Unser Hirte geht heim

Ex-Gardisten würdigen Franziskus: Unser Hirte geht heim – Die ehemaligen Schweizer Gardisten David Meier und Romano Pelosi haben unter Papst Franziskus gedient. Wir veröffentlichen einen Nachruf, den sie auf ihn verfasst haben. Romano Pelosi, der nach seinem Dienst in der Päpstlichen Schweizergarde auch Praktikant in unserer Redaktion war, berichtet zudem auch im Audio-Interview

Quelle
Schweizergarde (200)
Papst Franziskus (564)

Unser Hirte geht heim: Ein Nachruf von ehemaligen Schweizergardisten

David Meier und Romano Pelosi – Rom / Basel*

Er war nicht nur Papst, sondern auch Vater, Hirte und ein Mensch mit offenem Herzen: Mit dem Tod von Papst Franziskus verliert die Kirche nicht nur ihren geliebten Bischof von Rom, sondern auch einen mutigen Brückenbauer, einen visionären Nachfolger des Apostelfürsten Petrus und einen Hirten, der die Nähe zu seiner Herde nie gescheut hat. Zu dieser Herde gehörten auch wir, die Päpstlichen Schweizergardisten, die Franziskus auf Schritt und Tritt begleitet haben und ihn hautnah erleben durften. Ein Nachruf ehemaliger Gardisten auf unseren Papst, dem wir tapfer und treu gedient haben.

Zu den vielen Pflichten eines Schweizergardisten gehört das Verständnis des Annuario Pontificio. Das Annuario ist das jährlich erscheinende, über 2.000 Seiten starke Jahrbuch des Heiligen Stuhls und dient als umfassendes Verzeichnis der römisch-katholischen Kirche. Es enthält unter anderem eine chronologische Auflistung aller Päpste seit dem Apostel Petrus und führt sämtliche Kardinäle und Bischöfe samt ihrer Diözesen auf. Die schiere Fülle des Bandes lässt leicht übersehen, was gleich auf der ersten Seite steht – dort, wo neben dem offiziellen Porträt des regierenden Pontifex auch seine vollständige Titulatur verzeichnet ist. Diese Titel klingen ehrwürdig, ja erhaben: Stellvertreter Christi, Nachfolger des Apostelfürsten, Souverän des Staates der Vatikanstadt – und doch erscheinen sie dem neuen Gardisten zunächst abstrakt, beinahe überhöht.

Was es bedeutet, als einzelner Mensch ein Amt mit solch gewichtigen Bezeichnungen zu verkörpern, ist in der Anfangszeit des Dienstes schwer zu greifen. Doch mit der Zeit – durch den Dienst an der Zimmertüre des Papstes, während Messen, Audienzen oder Apostolischen Reisen – begannen sich diese Titel mit Leben zu füllen und in “gelebte Wirklichkeit” zu verwandeln.

Dieser Nachruf ist kein klassischer Rückblick aus der Distanz. Er ist geschrieben von zwei ehemaligen Schweizergardisten, die Papst Franziskus über Jahre hinweg aus unmittelbarer Nähe im Alltag begleiten durften. Wir standen nicht auf der Empore, sondern an der Tür. Wir sahen ihn nicht nur in Zeremonien, sondern im Vorbeigehen, im Gespräch. Wir standen mit ihm im Blickkontakt. Nachdem wir die ersten Tränen getrocknet haben, folgt hier ein Versuch, das Unfassbare greifbar zu machen. Wir versuchen, entlang seiner Titel einige Facetten dieses Papstes aufzuzeigen, der die Weltkirche und die Geschichte prägte – und uns dabei persönlich berührt hat und für uns zu einem unauslöschlichen Vorbild wurde.

“Wir haben Franziskus als einen nahbaren Papst ohne Berührungsängste erlebt”

Bischof von Rom: Ein Hirte vom anderen Ende der Welt

Wir haben Franziskus als einen nahbaren Papst ohne Berührungsängste erlebt. Er nahm oft kein Blatt vor den Mund. Er hatte eine zuvorkommende und fröhliche Art. Er war sich nie zu schade, um einen lockeren Spruch, ein liebevolles Kompliment oder oftmals eine ironische Bemerkung zu machen. Franziskus war ein Papst der angenehmen Überraschungen.

