Georgien – Klosterkultur inmitten einer erhabenen Bergwelt
Die alte “Georgische Heerstraße” führt von Mzcheta in den Kaukasus. Sie beeindruckt durch steinerne Glaubenszeugnisse in atemberaubender Landschaft *UPDATE
Quelle
Georgische Heerstraße – Wikipedia
Dschwari (Kloster) – Wikipedia
Gergetier Dreifaltigkeitskirche – Wikipedia
Amazon.de : Knut Hamsun
*“Voll der Würde”: Ein Besuch bei der Caritas Georgien – Vatican News
05.05.2025
Malte Heidemann
Der Name “Georgische Heerstraße” wirkt martialisch. Historisch gesehen hat die Bezeichnung dieser wichtigen kaukasischen Verkehrsachse aber ihre Berechtigung, war sie doch seit alter Zeit eine für Militär und Handel bedeutende Nord-Süd-Verbindung von Russland in die alte georgische Königsstadt Mzcheta und weiter in die heutige Hauptstadt Tiflis. Mittlerweile hat die Strecke ihre Anmutungen von Armeeaufmarsch und Krieg verloren. Auf ihr eröffnen sich Ausblicke in eine atemberaubende Kaukasuslandschaft. Aber nicht nur das – auch Kulturschätze lassen sich rechts und links der auf georgischer Seite etwa 150 Kilometer langen Straße bewundern.
Bereits Mzcheta, von wo aus die Herrscher Georgiens fast ein Jahrtausend lang ihr Reich regierten, die erste Station knapp 30 Kilometer nördlich von Tiflis, hat ein reiches kulturelles Erbe. Wenngleich sie von den Massiven des Kaukasus noch ein ganzes Stück entfernt liegt, ist sie eingebettet in eine bezaubernde Landschaft an der Mündung des Aragwi in die Kura, den größten kaukasischen Fluss. Hierzu passt die herzliche Begrüßung, die der Autor von seinem Gastgeber Grigori erfährt – er wird ihn am folgenden Tag auch nach Stepanzminda kurz vor der russischen Grenze fahren und dabei immer wieder sein Wissen aufblitzen lassen.
Zwei Kirchen und ein Glockenturm samt Festungsanlagen
Hoch auf einer Anhöhe ist von vielen Stellen der Stadt aus die rund anderthalb Jahrtausende alte Jwari-Kirche sichtbar. Einen eindrucksvollen Panoramablick genießt man wiederum von oben auf Stadt und Flussmündung. Sowohl die Jwari-Kirche selbst als auch Sweti Zchoweli, das bedeutendste Gotteshaus im Stadtzentrum, in dem einige der georgischen Könige ihre letzte Ruhestätte gefunden haben, gehören zum UNESCO-Weltkulturerbe. Sie haben wesentlichen Anteil am Charme und der Würde von Mzcheta.
Die Straße Richtung Norden führt erst einmal durch unscheinbares und meist flaches Land. Nach rund 40 Kilometern passiert die Strecke den von bewaldeten Hügeln umgebenen Shinwali-Stausee mit dem hier intensiv grünblauen Wasser des Aragwi, der aus den nahen Bergen herabkommt. In Ananuri wacht am Ufer eine Festung aus dem 17. Jahrhundert, als Osmanen und Perser die Kaukasusregion zu erobern strebten. Von der nach Süden hin ansteigenden Brücke öffnet sich ein erneut eindrucksvoller Rundblick mit dem historischen Gebäudekomplex im Vordergrund und dem See dahinter – oder genauer mit den höhergelegenen Teilen der Festung, denn die unteren Gebäude sind samt dem dazugehörigen Dorf geflutet worden, als man den Stausee Mitte der 1980er-Jahre anlegte. Das, was übriggeblieben ist, lohnt einen Besuch: Zwei Kirchen und ein Glockenturm samt den Festungsanlagen verleihen dem Ensemble einen geistlichen Charakter, der keineswegs die ganz irdische Sicherheit vergisst. Immerhin waren die damaligen Invasoren muslimischen Glaubens, und so ging es für die Einheimischen auch darum, das christliche Erbe Georgiens zu verteidigen.
China investiert in eine gewaltige Trasse
Folgt man der ehemaligen Heerstraße weiter in Richtung Norden, so wandelt sich die Szenerie allmählich in eine Gebirgslandschaft, die noch einiges erwarten lässt. In Pasanauri ungefähr 30 Kilometer nach Ananuri macht Grigori auf den Zusammenfluss der beiden Arme des Aragwi aufmerksam, des Schwarzen und des Weißen. Letzterer ist reich an hellem Schlamm, während Ersterer klares Wasser führt, das den Blick auf den dunklen Grund erlaubt und die Namensgebung verständlich macht. In dieser Gegend sind immer wieder Stände am Straßenrand zu sehen, an denen Einheimische lokale Souvenirs verkaufen, darunter den sehr schmackhaften Honig kaukasischer grauer Bienen.
