Gebet und weltkirchliche Hilfe
Christen im Heiligen Land – Der Alltag der angestammten Christen im Heiligen Land ist schwer und vielfach bedrückend. Wie halten sie in dieser Lage durch?
Gebet und weltkirchliche Hilfe | Die Tagespost
Palästinenserfahnen über dem Petersplatz | DOMRADIO.DE
Mirjam von Abellin – Wikipedia
“Kirche in Not” sichert Schulbildung von Tausenden Kindern und Jugendlichen weltweit
Reinhold Then
Ende August 2025 herrscht im Heiligen Land Aufbruchsstimmung. Die Schulferien in Israel und in Palästina (Westjordanland) sind zu Ende. Ein neues Schuljahr beginnt. Die meist kinderreichen Eltern müssen sich neu justieren. Darin unterscheiden sich die angestammten Juden, Christen und Muslime nicht. Israel und Palästina sind eine junge Gesellschaft mit einem Durchschnittsalter von 18 oder 19 Jahren. Das bedeutet, dass sich sehr viel um das junge Leben im Lande dreht.
Das Alltagsleben in Israel ist für alle deutlich leichter zu führen als in Palästina. Die Menschen auf dem Land zieht es in die Städte, weil dort ganz einfach mehr geboten wird. Auch die Schulzentren befinden sich in den Städten. Besorgte Eltern fahren daher ihre Kinder mit dem Auto direkt in die Schule und holen sie dort nach Schulschluss ab. Natürlich gibt es auch Buslinien, die benutzt werden. Doch der Verkehrsstau und das Hupkonzert vor den Schuleingängen und auf den Straßen sind täglich vorprogrammiert. Darin unterscheidet sich Israel von Palästina nicht, eine christliche Schule nicht von einer jüdischen oder muslimischen. In Zeiten des Krieges ist das tägliche Chaos nicht anders, die Nervosität nur noch etwas höher.
Schulgeld als größtes Problem
Als in den vergangenen Monaten vor allem in der Nacht die Raketen aus dem Iran oder aus dem Sudan über das a href=”https://www.die-tagespost.de/schlagwort/heiliges-land/” data-auto-event-observed=”true”>Heilige Land flogen, hatten es die Christen in Israel leichter als in Palästina. Die Regierung hatte ihnen schon viele Jahre zuvor den Bau eines Sicherheitsbunkers vorgeschrieben. So konnte man nun Zuflucht finden in Räumen, die man vor dem Krieg eher als Lagerraum genutzt hatte. In Palästina hörte man die pfeifenden Raketen über Betlehem fliegen, ohne jeden Schutzraum. Das war etwas anderes als die Raketen aus dem Gazastreifen, die sich gelegentlich bis nach Jerusalem oder Betlehem verirrten.
Einheimische Christenkinder besuchen zumeist christliche Schulzentren, ob dies nun in Betlehem und seinen Nachbarstädten Beit Jala und Beit Sahour oder in Nazareth und Jerusalem ist. Hier gibt es auch muslimische Kinder, von aufgeschlossenen Muslimen. Nicht zuletzt nimmt die Schulleitung diese gerne, weil die Eltern Schulgeld zahlen. In Zeiten langjähriger Arbeitslosigkeit ist das Schulgeld nämlich das größte Problem. Viele Eltern können ihr Schulgeld nicht bezahlen und den Schulleitungen fehlt das Geld, um ihre Lehrkräfte und den weiteren Unterhalt der sanierungsbedürftigen Einrichtungen zu bezahlen. Kindergeld und Sozialversicherungen gibt es in Palästina nicht. Israel dagegen zahlt Sozialversicherungen und staatliche Zuschüsse für konfessionelle Schulen.
