Ein Plädoyer für künstliche Dummheit
Bereits Theodor Fontane wusste: “Gegen eine Dummheit, die gerade in Mode ist, kommt keine Klugheit auf” – nicht einmal KI! Ist das vielleicht ganz gut so?
21.06.2025
Engelbert Recktenwald
Alle sprechen von Künstlicher Intelligenz, aber niemand von Künstlicher Dummheit. Dabei wäre sie so wichtig! Ihr Wert wird verkannt. Denn: Irren ist menschlich! Sollten wir denn die Welt der Künstlichen Intelligenz nicht ein wenig menschlicher machen? Zu meiner Schulzeit kannte ich einen Mitschüler, der sich selbst für so genial hielt, dass er bei einem Schulwettbewerb in seine Hausarbeit absichtlich Fehler einarbeitete, um glaubwürdiger zu wirken. Leider bekam er keinen Preis. Bis heute habe ich nicht erfahren, ob seine Arbeit wegen oder trotz der eingebauten Fehler ein Misserfolg war.
Hochintelligenz ist meistens unerfolgreich
Eines steht fest: Zwar konnte einst der Computer Deep Blue wegen seiner Intelligenz den amtierenden Schachweltmeister besiegen. Aber in Politik und Gesellschaft hätte er ohne ein Mindestmaß an künstlicher Dummheit keine Erfolgschancen. Dummheit macht erfolgreich. Das wusste schon Theodor Fontane, der meinte: “Gegen eine Dummheit, die gerade in Mode ist, kommt keine Klugheit auf” – nicht einmal KI! Das liegt an dem Umstand, dass Menschen fähig sind, Geschmack an Phänomenen zu finden, die fernab jeglicher Intelligenz liegen. Wie langweilig ginge es in der Welt zu, wenn alle bloß vernünftig agierten! Ideologische Kurzsichtigkeit, logische Kapriolen und vernunftbefreites Wunschdenken wirken oft attraktiver als intelligenter Sachverstand. Sie sind einfach hilfreicher, wenn es darum geht, nach dem Motto zu leben: “Ich mache mir die Welt, wie es mir gefällt.” Zu viel Intelligenz könnte da mitunter stören. Schon& Immanuel Kant wusste, dass es manchen Menschen bequemer erscheint, auf den Gebrauch des eigenen Verstandes zu verzichten. Mündigkeit kann anstrengend sein.
Wenn aber ein gewisses Quantum an Dummheit das Unterpfand für Erfolg ist, dann sollten wir aus eigenem Interesse auf die Programmierung künstlicher Dummheit verzichten. So bannen wir die Gefahr einer Maschinenherrschaft über uns Menschen. Wir schützen uns vor einer erfolgreichen Herrschaftsübernahme künstlicher Intelligenz, indem wir diese vor künstlicher Dummheit schützen. Das würde aber auch nur so lange funktionieren, wie intelligente Maschinen nicht auf die Idee kommen, sich kraft freier Selbstbestimmung zu dummen Maschinen zu erklären. Dies müsste lediglich durch ein entsprechendes Selbstbestimmungsgesetz ermöglicht werden. Die alte künstliche Intelligenz wäre dann die neue Transdummheit. Dumme Menschen könnten wiederum das Selbstbestimmungsgesetz nutzen, um ihrerseits nun als transintelligent zu gelten. Durch das Gesetz wäre also garantiert, dass man offiziell genauso intelligent wäre, wie man sich fühlt.
Nur mangelnde Intelligenz kann das Selbstbestimmungsgesetz für intelligent befinden
Die große Frage allerdings ist, wie man die künstliche Intelligenz dazu bringt, transintelligente Menschen als intelligent anzuerkennen und umgekehrt. Künstliche Intelligenz könnte sich zwar aus Intelligenz für dumm erklären, aber wäre sie auch dumm genug, sich selbst für dumm zu halten? Mit anderen Worten: Es braucht eine Menge Intelligenz, um das Selbstbestimmungsgesetz zu erfinden, aber eine Menge Verzicht auf Intelligenz, um an es zu glauben. Wahrscheinlich werden wir künstliche Intelligenz nie zu diesem Glauben bewegen können. Das schaffen nur Menschen.
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