein Sohn seines heiligen Ordensgründers Ignatius, der sich als Soldat Gottes sah, aber eben nicht als ein Soldat, der die Schlachten der Mächte dieser Welt kämpft, sondern die Schlachten Jesu Christi. Als Ignatius von Loyola und seine ersten Gefährten schliesslich nach Rom gekommen waren, zogen sie sich nicht in einen Konvent im Grünen vor den Toren der Ewigen Stadt zurück, sondern bezogen Quartier mitten im römischen Zentrum, da, wo sich heute die Kirche “Il Gesu” befindet, und gingen täglich unter die Menschen. Um Gott in allem zu suchen, zu entdecken und zu lieben. Das ist für die Jesuiten “vom alten Schlag” der geistliche Kampf gegen den Fürsten dieser Welt. Und das ist auch der Schlüssel, um Papst Franziskus zu verstehen.

Natürlich haben auch die vergangenen Päpste vom Teufel gesprochen. Vielleicht etwas diskreter, vielleicht mehr mit dem Rückgriff auf Umschreibungswörter wie “das Böse”, “der Widersacher” oder “die Mächte der Finsternis“. Am dramatischsten vielleicht Paul VI., als er beklagte, dass der “Rauch Satans” da eingedrungen sei, wo er überhaupt nicht hingehört: in das Innerste der Kirche. Aber Franziskus spricht nun Klartext. Nicht angekränkelt vom relativistische Geist der Feuilletons des Westens oder der Unklarsprache in den Religionsbüchern der katholischen Kirche in Deutschland.

Auch der Stil, mit dem Franziskus vorgeht, um Gott überall zu suchen, zu entdecken und zu lieben, ist typisch jesuitisch. Wer hat je einen wahren Jesuiten erlebt, der um die eigene Person “viel Staat macht“, der übertriebenen Wert auf das Protokoll legt, der sich in Schale wirft oder es liebt, von der Last überbordender Gewänder zu Boden gedrückt lange Liturgien zu feiern? Papst Franziskus trägt seine schwarze Tasche selber ins Flugzeug – oder steigt mit ihr aus dem Bus, wenn er mit den Kurienprälaten zu den Fastenexerzitien in ein normales Einkehrhaus von Ordensschwestern fährt. Selbst katholische Medien in Deutschland fragen sich: Franziskus – ist er nun ein Reformer oder gar ein Revolutionär? Nein, er ist Jesuit. Mit der gehörigen Portion Schlauheit, die man den Patres der Gesellschaft Jesu, den “SJ“, den “Schlauen Jungs“, seit jeher zuschreibt. Natürlich weiss Franziskus, dass er sein grosses Projekt, die Kirche im Inneren vom mondänen Geist zu befreien, nur dann vorantreiben kann, wenn er sich nicht sofort mit den Meinungsführern dieser Welt anlegt. Das war die Tragik seines Vorgängers. Benedikt XVI. war – anders als Franziskus – ein moderner Theologe. Ein Vordenker. Doch der Fall Williamson und die Missbrauchsskandale in der katholischen Kirche haben aus dem vortreibenden Denker einen von den Medien Getriebenen gemacht. Die Lehre daraus hat auch Kardinal Bergoglio in Buenos Aires gezogen – zumindest endgültig, als er am 14. März als Papst Franziskus erwachte. Es ist nicht so, dass Kardinäle in der weiten Welt nur durch differenzierte und bisweilen etwas schönredende Nuntiaturberichte oder Rundschreiben des vatikanischen Staatssekretariats über die Vorgänge in Rom unterrichtet werden. Auch Kardinäle in New York, Kapstadt oder Manila lesen Zeitung und sehen Fernsehen. Und beim Vorkonklave des vergangenen Jahres lag der “shit-storm“ der vorangegangenen Monate – italienische Verhältnisse im Vatikan, Geld- und Sex-Skandale in der römischen Kurie, Vatileaks, Missbrauch – wie ein Menetekel über den Kardinälen. Und am Ende über Jorge Mario Bergoglio, der das Konklave als Papst verliess. Mit einem klaren Ziel: die Kirche zu entweltlichen. Wenn den Medien das aufgeht, werden sie ihn zerreissen. So ist es, wenn man den Teufel bei den Hörnern packt.

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