Franziskus in “Evangelii gaudium”

Worauf die Wirtschaftskritik von Papst Franziskus in “Evangelii gaudium” zielt

Evangelii gaudium

Auch in der Wirtschaft muss die Person im Mittelpunkt allen Handelns stehen

Die Tagespost, 9. Dezember 2013,

Worauf die Wirtschaftskritik von Papst Franziskus in “Evangelii gaudium” zielt. Von Pater Justinus Pech

Mit seiner Kritik am Kapitalismus ruft der Heilige Vater Vergessenes in Erinnerung: Die Wirtschaft ist zum Wohl der Menschen da, nicht der Mensch zum Wohl der Wirtschaft.

Das Schreiben “Evangelii gaudium” von Papst Franziskus ist gewichtig. Dies gilt für den Umfang des Schreibens wie auch für die inhaltlichen Schwerpunktsetzungen. Papst Franziskus fordert eine klare Unterscheidung der Geister. Sein Ziel ist dabei, “die Dynamiken der missionarischen Erneuerung der Kirche” (51) zu fördern.

Dieses Ziel verliert er auch im wirtschaftlichen Teil, dem zweiten von insgesamt fünf Abschnitten, seines ersten Apostolischen Schreibens nicht aus den Augen. Er nimmt dabei keine Grundlagenreflexion über verschiedene Wirtschaftsordnungen vor, sondern wendet sich mehr den sozialen Ungerechtigkeiten des herrschenden Wirtschaftssystems zu.

Das bedeutet auch, dass Kritiker, die sich mit diesem Schreiben auseinandersetzen, darauf achten müssen, Ebenen nicht zu verwechseln. Papst Franziskus stellt sich beispielsweise gegen die “vergötterten Mechanismen des Wirtschaftssystems” (54) und akzentuiert die Kritik an der trickle-down Theorie (Pferdeäpfeltheorie beziehungsweise angebotsorientierten Wirtschaftspolitik). Diese Kritik wird jedoch nicht umfangreich erörtert, sodass eine tiefgehende ökonomische Diskussion möglich wäre. Ein Schwachpunkt, der auch bereits von einigen Kritikern vermerkt wurde. Ob dies ein Apostolisches Schreiben, welches in der Gesamtheit die Form einer Regierungserklärung hat, überhaupt bieten muss, kann unterschiedlich beantwortet werden. Es ist aber zu berücksichtigen, dass die Zeiten des Vergleiches von zwei Wirtschaftssystemen wie Plan- und Marktwirtschaft nicht mehr gegeben sind. Seit 20 Jahren ist eine kapitalistische Wirtschaftsordnung die bestimmende. Damit ist die Diskussion über ein gerechtes Wirtschaftssystem aber nicht erledigt, wie das Buch von Ulrike Herrmann über den Sieg des Kapitals zeigt. Hier kann eine grundlegende Auseinandersetzung neu beginnen.

Arbeit muss Menschen ein würdiges Leben ermöglichen

Auch bei anderen Themen (der Neuausrichtung der Seelsorge, seinen Betrachtungen zur Homilie et cetera) innerhalb dieses Schreibens wählt der argentinische Papst eine Form, die Grundsatzreflexionen nicht zu fördern scheint, sondern ganz konkret die Probleme und Fehlentwicklungen benennt. Es hinterlässt auf den Leser den Eindruck, als läge dahinter eine Strategie, solche vermeintlichen “Fluchtwege” zu verhindern und den Blick immer wieder auf die Situation der Menschen und die Verkündigung des Glaubens zu richten. Es geht ihm um den Dreischritt, den er bereits in seiner ersten Predigt als Papst in der Sixtinischen Kapelle behandelt hat: “camminare” – “edificare”– “confessare”, im Deutschen mit “gehen” – “aufbauen” – “bekennen” übersetzt. Da Papst Franziskus stets seine grosse Nähe zu Papst em. Benedikt XVI. betont und ihn immer wieder persönlich um Rat bittet, scheint es so, als setze er die wohldurchdachte Lehre seines Vorgängers voraus und baue darauf auf, um die Gunst der Stunde zu nutzen und die Kirche, die träge geworden ist, nach vorne zu tragen. Der Schäfer will seine Schafe wachrütteln, sie ent-weltlichen! Das gilt auch für die wirtschaftlichen Fragestellungen, in denen sich die Gläubigen zu sehr mit dem bestehenden System und seinen Missständen abgefunden zu haben scheinen.

Papst Franziskus will, dass wir uns mit den offenkundigen Schieflagen, ausbeuterischen Strukturen und der Anbetung “neuer Götzen” (55) nicht abfinden. Er weist mehrfach und dezidiert auf die negativen Folgen unseres internationalen Wirtschaftssystems für bestimmte Länder, Gruppen und einzelne Menschen hin. Dabei nimmt er das Leben der Armen in den Blick und fordert dazu auf, sich mit den Auswüchsen eines Systems auseinanderzusetzen, welche das Wohlergehen von Menschen gefährden. Er benennt diese auch mit eingängigen und deutlichen Bildern, wenn er davon spricht, dass wir unfähig werden, “Mitleid zu empfinden gegenüber dem schmerzvollen Aufschrei der anderen” (54). Hier könnte man leicht an die Arbeiter in den Nähfabriken Asiens oder den Edelmetallminen in Afrika denken. Es wird deutlich, dass das Sachziel allen wirtschaftlichen Handelns, nämlich das menschliche Leben aller, aus dem Blickfeld zu geraten scheint. Arbeit erhebt, ja adelt den Menschen, wie es Oswald von Nell-Breuning formuliert hat, und muss ihm ermöglichen, menschenwürdig zu leben.