Die erste rhetorische Überraschung folgte gleich nach seiner Wahl auf der Loggia des Petersdomes, als er mit seinem schlichten “Fratelli e sorelle, buonasera” beinahe schon die ganze Christenheit ins Herz schloss. Doch dieser einfache Gruß war weit mehr als nur ein gelungener Auftakt – er war ein Versprechen. Ein erster Hinweis darauf, wie Franziskus sein Amt verstehen würde: nah bei den Menschen, ohne Prunk, ohne Distanz.

Was sich in diesen wenigen Worten andeutete, setzte sich in seinem pastoralen Handeln fort. Die Bischöfe, so betonte er später, sollten als Hirten unter den “einfachen Menschen”, den Ausgegrenzten und Ausgeschlossenen unserer globalisierten Welt zu finden sein. Franziskus selbst hat diesen Anspruch gelebt. Er sah in den Verwundeten der Gesellschaft das Antlitz Christi. Er zog es vor, sich selbst klein zu machen, um den Menschen um sich herum Raum zu geben – er war der Inbegriff des Hirten, der sich inmitten seiner Herde am wohlsten fühlte. So führte er ja auch in seiner ersten Gründonnerstagsmesse aus, dass ein Hirte “den Geruch seiner Herde” annehmen müsse.

“So führte er ja auch in seiner ersten Gründonnerstagsmesse aus, dass ein Hirte “den Geruch seiner Herde“ annehmen müsse”

Als Schweizergardisten haben wir Franziskus nicht nur aus der Ferne erlebt – wir haben ihn gesehen, Tag für Tag und auf Augenhöhe. Im Gästehaus Santa Marta, wo er als Bischof von Rom lebte, begegnete er uns mit Selbstverständlichkeit und Bescheidenheit. War man bei den ersten Begegnungen mit ihm vielleicht noch nervös und hatte Herzklopfen, so entstand durch dieses schlichte und freundliche Auftreten schnell eine familiäre Atmosphäre. Ein kurzes “Buongiorno”, ein schelmisches Grinsen, ein überraschender Kommentar auf Deutsch – es waren Momente der Nähe, die mehr waren als höfliche Gesten. Franziskus war gegenwärtig. In diesen persönlichen Begegnungen war er fast wie ein Großvater, abseits der Kameras und der großen Massen. Nicht repräsentativ gegenwärtig, sondern konkret. Er war da – als Hirte, als Seelsorger in Bewegung, als Mensch mit offenem Blick, bei dem das “come va?” (wie geht es Ihnen?) an den Gardisten nicht bloß eine Floskel war, sondern von wirklichem Interesse zeugte. Diese Nähe, diese leibhaftige Präsenz – sie war gelebte Berufung. Franziskus war Bischof von Rom im wortwörtlichen Sinne: einer, der nicht nur im Palast regierte, sondern mit seiner Herde lebte. Wir fühlten uns vor seiner Türe wohl als seine Schafe, denn wir spürten die Zuneigung unseres Hirten – wir waren die ersten, die er morgens zu Gesicht bekam und die letzten, die ihm abends eine gute Nacht wünschten.

Als Nachfolger des heiligen Petrus Stellvertreter Jesu Christi auf Erden: Wie soll man dem gerecht werden?

Seine Stärke war leise. Sie zeigte sich nicht im großen Auftritt, sondern im stillen Aushalten. Hinter den Kulissen in Santa Marta, wirkte Franziskus oft erschöpft, von Schmerzen gezeichnet, manchmal nachdenklich, gelegentlich mit hängenden Schultern. Und doch nie gebrochen. Die Last des Amtes – die Verantwortung für 1,4 Milliarden Gläubige – lag sichtbar auf ihm, aber sie lähmte ihn nicht. Gerade im privaten Rahmen, abseits der großen Audienzen und offiziellen Anlässe, offenbarte sich uns die menschliche Seite dieses Pontifikats. Wir durften auch jene Momente erleben, in denen der Stellvertreter Christi nicht auf der Bühne stand, sondern einfach da war: im Flur, im Gebet, im stillen Vorübergehen.