In einem patriarchalen Schulzentrum in Betlehem zahlen Eltern jährlich etwa 1.200 Euro Schulgeld pro Kind und Schuljahr. Bei drei Kindern sind das 300 Euro Schulgeld pro Monat. Wie können Eltern so viel aufbringen, wenn sie drei Jahre ohne Einkommen sind? Die Schulleitungen in Betlehem erlassen oder reduzieren Eltern das Schulgeld in Härtefällen. Doch auch sie müssen schauen, woher sie Unterstützungen bekommen. Ein Ausweg wäre möglich: Eltern schicken ihre Kinder in staatliche Schulen, da gibt es kein Schulgeld. Doch wer möchte seine christlichen Kinder in einen Unterricht mit muslimischem Weltbild schicken? So ist dieser Ausweg nicht gangbar. Man bleibt lieber unter sich.
Olivenholzmanufakturen nur in Betlehem
Die vielen kirchlichen Einrichtungen – Schulen, Krankenhäuser, Altenheime, Pfarrzentren – ermöglichen oft bezahlte Halbtags- oder Vierteltagsstellen. Wenn zumindest einer in der Familie ein Einkommen hat, so wird er die Familie ernähren. Und dann gibt es noch die Großfamilie und den Familienverband, sie halten zusammen, wie es eben nur in Minderheitengesellschaften möglich ist.
Kinder wissen wenig über diesen Hintergrund. Sie verstehen aber, dass sie fleißig und gut sein müssen und dass sie später einmal studieren wollen. Und da tun sich tatsächlich gute Chancen auf, nicht nur an Hochschulen und Universitäten in kirchlicher Trägerschaft. Manche wollen gar im Ausland studieren und dann endlich die westliche Welt kennenlernen. Stipendien gibt es aber nur bei sehr guten Leistungen. Sowohl in der evangelischen Talita-Kumi-Schule in Beit Jala als auch in der katholischen Schmidt-Mädchen-Schule in Ostjerusalem kann man ein deutsches Abitur ablegen und hat beste Voraussetzungen, auch an einer deutschen Universität zu studieren – eine besondere Motivation für fleißige Schülerinnen und Schüler.
Christliche Schnitzerfamilien gibt es nur in Betlehem und seinen Nachbarstädten. Als Pilger kommt man an den großen Stores mit Olivenholzschnitzereien und Perlmutarbeiten nicht vorbei. Dort verkaufen die Händler den Pilgern, die meist in großen Bussen vorgefahren werden, gerne Olivenholzsterne, Handschmeichlerkreuze, Rosenkränze, Krippen klein oder groß – was das Herz begehrt. Da manche meisterhafte Künstler mit handwerklichen Fähigkeiten sind, ist für jeden etwas dabei. Die Händler der Stores verkaufen auch Produkte jener Schnitzer, die in ihren Wohnungen, Garagen oder Kellern unter einfachsten Bedingungen arbeiten, sich auf einzelne Teile wie Christbaumanhänger, Sterne oder Kreuze spezialisiert haben und hoffen, dass ihre Schnitzarbeiten ihren Lebensunterhalt sichern. Genauer gesagt, auch den ihrer Kinder, die in Schulen gehen, und ihrer Großeltern, die ohne Krankenversicherung zumindest lebensnotwendige Medikamente bezahlen sollen. Doch die Pilger bleiben seit drei Jahren aus und zuvor gab es zwei Jahre Corona-Lockdown.
Vertrauen in die göttliche Fürsorge
Gäbe es nicht den internationalen Exporthandel in die Weltkirche und die Solidarität vieler Pfarreien, so wären diese Schnitzer längst verhungert und das Olivenholzschnitzgewerbe in Betlehem ausgestorben. Olivenholzprodukte sind meist eine katholische Domäne. Orthodoxe Schreiber halten sich an die Ikonen für ihre orthodoxen Geschwister in der Weltkirche. Beide Konfessionen leben vom Zusammenhalt der Weltkirche.