Bei Kwesheti, bereits inmitten kaukasischer Felswände, fallen die Brücke und die Einfahrt zu einem kühnen Tunnelbau auf, vor dem schwere Maschinen mit chinesischen Schriftzeichen aufragen. Firmen aus dem Reich der Mitte bauen hier eine Trasse durch mehrere Bergmassive, die den berühmt-berüchtigten Kreuzpass nach Stepanzminda abkürzen und die Fahrt in den Wintermonaten sicherer machen soll. Insgesamt sind fünf Tunnel und sechs Brücken für den neuen Nord-Süd-Korridor geplant. Auf die Frage, wer denn die Kosten für den aufwendigen Bau trage, der georgische Staat oder der chinesische, schwankt Grigori und optiert schließlich salomonisch für eine Kostenteilung zwischen beiden. Wie dem auch sei – China scheint sich im Kaukasus zu engagieren, um dort seine geostrategischen Interessen geltend zu machen, unabhängig davon, ob die Orientierung Georgiens in Richtung Europa am Ende gelingt oder nicht. Wie gewaltig diese Trasse durch die Berge ist und wie groß zugleich ihr verkehrstechnischer Nutzen sein dürfte, lässt sich erahnen, als nach ungefähr einer Stunde auf der alten Strecke bei Kobi der dazugehörige Tunnelausgang erscheint.
Die Tiefe zieht und zieht
Knapp unterhalb des Kreuzpasses liegt Gudauri, ein kleiner Skiort für eine eher wohlhabende Klientel, der bis zur Fertigstellung des Nord-Süd-Korridors noch unter dem Verkehr leidet, häufig auch schwerer Lastwagen. Eine Aussichtsplattform aus der sowjetischen Zeit mit einer sozialistisch anmutenden, aber zugleich ansprechenden halbkreisförmigen Mosaikwand über der Balustrade eröffnet eine traumhafte Sicht in die umgebende Bergwelt. Drachenflieger drehen hier ihre Runden am Himmel. Es müssen solche Ausblicke gewesen sein, die zahlreiche Schriftsteller verzaubert haben, die hier vorbeikamen und ihre Eindrücke literarisch verarbeiteten, darunter die Russen Tolstoi, Tschechow und Gorki.
Auch der Norweger Knut Hamsun passierte den Kreuzpass 1899 auf dem Weg in den südlichen Kaukasus und in die Türkei von Norden her und hielt seine Erinnerungen in dem Reisebericht “Im Märchenland” fest. “Der Weg”, so schreibt er, “wird nun wilder als je zuvor und die eisernen Dächer mehren sich: Im Frühling, zur Zeit der Schneeschmelze, rasen gewiss ganz nette Lawinen über diese Dächer hinweg. Zur Linken sehen wir nichts anderes als das bisschen Mauer und draußen den Abgrund. Ich habe nie in meinem Leben solche Abgründe gesehen, ich muss ab und zu aussteigen und zu Fuß gehen und halte mich dann dicht an der Seite des Berges. Aber die Tiefe zieht und zieht. Ich sehe dann und wann hinunter und entdecke durch das Fernglas drunten in der Tiefe winzige Ackerflächen. Wenn ich im Wagen sitze, halte ich mich gut fest.” Immerhin musste sich Hamsun zu seiner Zeit in der Pferdekutsche fortbewegen, was heutigen Reisenden glücklicherweise nicht mehr abverlangt wird.
Nachdem der höchste Punkt auf der Strecke passiert ist, schlängelt sich die Trasse zwischen schroffen Bergen weiter – ihre Ausblicke hinterlassen beim Betrachter Ehrfurcht vor der Natur und denen, die diese Straße gebaut haben.
Dort thront der Kasbek
Stepanzminda, das unter den Sowjets Kasbegi hieß, ist eine demgegenüber eher unspektakuläre größere Ortschaft in den Bergen. Was es so anziehend macht, ist das Panorama zur Linken der Straße: Dort, man wird versucht zu sagen, thront der Kasbek, einer der höchsten Berge des Kaukasus, mit seinen etwas über 5 000 Metern höher als der Mont Blanc. Sein nördlicher Teil gehört bereits zu Russland, dessen Grenze nur wenige Kilometer von Stepanzminda entfernt verläuft. Seitlich vor dem Kasbek und vom Ort deutlich erkennbar liegt auf dem Berg Kwemi Mta auf bereits knapp 2 200 Metern Höhe das Kloster Zminda Sameba, von dem man glauben könnte, es ruhe gut geschützt zu Füßen eines mächtigen Riesen, der es aufmerksam bewache. Von Stepanzminda aus ist es bequem mit dem Fahrzeug zu erreichen – die eindeutig bessere Wahl ist allerdings ein Fußmarsch auf einem ausgeschilderten Pfad inmitten einer bezaubernden Landschaft durch den Wald hinauf. Immer wieder lugt der Kasbek zwischen den Bäumen hindurch und oben angelangt wird die Mühe des Aufstiegs vom erhabenen Anblick des Klosters auf einer Kuppel am Rande eines Hochplateaus belohnt. Der Gebäudekomplex mit Kreuzkuppelkirche und Glockenturm stammt aus der Zeit der Kriege gegen die Mongolen in der Mitte des 14. Jahrhunderts, als die Georgier häufig den Schutz der Berge suchten. Heute zieht es zum Fest Mariä Entschlafung am 28. August nach dem gregorianischen Kalender Wallfahrer an, die zu seinen Füßen ein rauschendes Fest feiern.
In der Marshrutka, einem Kleinbus, zurück nach Tiflis trifft der Autor eine Georgierin, die auf Zypern lebt und arbeitet. Sie sagt, sie komme jedes Jahr zur Erholung nach Stepanzminda. Wer schon einmal dort war, versteht warum.
Der Autor arbeitet als freier Journalist und Lektor und lebt in Berlin. Er ist studierter evangelischer Theologe und promovierter Historiker.
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