“Was wir bei ihm gesehen und empfangen haben, tragen wir weiter – nicht nur als Erinnerung, sondern als Auftrag”

Wir konnten dabei nie vergessen, wen wir da vor uns hatten. Die Anrede lautete “Heiliger Vater” oder “Heiligkeit” – Worte, die uns mit einer gesunden, innerlich verankerten Ehrfurcht über die Lippen kamen. Hatten wir einen Heiligen vor uns? Vielleicht. Vielleicht einen “Alltagsheiligen”, einen “Heiligen von nebenan” – geerdet und zugewandt. Viele dieser Begegnungen waren eingebettet in den durchgetakteten Tagesablauf unseres Dienstes. Gerade darin liegt das Paradox: Es war eine Routine, die zugleich ein unvergleichliches Privileg bedeutete. Was für uns alltäglich wurde – das Grüßen, das Wachen, das stille Präsenzzeigen – geschah in unmittelbarer Nähe zu einem Mann, der die sichtbare Spitze der Weltkirche war. Und gerade, weil es Alltag war, vergaßen wir nie, wie außergewöhnlich es in Wahrheit war.

Da stand er manchmal und las etwas. Da wurde einem zuweilen etwas mulmig zumute, wenn man sich in Erinnerung rief, dass der, der da vor einem stand, die Schlüsselgewalt innehat. Dessen Vorgänger vor Jesus Christus stand, als ihm dieser die Leitung der Kirche übertrug. Wie muss es da erst ihm selber ergangen sein? Bevor Franziskus am Morgen aus seiner Wohnung trat, fragte man sich deshalb oft: Was muss das für ein Gefühl sein, wenn man als Papst beim Rasieren in den Spiegel schaut? Man blickt in das Gesicht des Stellvertreters Christi – sein eigenes. Ob dieser Verantwortung braucht es tiefstes Gottvertrauen. Sonst hält man das nicht bis ins 88. Lebensjahr durch, da würde einem die Kraft fehlen.

Auch wegen dieses tiefen Gottvertrauens, das man “mitspüren” konnte, ist er für uns weit mehr als nur ein Papst unter 266. Er ist unser Papst, weil er uns ein gelebtes Vorbild im Glauben war – nahbar, glaubwürdig, prägend. Wir durften ihn begleiten, erleben und beobachten. Und was wir bei ihm gesehen und empfangen haben, tragen wir weiter – nicht nur als Erinnerung, sondern als Auftrag. Als ehemalige Gardisten verstehen wir es als Teil unseres Weges, das, was er vorgelebt hat, mit hinaus in die Welt zu nehmen – als stille Form des Zeugnisses.

Pontifex: Ein diplomatisches Amt

Franziskus verstand sich als Pontifex – als Brückenbauer. Nicht nur im geistlichen Sinn, zwischen Gott und den Menschen, wenn er in seinen Katechesen die Bibel auslegte. Sondern auch auf der weltkirchlichen Bühne, zwischen Staaten, Religionen und Weltanschauungen. Die Diplomatie des Heiligen Stuhls erlebte unter seinem Pontifikat neue Beachtung. Manche sagen Franziskus nach, er sei kein Diplomat gewesen. Wir haben Anderes erlebt. Er wusste sehr genau, was er tut. Er nutzte den diplomatischen Einfluss geschickt und vollumfänglich, schlug dabei aber vielleicht einen etwas “undiplomatischeren” Ton an.

Franziskus war beispielsweise tief überzeugt davon, dass der Frieden gefördert werden müsse. Er suchte das Gespräch, wo andere bereits Mauern errichtet hatten. Er reiste in Länder, in denen Dialog unmöglich schien – und sprach, wo das Schweigen gefährlich wurde. Er reiste in die Länder der globalen Peripherie, stets mit Schweizergardisten an seiner Seite. Irak, Zentralafrika oder Osttimor – niemals wichen wir von seiner Seite in jenen scheinbar von Gott verlassenen Flecken Erde. Und wir Schweizergardisten standen auch im Mittelpunkt weltpolitischen Schaulaufens im Herzen des Vatikans. In Erinnerung bleibt Donald Trumps Besuch im Frühling 2017. Sein Konvoi schwer gepanzerter Fahrzeuge drohte im Damasushof des Apostolischen Palastes den winzigen päpstlichen Ford regelrecht zu erdrücken. Während die meisten Vatikanangestellten vor “The Beast” – der tonnenschweren Präsidentenlimousine – für ein Foto posierten, entfaltete das päpstliche Zeremoniell auf Trump seine volle Wirkung: Der sonst so laute Republikaner wurde im Angesicht des Mannes in Weiß ganz leise. Die Szenerie hätte paradoxer nicht sein können: Eine Dialektik der Machtverhältnisse, geistige und weltliche Autorität gegenübergestellt. Besonders eindrücklich war auch das Zusammentreffen des Heiligen Vaters mit dem Präsidenten und dem Vizepräsidenten des Südsudans. Diese zwei Personen, die gemäß Verfassung aus den zwei großen Ethnien des Landes kommen müssen, jedoch eine tiefe Abneigung gegeneinander empfinden, wurden vom Papst bekniet. Schon 2019, als es zu diesem denkwürdigen Moment kam, merkte man, wie viel körperliche Anstrengung es für den Papst bedeutete, die Füße dieser beiden Herren zu küssen. Aber er scheute diesen Aufwand nicht. Denn er wollte den Frieden. Vor allem um der Schwächsten willen, der Kinder, der Armen und der Kranken, die in Bürgerkriegen, wie jenem im Südsudan, besonders leiden. Auch wenn wir bei diesem privaten Treffen nicht direkt dabei waren, so bekamen wir die vatikaninternen Kontroversen, die diese Geste auslöste, doch hautnah mit. Dem Papst war dieses Gerede egal. Er war ein Macher – eben einer, der Brücken baut.