Noch bedeutender ist das Vertrauen in die göttliche Fürsorge, die Kraft des Gebets und das Wissen um die gegenseitige Gebetsverbundenheit. So beginnen viele kirchliche Schulzentren ihren täglichen Schulbetrieb im Schulhof mit einem gemeinsamen Gebet. Erst dann rücken die Schülerinnen und Schüler in ihre Klassenzimmer ein und beginnen dort ihren Unterricht. Ein typisches Morgengebet ist das der Karmelitin Mariam von Jesus dem Gekreuzigten Baouardy, geboren in Abellin, in Obergaliläa, gestorben mit 32 Jahren in Betlehem, heiliggesprochen in Rom 2015. Es lautet:
“Herr Jesus, im Schweigen dieses anbrechenden Morgens komme ich zu Dir und bitte Dich mit Demut und Vertrauen um Deinen Frieden, Deine Weisheit, Deine Kraft. Gib, dass ich heute die Welt betrachte mit Augen, die voller Liebe sind. Lass mich begreifen, dass alle Herrlichkeit der Kirche aus Deinem Kreuz als dessen Nahrung entspringt. Lass mich meinen Nächsten als den Menschen empfangen, den Du durch mich lieben willst.”
Auch die Heilige Maria Alfonsina Ghattas vom Schulorden der Rosenkranzschwestern der Lateinischen Kirche ist eine wichtige Heilige für jedes Schulkind im Heiligen Land. So bleibt als Markenzeichen christlicher Hoffnung das Gebet. Viele Christen im Heiligen Land sind aufgrund ihrer Verhältnisse materiell verarmt, doch sie sind reich an Gebetskraft, ausgestattet mit dem Wissen, dort wohnen zu dürfen, wo Gott Mensch werden wollte.
Der Autor ist Vorsitzender des Hilfswerks “Christen helfen Christen im Heiligen Land”.
Hintergrund
Seit dem Ende des Osmanischen Reichs verläuft die demografische Entwicklung der Christen im Heiligen Land rückläufig. 2024 zählte das Statistische Büro Israels 9,9 Millionen Einwohner, darunter 7,3 Millionen Juden (73,2 Prozent) und zwei Millionen Araber (21,1 Prozent). Die Anzahl sonstiger Einwohner betrug 565.000 (5,7 Prozent). Die Religionszugehörigkeit der israelischen Bevölkerung betrug 73,6 Prozent Juden, 18,1 Prozent Muslime, 1,9 Prozent Christen und 1,6 Prozent Drusen. Die restlichen 4,8 Prozent umfassten Glaubensrichtungen wie Samaritaner und Baháí sowie “religiös nicht Klassifizierte”.
Die unbegrenzte Einwanderung jüdischer Menschen in den Staat Israel und das Verbot des Zuzugs nichtjüdischer Menschen hebt den Gesamtanteil der Juden im Land und senkt zwangsläufig den christlichen Teil. Mit der Staatsgründung 1948 wurde festgeschrieben, dass Juden aus allen Ländern in Israel willkommen sind. Ein zeitlich begrenzter Aufenthalt mit Gaststatus ist für Menschen anderer Religion in Israel möglich. Muslimische und orthodoxe, ultraorthodoxe sowie nationalreligiöse jüdische Familien zeugen deutlich mehr Kinder als christliche. Dazu kommt: Wer als Christ im Ausland eine beständige Bleibe findet, kehrt nicht zurück. Begünstigt wird die Auswanderung durch Verwandte, die sich bereits im Ausland gefunden oder organisiert haben. Viele orientalische Kirchen verfügen über eine kirchliche Jurisdiktion in der Diaspora. Wer sich als Staatsbürger zweiter Klasse empfindet und Diskriminierung wahrnimmt, von religiösen und rassistischen Extremisten gemobbt wird, sucht das Weite.
Die wirtschaftliche Situation ist in Israel kaum ein Grund zur Auswanderung, wichtiger ist die fachliche Qualifikation im Berufsleben. Die Marginalisierung der Christen im Westjordanland lässt sich in Zahlen ausdrücken: Das CIA-World Factbook West Bank gab für 2022 eine Gesamtbevölkerung von drei Millionen an: 2,4 Millionen Muslime und 50.000 Christen aller Konfessionen einschließlich der Bevölkerung Ostjerusalems. Etwa 432.000 israelische jüdische Siedler leben in der Westbank, rund 227 100 in Ostjerusalem (2019). Eine aktuelle Statistik zählt Anfang 2025 rund 529.455 Israelis in Siedlungen im Westjordanland.
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