Trumps pragmatische Ukraine-Wende
Wladimir Putin ist an einem Kompromissfrieden in der Ukraine gar nicht interessiert. Das hat der US-Präsident jetzt verstanden – und daraus die Konsequenzen gezogen
Quelle
Putin ließ Trump ins Leere laufen | Die Tagespost
Unterscheidung der Geister
25.09.2025
Was ist in Donald Trump gefahren? Noch vor wenigen Wochen setzte er den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj unter Druck, Gebietsabtretungen an Russland zu akzeptieren, verkündete das Ende der amerikanischen Waffenhilfe und hofierte Wladimir Putin in Alaska. Nun aber erklärt er Russland zum “Papiertiger”, der auf die Dauer “nicht gut aussehen” werde, und ermutigt die Ukrainer zur Rückeroberung ihrer russisch besetzten Gebiete. Wörtlich: “Mit Zeit, Geduld und der finanziellen Unterstützung von Europa sowie, besonders, der NATO ist die Rückkehr zu den ursprünglichen Grenzen vor Beginn des Krieges eine echte Option.”
Restrationalität in Trumps außenpolitischem Handeln
Kein Wunder, dass sich politische Analysten jetzt an der neusten Volte des US-Präsidenten in der Frage des Ukraine-Kriegs abarbeiten: Plappert der US-Präsident einfach nach, was ihm der letzte geschickte Gesprächspartner suggerierte, wie die russische Propagandamaschine jetzt verbreitet? Ist Donald Trump schlicht enttäuscht, weil Wladimir Putin ihn nach der Begegnung in Alaska so offensichtlich ins Leere laufen ließ und keinerlei Friedenswillen zeigt? Oder wittert der amerikanische Präsident lukrative Geschäfte für die US-Waffenindustrie, wenn die NATO mit europäischen Finanzen die Ukraine hochrüstet?
Gewiss hat Donald Trump selbst viel dazu beigetragen, dass viele ihn für sprunghaft, unberechenbar, opportunistisch und irrational halten. Dennoch lohnt sich die Mühe, nach einer Restrationalität in seinem außenpolitischen Handeln zu fahnden: Unstrittig ist, dass Trump von Anfang an einen schnellen Frieden in Osteuropa wollte, und zwar aus der richtigen Einsicht heraus, dass nicht Russland die ultimative Herausforderung auf weltpolitischer Bühne ist, sondern China. Nur ein Frieden in der Ukraine kann die Eiszeit zwischen Russland und dem Westen beenden, die Moskau völlig in die Arme Chinas getrieben hat. Anders formuliert: China hat im Hegemonialkonflikt mit den USA bessere Karten, wenn es Russland als loyalen Vasallen zur Seite hat.
Pragmatiker und Idealisten
Der Preis, den die Ukraine für eine Normalisierung der amerikanisch-russischen Beziehungen zu zahlen haben würde, war für Trump eher irrelevant. Doch das brachte ihn in Konflikt mit den Europäern, deren Ukraine-Politik nicht pragmatisch, sondern idealistisch ist – sich also an Fragen der Gerechtigkeit und des Völkerrechts orientiert. Irgendwann nach dem Alaska-Treffen jedoch musste der Pragmatiker Trump zur Kenntnis nehmen, dass Wladimir Putin auf seine Lockangebote nicht eingehen wird. Die Strategie, den russischen Bären mit ukrainischem Territorium zu sättigen, geht nicht auf, weil das Raubtier Putin unersättlich ist.
Trump will immer noch Frieden in der Ukraine, um die Hände frei zu haben für den weltweiten Hegemonialkonflikt mit Peking. Der Versuch, diesen Krieg zu beenden, indem Washington die Ukraine opfert und Putin belohnt, hat sich als klarer Fehlschlag erwiesen. Nun versucht es Trump umgekehrt: indem er die Ukraine stärkt und den Druck auf Russland erhöht. Das lässt nun viele in Europa aufatmen. Sie sollten aber Trumps Ziel nicht verkennen: Ob die Ukraine am Ende tatsächlich ihre russisch besetzten Gebiete zurückgewinnt, ist für ihn gar nicht ausschlaggebend. Deshalb sind auch Militäranalysen, mit welchen Wunderwaffen die Gegenoffensive erfolgen könnte, von begrenzter Reichweite. Wichtig ist dem US-Präsidenten allerdings, dass Putin die Kämpfe einstellt und sich auf Verhandlungen einlässt.
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