Die Union und die neue Lust an der Selbstzerstörung
Die Debatte um die Besetzung der freiwerdenden Richterstellen am Bundesverfassungsgericht offenbart den fehlenden Gestaltungswillen der Union und ist Wasser auf die Mühlen der AfD
Quelle
Bundesverfassungsgericht: Malteser fürchten weitreichenden Wertewandel | Die Tagespost
“Menschenwürde auch schon im Mutterleib” | Die Tagespost
07.07.2025
Eigentlich ist es unfassbar. Seit Tagen berichtet nicht bloß die “Tagespost”, sondern nahezu die gesamte bürgerliche Presse (FAZ, Welt, Bild, Focus, NZZ) kritisch über den Wunsch der SPD-Fraktion, die ultralinke Jura-Professorin Frauke Brosius-Gersdorf zur Bundesverfassungsrichterin zu küren und nun kündigte CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann via “Augsburger Allgemeine” Unterstützung für deren Wahl an.
Noch dazu mit Argumenten, die an den Haaren herbeigezogen sind und sich zudem beinah wortgleich in einem Schreiben finden, die der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Steffen Bilger (CDU) Ende letzte Woche an die Mitglieder der Fraktionsgemeinschaft versandte, wie die “Tagespost” berichtete.
Primitiver Phrasen-Dresch
Laut Hoffmann geht es bei den Richterwahlen “um die Handlungsfähigkeit unserer Demokratie”. Und: In Zeiten, in denen die radikalen Ränder im Bundestag so stark seien wie nie “brauche es ein geschlossenes Votum der Parteien der Mitte, um die Funktionsfähigkeit des höchsten deutschen Gerichts sicherzustellen”.
Das klingt nicht nur nach reichlich primitivem Phrasen-Dresch. Daran ist auch noch so gut wie alles falsch. Was ironischerweise niemand besser wissen könnte als die Union selbst. Denn die zog Anfang des Jahres ihren Kandidaten für die Nachfolge des Bundesverfassungsrichters Josef Christ aufgrund des Widerstandes der Bündnisgrünen zurück, weil denen dieser zu konservativ war. Daraufhin präsentierten die Richter des Bundesverfassungsgerichts – wie im Gesetz vorgeschrieben – eine Liste mit ihren Kandidaten, von denen sich die Union den Obersten zu eigen machte, nämlich den Vorsitzenden Richter des Bundesarbeitsgerichts, Günter Spinner.
Am Nasenring durch die Manege
Warum dasselbe Verfahren nicht auch bei den von der SPD erwählten, ultralinken Juraprofessorinnen Ann-Kathrin Kaufhold und Frauke Brosig-Gersdorf zum Zuge kommen soll, erschließt sich niemandem. Denn wenn links der Mitte stehende Parteien ihnen als zu konservativ erscheinende Kandidaten für das oberste deutsche Gericht ablehnen können, warum sollen sich dann nicht rechts der Mitte wähnende Parteien wie die CSU erlauben dürfen, ultralinke Kandidaten abzulehnen?
Es ist geradezu erbärmlich, dass der kleinere Koalitionspartner Kandidaten präsentiert, die auch die Linkspartei gut und gerne hätte vorschlagen können, und der CDU/CSU bislang nicht anderes einfällt, als sich wie ein Elefant im Zirkus von SPD-Chef Lars Klingbeil und seinen Genossen am Nasenring durch die Manage führen zu lassen.
Strategischer Fehler, der seinesgleichen sucht
Abgesehen davon, dass dies einen mangelhaften Gestaltungswillen dokumentiert, ist es auch ein strategischer Fehler, der seinesgleichen sucht. Denn sich bei der Richterwahl von der SPD in Geiselhaft nehmen zu lassen, stärkt alle anderen Parteien – einschließlich der AfD – und schadet nur einem: der Union.
Bei aller Politik-Verdrossenheit, die in Wirklichkeit oft lediglich eine Politiker-Verdrossenheit ist, gilt es, sich eines immer wieder klarzumachen: “Macht” meint das Vermögen, etwas “machen zu können” und das ist zunächst etwas Gutes. Natürlich kann man dieses Vermögen auch dazu verwenden, etwas Schlechtes oder gar Katastrophales zu bewirken. Und Letzteres wäre der Fall, wenn die Union sich auf den Kuhhandel mit SPD einließe, statt von ihr zu verlangen, dass sie Kandidaten präsentiert, denen auch sie ruhigen Gewissens zustimmen kann und die ihre Stammwähler nicht der AfD in Scharen in die Arme treiben. Zumal es in der Sache, wie die Tagespost berichtete, überhaupt keine Eile gibt. Aktuell muss nur der Nachfolger von Josef Christ gewählt werden. Aber wer weiß, vielleicht hat sich die Union ja auch schon längst aufgegeben. So viel Lust an der Selbstzerstörung hat man jedenfalls selten gesehen.
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.
Themen & Autoren
Stefan Rehder
Alternative für Deutschland
Bundesverfassungsgericht
CDU
CDU/CSU-Bundestagsfraktion
CSU
Deutscher Bundestag
Lars Klingbeil
SPD
Schreibe einen Kommentar