Religionsunterricht: Inhalte wichtiger als Harmos
Schule für Kinder und Jugendliche einer der wichtigsten Lebensräume überhaupt
Gespräch mit Hanspeter Lichtin, Fachstelle RU der Landeskirche BL
Der Religionsunterricht ist von der grossen Bildungsbaustelle “Harmos” mit betroffen. Eine grossflächige Umfrage im Kanton Baselland zeigt: das macht den Reli-Verantwortlichen überraschend wenig Sorgen. Ihre Fragen liegen woanders. Was die Ökumene angeht, war die Umfrage ebenfalls erhellend.
“Der Rücklauf war hervorragend”, resümiert Hanspeter Lichtin begeistert. Die Fachstellen für Religionsunterricht in BL und BS wollten wissen, wo den RU-Verantwortlichen der Schuh drückt, wenn sie an Harmos denken. Was kommt da auf die Kirchen zu?
Wie können in diesem Rahmen christliche Werte und Geschichten weiter gegeben werden? In der Schule? Ausserhalb? Die Resultate geben wichtige Eckpunkte.
Deutlich ist: die Inhalte beschäftigen mehr als die Strukturen. Das heisst: Die Verantwortlichen machen sich mehr Sorgen über die gesellschaftliche Bedeutung der Religion als über Harmos. Oder anders gesagt: “Die Strukturen schaffen wir schon irgendwie, aber die inhaltlichen Fragen sind die Knackpunkte”.
In oder ausserhalb der Schule?
Ein Thema, das überall zu heissen Kontroversen führt, ist das Verhältnis zwischen Wissensvermittlung und konkreten Erlebnissen. Hier siedelt sich tendenziell auch die Frage “in oder ausserhalb der Schule?” an. Lichtin möchte keine Extrempostionen gewinnen lassen, wenn er sagt: “Mir graust vor rein erlebnisorientierter und fundamentalismusanfälliger Religiosität. Anderseits wird Bildung ohne die Verbindung mit dem Leben leicht weltfremd.” Es braucht also beides, und Lichtin sieht unter anderem in der Schule einen geeigneten Rahmen dafür. Auch deshalb, weil die Schule für Kinder und Jugendliche einer der wichtigsten Lebensräume überhaupt ist.
Ist Ökumene Kinderzeugs?
Ein wichtiges Thema in der Umfrage war die Ökumene. Für die Primarschulen gibts erst mal gute Noten: die überwiegende Mehrheit der Primarschüler geniessen ökumenischen Religions-Unterricht. Vereinfacht kann man dann sagen: Je älter die Kinder werden, desto un-ökumenischer wird der Unterricht. Dies bedauert Lichtin und meint, dass auch ausserschulische Unterrichtsformen kein Rückzug ins konfessionelle Gärtchen bedeuten müssen. Wichtig sei, dass die religiöse Bildung nicht auf das Schulalter beschränkt bleibt und in ein Gesamtkonzept der Pfarrei eingebunden wird.
Besser verankern
Trotzdem: auch auf der Primarstufe gibt es noch Verbesserungen. Zu oft seien die ökumenischen Abmachungen vom Goodwill der jeweiligen SeelsorgerInnen abhängig. “Hier braucht es verbindliche Rahmenbedingungen, Absprachen, Verträge, ökumenische Teams, Lehrplan etc. Damit würden die Kirchen auch zu einem verlässlicheren Partner der Schule”, sagt Lichtin.
Hier möchten die reformierten und katholischen Fachstellen für Religionsunterricht des Kantons Baselland in Zukunft ansetzen. Leitlinien und Handlungskriterien sollen den Pfarreien helfen, die Ökumene noch besser zu verankern.
katholisch bl.bs hat Hanspeter Lichtin dazu vier Fragen gestellt:
Herr Lichtin, wie sieht es eigentlich mit der Ausbildung von Religionsunterrichtenden aus?
Hanspeter Lichtin: Für guten Religionsunterricht brauchen wir bodenständige Frauen und Männer mit weitem Horizont. Die Ausbildung ist anspruchsvoll, und in meiner letzten Modulgruppe waren überwiegend taffe Frauen – und ein Mann.
Da geben Sie mir das Stichwort: Religionsunterricht erteilen ist eine absolute Frauendomäne. Wieso ist das so?
Lichtin: Das ist tatsächlich ein Problem. Das hat meines Erachtens vor allem mit dem feminin geprägten Berufsbild der Religionslehrerin zu tun. Um mehr Männer für eine berufsbegleitende Ausbildung in Katechese gewinnen zu können, müsste der Beruf vielleicht eidgenössisch anerkannt sein und Anschlussmöglichkeiten besitzen. Da gibt es schweizweit noch viel zu tun.
Mit Harmos ist vor allem die Primarschule ins Zentrum des Interesses gerückt. Was geschieht eigentlich auf der Oberstufe und auf Gym- bzw. Berufsschul-Stufe?
Lichtin: Da muss man unterscheiden: Auf der Oberstufe haben die meisten Gemeinden ausserschulische Formen installiert und praktizieren vor allem Erlebnispädagogik in Weekends, Projektwochen etc. Dabei wäre gerade im Jugendalter eine kritisch-religiöse Bildung wichtig.
Weiter oben, in der Sekundarstufe 2, an Gymnasien, Berufsschulen etc. passiert leider gar nichts. Auch wenn es ein wenig revoluzzerisch tönt: Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass der schulische Religionsunterricht erst in der dritten Primarklasse beginnt, um dafür in Berufsschulen und Gymnasien präsenter zu sein.
Denn auf jeden Fall ist die Schule der Lebensraum Nummer eins für junge Menschen, und deshalb können wir es uns als Kirche eigentlich nicht leisten, dort nicht präsent zu sein.
Ist e-learning ein Thema für den Religionsunterricht?
Nein, noch nicht. Auf der Oberstufe gäbe es da aber bestimmt Möglichkeiten. Erste Schritte in der Deutschschweiz in Richtung Online-Lehrmittel, Online-Plattform etc. werden getan. Ein eigentliches E-Learning-Lehrmittel hingegen fehlt noch. Dabei wäre es sicher interessant, damit zu arbeiten und Erfahrungen zu machen.
katholisch bl.bs, 19.08.2013
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