Doch das Brückenbauen geschah nicht nur auf internationalem Parkett. Es geschah auch in den kleinen Begegnungen, in seiner Bereitschaft, zuzuhören, ohne zu urteilen. In seiner Art, Menschen nicht auszusortieren, sondern einzuladen. In der Überzeugung, dass niemand zu weit weg ist, als dass Christus ihn nicht erreichen könnte. Franziskus schlug eine Brücke zu allen Menschen, mit einfachen Gesten und auch mit materieller Hilfe. Mit seinem Almosenmeister, Kardinal Krajewski, waren wir deshalb oftmals unterwegs, um an den Bahnhöfen Termini oder Tiburtina in seinem Namen Essen zu verteilen. Oder wir regulierten als Freiwillige die Ströme an Bedürftigen, denen er zu Beginn der Coronapandemie im Vatikan kostenlos Tausende von Impfungen zugutekommen ließ.

Patriarch des Abendlandes – ein Bischof unter vielen

Seine ökumenischen Begegnungen waren keine höflichen Pflichtrituale. Sie waren Ausdruck seiner tiefen Sehnsucht nach Einheit. Ob mit dem Patriarchen von Konstantinopel, mit Vertretern der russisch-orthodoxen Kirche oder des Protestantismus – Franziskus ging nicht mit fertigen Antworten, sondern mit offenem Herzen auf sie zu. Seit Kurzem wird deshalb von ihm auch der Titel “Patriarch des Abendlandes” wieder geführt. Er möchte sich auf die gleiche Ebene stellen wie die anderen Bischöfe. Dieser Titel ist Ausdruck seiner Bemühungen um die Einheit der Christenheit. Man konnte nicht unberührt bleiben, wenn man sein Engagement in dieser Hinsicht sah. Besonders sei ein Moment aus dem Jahr 2018 hervorgehoben. Ihm stockte am 3. Oktober in der Messe auf dem Petersplatz die Stimme: Er war tief bewegt darüber, dass chinesische Bischöfe an dem Gottesdienst teilnehmen konnten. Wir Gardisten sahen das erste Mal chinesische Fahnen unter dem Gottesvolk. Denn kurz zuvor war ein geheimes Abkommen mit der Volksrepublik China geschlossen worden, das die Beziehungen zwischen der römisch-katholischen Kirche und der Regierung vereinfachen und den Christen vor Ort mehr Freiheiten und Sicherheit in der Religionsausübung garantieren sollte. Für ihn war das keine Machtfrage, was man annehmen könnte, wenn auf einen Schlag Abermillionen von Gläubigen mit Rom vereint werden. Es war die Sorge um diese Mitchristen, die ihn antrieb, und es waren deshalb Tränen der Freude darüber, dass dieses Abkommen gelungen war, die ihm und auch manchem Gardisten bei seinen Worten in die Augen stiegen.

