Die Rückkehr des Papstes
Der erste Auftritt Leos XIV. in Castel Gandolfo geriet zu einem Sommerfest. Doch ein wenig sind die Ferientage über dem Albaner See auch ein päpstliches Politikum
14.07.2025
Papst Leo hatte soeben erst den Angelus gebetet. Dann verschwand er genau hinter dem Tor, das am 28. Februar 2013 Benedikt XVI. verschluckt hatte. Ein zwölfjähriges Intermezzo ist beendet. Der Papst ist nach Castel Gandolfo zurückgekehrt. Und was war das für ein Fest! Schon am 6. Juli war Leo XIV. still und leise in der Sommerfrische der Päpste hoch über dem Albaner See eingetroffen. Nicht im Apostolischen Palast an der Piazza della Libertà, sondern in der etwa 500 Meter weiter entfernten Villa Barberini. Dort hatte er am Mittwoch darauf den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj empfangen. Ansonsten hatten die Bewohner des idyllischen Orts in den Albaner Bergen noch nicht viel von ihrem Feriengast gesehen.
Das sollte sich dann am Sonntag ändern. Schon um 8 Uhr in der Früh – die heilige Messe begann erst um 10 – glich Castel Gandolfo einer belagerten Festung. Carabinieri, Polizei, Katastrophenschutz, freiwillige Helfer und die Mitarbeiter einer Event-Agentur hatten einen undurchdringbaren Ring um die historische Altstadt gezogen. Drei Sicherheitskontrollen galt es zu überwinden. Nur langsam füllte sich die Piazza della Libertà, an der auch die Kirche San Tommaso da Villanova liegt, in der Papst Leo den Gottesdienst feiern sollte.
Ein Jubel, der geradezu frenetisch war
Nicht nur Einwohner aus den Städtchen und Borgos der Albaner Berge waren gekommen. Und nicht nur Römer. Pilger aus Chiclayo in Peru und Absolventen einer Militärakademie der Carabinieri waren ebenso dabei wie Polen, die ein von dem Straßengewirr völlig überforderter Reisebus abgeladen hatte, Spanier und Philippinos, ein Chor aus Frankreich und Gläubige der Diözese Bergamo. Viele von denen, die an diesem Wochenende Rom zum Heiligen Jahr auf dem Programm hatten, waren rechtzeitig aufgebrochen, um den Papst etwas weiter weg in Castel Gandolfo auf der Piazza della Libertà zu begrüßen – mit einem Jubel, der geradezu frenetisch war.
Papst Leo kam herangerollt – schnurstracks die enge Straße hoch von der Villa Barberini zum Platz vor der Kirche San Tommaso. In einem offenen Gefährt, das der “Barista” eines Cafés, das direkt am Weg lag, später nicht als Auto (macchina), sondern als “macchinetta” – Maschinchen – bezeichnete. Der Fuhrpark des Vatikans an “Papamobilen” scheint unermesslich und für alle Straßenprofile gerüstet zu sein. Schon jetzt nahm der Papst sein Bad in der Menge, später, von der Kirche San Tommaso, die sich wohl als einziges Gotteshaus in der Welt “päpstliche Pfarrei” nennen darf, zum Apostolischen Palast, ging es zu Fuß.
Ausgehend vom Gleichnis des barmherzigen Samariters predigte Leo XIV. über den “Blick voller Mitleid”, das “Sehen mit den Augen des Herzens, mit einem tiefergehenden Blick, mit einer Empathie, die es uns ermöglicht, uns in die Situation des anderen hineinzuversetzen und innerlich an ihr Anteil zu nehmen, die uns berührt, erschüttert und unser Leben und unsere Verantwortung hinterfragt”. Wahre Geschwisterlichkeit reiße Mauern und Zäune ein, und schließlich schaffe sich die Liebe Raum und werde stärker als das Böse und der Tod.
“Heute brauchen wir diese Revolution der Liebe”
“Heute brauchen wir diese Revolution der Liebe”, sagte der Papst. Heute lägen viele Menschen “am Wegesrand”, die von Schwierigkeiten belastet oder von den Umständen ihres Lebens verwundet sind. “Es ist der Weg vieler Völker, die entblößt, ausgeraubt und geplündert wurden, Opfer unterdrückender politischer Systeme, einer Wirtschaft, die sie in die Armut zwingt, des Krieges, der ihre Träume und ihr Leben zerstört.”
Sehen wir weg?, fragte Papst Leo. Betrachten wir “nur diejenigen als unsere Nächsten, die zu unserem Umkreis gehören, die genauso denken wie wir, die dieselbe Nationalität oder Religion haben? Aber Jesus kehrt diese Sichtweise um, indem er uns einen Samariter vor Augen stellt, einen Fremden und Ketzer, der sich zum Nächsten dieses verwundeten Mannes macht. Und er verlangt von uns, dasselbe zu tun”.
