Ein Hauch von Frieden und Menschlichkeit
Krieg im Gaza-Streifen – Kardinal Pierbattista Pizzaballa berichtet von seinem Besuch der Pfarrei der Heiligen Familie, die vor einer Woche unter Beschuss geriet. Der steinige Weg des Pfarrers Gabriel Romanelli
22.07.2025
Guido Horst
Es war ein erschütterndes Bild, das Kardinal Pierbattista Pizzaballa am Dienstag in Jerusalem von der Lage der Christen und aller Menschen gezeichnet hat, die in der katholischen Pfarrei zur Heiligen Familie in Gaza Zuflucht und Heimat gefunden haben. Der lateinische Patriarch hatte das Kriegsgebiet zusammen mit seinem Amtsbruder, dem griechisch-orthodoxen Patriarchen Theophilos III., aufgesucht, mit den Gläubigen und Pfarrer Gabriel Romanelli am Sonntag eine Messe in der Pfarrkirche gefeiert und berichtete nach seiner Rückkehr vor Journalisten von der Lage der Christen, die am Donnerstag vergangener Woche unter Beschuss der israelischen Armee geraten waren.
Der Papst beendet Ferien mit Friedensappell
“Patriarch Theophilos III. und ich sind mit gebrochenem Herzen aus Gaza zurückgekehrt”, sagte Pizzaballa. “Wir betraten einen Ort der Verwüstung.” In Höfen, Gassen, auf den Straßen und am Strand stünden die Zelte, die für diejenigen, die alles verloren haben, zu einem Zuhause geworden seien. Er und der orthodoxe Patriarch “standen inmitten von Familien, die den Überblick über die Tage ihres Exils verloren haben, weil sie keine Aussicht auf eine Rückkehr sehen. Kinder redeten und spielten, ohne mit der Wimper zu zucken – sie hatten sich bereits an den Lärm der Bomben gewöhnt.”
Christus kam auch bis Gaza
Aber der Ort der Verwüstung sei auch der Ort “einer wunderbaren Menschlichkeit”, meinte Pizzaballa weiter. Sie hätten etwas Tieferes als all diese Zerstörung gesehen: die “Würde des menschlichen Geistes, der sich nicht auslöschen lässt. Wir trafen Mütter, die Essen für andere zubereiteten, Krankenschwestern, die Wunden mit Sanftmut versorgten, und Menschen aller Glaubensrichtungen, die weiterhin zu dem Gott beteten, der sieht und niemals vergisst”.
Christus sei nicht abwesend in Gaza, so der Kardinal. “Er ist da – gekreuzigt in den Verwundeten, begraben unter Trümmern und doch gegenwärtig in jeder Geste der Barmherzigkeit, in jeder Kerze in der Dunkelheit, in jeder Hand, die sich den Leidenden entgegenstreckt.” Es sei an der Zeit, “diesen Unsinn zu beenden, den Krieg zu beenden und das Gemeinwohl der Menschen an oberste Stelle zu setzen”. Die anhaltenden Angriffe auf Gotteshäuser und friedliche Gläubige seien “schwere Verbrechen, die für jedes menschliche Gewissen inakzeptabel sind”. Die Pfarrei zur Heiligen Familie ist wie eine Oase. Wie das christliche Al-Ahli-Arab-Hospital, die Caritas und die vor Ort tätigen Orden sei sie Bezugspunkt “für alle”, wie Pizzaballa sagte, für “Christen, Muslime, Gläubige, Zweifler, Flüchtlinge, Kinder”.
Pater Romanelli und die Hoffnung
Der Geistliche der Pfarrei, Pater Gabriel Romanelli, der bei dem Beschuss vor einer Woche selbst verwundet wurde, ist dabei wie der Vater einer großen Familie, die in Zeiten der Not und des Kriegs enger zusammenrückt. Die Ordenskürzel “IVE” hinter seinem Namen deutet an, dass er einer nicht sehr bekannten geistlichen Gemeinschaft angehört. Der 55-jährige Argentinier italienischer Abstammung gehört dem 1984 in Argentinien gegründeten “Institut des fleischgewordenen Wortes” (IVE) an.
Noch vom Krankenhaus aus rief Papst Franziskus den Pater an, so wie er es in den Wochen und Monaten zuvor fast täglich gemacht hatte. Die abendlichen Anrufe von Franziskus um 20 Uhr seien für ihn und die Gemeinde zur “Papststunde” geworden, sagte Pater Romanelli, als er in den letzten Lebenstagen des argentinischen Papstes den Medienleuten des Vatikans einen Lagebericht durchgab: “Mehr als der Mangel an Nahrungsmitteln, Trinkwasser und Medikamenten, mehr als die Gefahr für unsere Sicherheit macht es mir Sorgen, dass die Hoffnung nicht verloren geht”, sagte er am Telefon. Er meinte jene Hoffnung, “dass dieser verfluchte Krieg endet, dass der Frieden zurückkehrt, dass wir in diesem Land bleiben und die zerstörten Häuser wieder aufbauen können.” Besonders dramatisch sei der Mangel an Medikamenten für chronisch Kranke: “Keine Windeln, keine Herzmittel, keine Insulinpräparate – das ist die Realität.” Doch inzwischen hat sich die Notlage nochmals deutlich verschlimmert.
Als die Kämpfe zwischen Israel und der Hamas am 7. Oktober 2023 ausbrachen, war Pater Gabriel mit seinem Patriarchen Pizzaballa in Rom, wo dieser gerade die Kardinalswürde empfangen hatte. Erst als Pizzaballa im Mai 2024 von den israelischen Behörden die Erlaubnis erhielt, die Pfarrei in Gaza zu besuchen, begleitete ihn Romanelli und kam so zu seiner Gemeinde zurück. Er hätte auch “draußen” bleiben können, etwa in Bethlehem, von wo aus er vor dem Krieg die Gaza-Gemeinde betreut hatte. Seit über einem Jahr harrt der Pater an einem Ort aus, an dem sich brutale Gewalt, aufgestaute Wut und abgründiger Hass austoben.
Mutig die Versöhnung wagen
Die israelische Führung will die Terrorbande der Hamas ein für alle Mal ausschalten. Aber die Hauptlast trägt die palästinensische Bevölkerung. Ob es da je zu einer Versöhnung zwischen Juden und Palästinensern kommt, hängt auch von Orten wie der katholischen Pfarrei zur Heiligen Familie ab, wo Menschlichkeit auch in Zeiten des Krieges erfahrbar geblieben ist – als Pfand für eine bessere Zukunft.
Als Kardinal Pizzaballa am Dienstag sein Statement vor den Journalisten beendete, wagte er einen Blick in die Zukunft, die aber keine leichte sein wird: “Wenn dieser Krieg vorbei ist”, so der Patriarch, “steht uns ein langer Weg bevor, um den Prozess der Heilung und Versöhnung zwischen dem palästinensischen und dem israelischen Volk zu beginnen, der von den allzu vielen Wunden geprägt sein wird, die dieser Krieg in den Leben so vieler Menschen hinterlassen hat: eine echte, schmerzhafte und mutige Versöhnung. Nicht vergessen, sondern vergeben. Nicht Wunden auslöschen, sondern sie in Weisheit verwandeln. Nur ein solcher Weg kann Frieden ermöglichen – nicht nur politisch, sondern auch menschlich.”
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