Ein Hauptkritikpunkt des Papstes ist “die Leugnung des Vorranges des Menschen!” (55), die dem Fetischismus des Geldes entspringt. Damit geht es ihm nicht um die einseitige Verurteilung von Profiten, die aus wirtschaftlichem Handeln generiert werden, sondern um den sittlichen Wert. Ein Profit kann “schmutzig” erwirtschaftet worden sein und damit ist er verurteilungswürdig. Aber auch die Verwendung desselben nimmt der Papst in den Blick. Ein Profit wird erst durch seine Verwendung zu einem sittlich achtbaren, indem er dem Gemeinwohl dient. Hier relativiert die Ethik die Macht des Geldes. Denn eine christliche Ethik unterstellt sich gerade nicht den Gesetzen des Marktes, sondern hinterfragt diese.

Die Ethik wird vielfach “mit einer gewissen spöttischen Verachtung betrachtet (…) Man empfindet sie als eine Bedrohung, denn sie verurteilt die Manipulierung und die Degradierung der Person.” (57). Aber “die Ethik – eine nicht ideologisierte Ethik – erlaubt, ein Gleichgewicht und eine menschliche Gesellschaftsordnung zu schaffen”. Hier gilt es auch innerhalb des Bereiches der Ethik hellhörig zu werden. Was meint Papst Franziskus mit einer ideologisierten Ethik. Für ihn verweist die Ethik “auf einen Gott, der eine verbindliche Antwort erwartet, die ausserhalb der Kategorien des Marktes steht”. (57) Eine ideologisierte Wirtschaftsethik, die Ethik nur unter den Gesetzen des ökonomisch Machbaren zu realisieren meint, scheint Papst Franziskus hier nicht zu unterstützen. Er wendet sich damit auch gegen Positionen, die nicht nur ausserhalb der katholischen Kirche vertreten werden. So ist alles wirtschaftliche Handeln wieder neu auf den Menschen auszurichten. Im Mittelpunkt steht die Person. Der Mensch ist Person und aus dieser Personalität leitet sich die Menschenwürde ab, die es zu achten gilt. “Ich ermahne euch zur uneigennützigen Solidarität und zu einer Rückkehr von Wirtschaft und Finanzleben zu einer Ethik zugunsten des Menschen.” (58) Hier ergeben sich für die aktuelle wirtschaftsethische Diskussion zwei Folgerungen: Es geht um das “Wie” des Erwirtschaftens der Unternehmensprofite und das “Wie” der Verteilung. Die Profite sind immer so zu verteilen, dass auch die Armen daran partizipieren. Im Aufbau der Wirtschaftsordnung Deutschlands hat sich gezeigt, wie eine Beteiligung der Arbeitnehmer für eine Steigerung des Wohlstandes sorgen kann. “Das Geld muss dienen und nicht regieren!” (58) Hier kann einerseits eine klare Handlungsaufforderung für katholische wirtschaftliche Vereinigung wie BKU (Bund katholischer Unternehmer) und CAPP (Centesimus Annus pro Pontifice) sowie Katholiken in verantwortlichen Positionen abgeleitet werden. Es ergeht damit aber auch ein Weckruf an die Professoren der Wirtschaftswissenschaften, Wirtschaftsethik und Gesellschaftslehre, sich mit dem fundamentalen Prinzip der katholischen Soziallehre, der Personalität, neu auseinanderzusetzen.

Einen Schwerpunkt setzt Papst Franziskus auch auf die “soziale Ungleichheit in der Gesellschaft und unter den verschiedenen Völkern” (59), die es zu beseitigen gilt. Die weltweite Gesellschaft hat eine Verantwortung gegenüber den Menschen in den Randgebieten und darf sie nicht ihrem Schicksal überlassen. Ganz konkret wird dieses bereits in Südeuropa. Die zahllosen Flüchtlinge, die aus Afrika nach Europa strömen, sind geradezu eine Aufforderung an Europa, sich seiner Verantwortung Afrika gegenüber neu bewusst zu werden.

Es geht dem Papst darum, “das in den ungerechten Gesellschaftsstrukturen kristallisierte Böse” (59) zu bekämpfen. Jeder der sich mit den Problemen der Flüchtlinge in Lampedusa auseinandergesetzt hat, wird sich diesem warnenden Ruf nicht entziehen können. Die Zahl der Menschen, die einen Fluchtversuch aus Afrika bereits mit dem Leben bezahlt haben, wächst täglich. Das kann einen Christen, wie Papst Franziskus mit seinem Besuch auf Lampedusa deutlich gemacht hat, nicht unberührt lassen. Die diakonia gehört zum Christsein dazu.

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