Nach dem Gebet des Angelus zog sich Papst Leo in den Apostolischen Palast zurück, in dem Benedikt XVI. die ersten Wochen als Emeritus verbracht hatte. In jener Zeit suchte ihn auch Franziskus auf – das einzige Mal, dass der Jesuiten-Papst den Fuß in die Ferien-Residenz der Päpste setzte. Dann kehrte er Castel Gandolfo für immer den Rücken. Aus dem päpstlichen Appartement wurde ein Museum. Heute ziehen Touristen mit fotobereiten Smartphones durch die Audienz-und Empfangsräume der Päpste aus vier Jahrhunderten, laufen am Bett Benedikts XVI. vorbei, sehen den Bayern-Wimpel, der immer noch im Stiftehalter auf dem Schreibtisch von Privatsekretär Georg Gänswein steckt, und machen Fotos von der Privatkapelle des deutschen Papstes.
Franziskus’ Schritt war ein Politikum
Die Umwandlung der Privaträume seines Vorgängers in eine Touristenattraktion durch Papst Franziskus war für viele ein Politikum. Und zwar kein sehr edles, eher eine Demonstration der Ablehnung des Lebensstils Papst Benedikts. Und darum ist auch die Rückkehr von Leo XIV. in die päpstlichen Villen von Castel Gandolfo eine Geste, die manche als Demonstration verstehen: So wie der Papst aus Amerika auch die Räume Benedikts im dritten Stock des Apostolischen Palasts in Rom wieder beziehen will, so ist auch die Rückkehr Leos nach Castel Gandolfo für viele ein Zeichen dafür, dass der Papst aus Amerika Traditionen wieder aufnehmen will, mit denen Franziskus gebrochen hatte.
Was Leo XIV. am Sonntag im Apostolischen Palast gemacht hat, weiß man nicht genau – eben weil es jetzt der Ort eines Museums ist. Vielleicht ist der Papst über verschlungene Wege bald wieder in die Villa Barberini zurückgekehrt. Das ganze Gelände der päpstlichen Villen in Castel Gandolfo ist völlig anders strukturiert als etwa der kleine Staat der Vatikanstadt in Rom, in dem vom Apostolischen Palast über den Petersdom und die Synodenaula bis zu der Gartenanlage mit ihren Villen und Türmen alles auf einem Areal von 0,44 Quadratkilometern beieinanderliegt. Die päpstlichen Grundstücke in Castel Gandolfo dagegen werden von Straßen getrennt, ergeben kein zusammenhängendes Ganzes, weil sie im Laufe von 400 Jahren durch Zukäufe und Erwerb zusätzlicher Villen immer wieder erweitert wurden. Anders als vom kleinen Kirchenstaat in Rom gibt es von dem päpstlichen Besitz in Castel Gandolfo auch keine Karte – selbst Google Maps versagt.
Als man jetzt erfuhr, dass Leo XIV. die Villa beziehen wird – provisorisch oder für immer? –, musste man sie zunächst suchen. Wie auch die landwirtschaftliche Ausbildungsstätte im “Borgo Laudato Si” in den Gärten der päpstlichen Villen für den ortsfremden Besucher nicht genau zu lokalisieren ist. Dort hatte Leo XIV. am dritten Tag nach seiner Ankunft mit einigen Bischöfen und Mitarbeitern des Ökologie-Projekts zum ersten Mal eine Messe “zur Bewahrung der Schöpfung2 gefeiert, nach einem Messformular, das das Liturgie-Dikasterium am Pfingstsonntag in Kraft gesetzt hatte.
Auch in den Ferien arbeitet der Papst
Ob Papst Leo in den kommenden Jahren in der Villa Barberini bleiben wird, um einen Kurzurlaub in den Albaner Bergen zu verbringen, oder ob er das Museum im Apostolischen Palast wieder zurückbauen lässt und so den traditionellen Sommersitz der Päpste wieder mit Leben füllt, weiß man nicht. Nur eins weiß man schon jetzt: Auch in den Ferien hat Papst Leo seine Arbeit fortgesetzt. Noch am Samstag hatte er etwa 200 Ordensfrauen von Generalkapiteln und Versammlungen mehrerer geistlicher Frauengemeinschaften empfangen – allerdings nicht in der Villa Barberini, sondern im Innenhof des Apostolischen Palasts.
Der Papst scheint mit Bedacht alles zu prüfen und selbst erleben zu wollen, was sich rund um die päpstlichen Residenzen in Castel Gandolfo dreht. Für endgültige Entscheidungen nimmt sich dieser Papst viel Zeit. Einige reifen vielleicht jetzt – in den ruhigeren Tagen hoch über dem Albaner See.
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