Primas von Italien und Metropolit: Zwischen Santa Maria Maggiore und Lampedusa

Franziskus war ein reisefreudiger Papst. Denn sein Bewegungsradius war nicht nur auf die unzähligen Abstecher in die italienische Hauptstadt beschränkt, um seine Jesuiten-Mitbrüder oder das Gnadenbild “Salus Populi Romani” in Santa Maria Maggiore (wo er bald beigesetzt wird) zu besuchen. Er besuchte auch seine Verwandten in Norditalien: der Region, aus der seine Vorfahren kamen. Mit seiner Wahl auf den Stuhl Petri war es zwangsläufig ein Teil seiner Bestimmung geworden, die Italienerinnen und Italiener mit besonderer Aufmerksamkeit zu beachten, sind doch das Papsttum und die Italienische Republik eng miteinander verknüpft. Er scheute sich nicht davor, in Talkshows im italienischen Fernsehen zu sprechen und so direkt Einfluss auf die Debatten im Land zu nehmen. Er war ein politisch angehauchter Papst, der seine erste Reise nach Lampedusa unternahm, um auf das Elend der Migranten aufmerksam zu machen. Er war ein Papst, der wohl als einer der ersten auf der italienischen Halbinsel am Morgen in aller Herrgottsfrühe die Messe feierte, betete und dann die Zeitung las, bevor er sie dem Gardisten vor seiner Wohnung weitergab, damit sich dieser auch über das Tagesgeschehen informiere. Einer, der Glaube, Gebet, Entscheidung und Politik eben zu verbinden wusste.

Diener der Diener Gottes: Wenn das Amt sich beugt

Nicht Macht oder Geltung bestimmten sein Amtsverständnis, sondern das Dienen. Sein Pontifikat war getragen von jener Haltung, die nicht erhöht, sondern hinabsteigt – dorthin, wo die Menschen leben, leiden, hoffen. Der Titel “Servus servorum Dei” – Diener der Diener Gottes – zeugt von tiefer Demut.

Für uns als Schweizergardisten hatte das Dienen von Anfang an einen ganz konkreten, klar umrissenen Charakter: Wachen, schützen, präsent sein – sichtbar und gleichzeitig zurückhaltend. Ein Dienst, bei dem man nie in den Vordergrund drängt, aber in jedem Moment bereit sein muss. In Franziskus fanden wir ein Gegenüber, das dieses Verständnis von Dienst nicht nur teilte, sondern vorlebte – auf seine Weise, in seiner Rolle. Auch er war immer präsent, selten laut, aber stets da, wenn es darauf ankam.

Wir sahen ihn nicht selten, wie er sich Zeit nahm für Menschen, für kleine Zeichen der Zuwendung: Ein Daumen-hoch vom Papamobil aus, Tränen des Mitgefühls, wenn jemand von seinem schweren Schicksal berichtete, ein “Extrasegen” auf Deutsch nach der Generalaudienz für die Großeltern, die ihre diamantene Hochzeit feierten. In seinem Alltag lag nichts Spektakuläres, aber viel Bedeutungsvolles. Es war die Art, wie er stehen blieb, wie er Hände hielt, wie er mit jemandem sprach, ohne auf die Uhr (oftmals eine einfache weiß-schwarze Swatch) zu schauen – all das war Dienen in seiner reinsten Form.

In ihm begegneten wir einem geistlichen Vater, der Verantwortung trug. Der sich wirklich um seine Kinder kümmerte und kontrollierte, dass man auch wirklich von den Süßigkeiten aß, die er eigenhändig für die Gardisten vor seiner Wohnung zur Verfügung stellte. Der sich nicht erhöhen wollte, obwohl ihm das höchste Amt der Christenheit (und wenn wir als gläubige Katholiken sprechen, sogar der ganzen Welt) anvertraut war. Er war einer, der das Große im Kleinen suchte. Vielleicht war es genau das, was ihn für uns so zugänglich, so glaubwürdig machte: Dass er nicht mehr sein wollte als das, was er war – ein Diener unter Dienern. Und so war sein Dienst dem unseren nicht unähnlich – nur in anderer Tiefe, mit anderer Tragweite. Auch wir standen an unseren Posten, still, wachsam, oft unbeachtet – so wie auch er oftmals seinen Platz einnahm: nicht im Rampenlicht, sondern im Dazwischen. Zwischen Konflikten, zwischen Menschen, zwischen Himmel und Erde.

Souverän des Staates der Vatikanstadt: Autorität ohne Prunk

Als Souverän des kleinsten Staates der Welt hätte Papst Franziskus mit allen Ehren und Privilegien eines Staatsoberhaupts auftreten können – und doch entschied er sich für einen anderen Weg. Statt im Apostolischen Palast residierte er im Gästehaus Santa Marta, mitten unter Kurienmitarbeitern, Priestern und Gästen.

Für uns Gardisten war das nicht einfach eine logistische Änderung. Denn mit dieser Entscheidung veränderte sich auch unser Alltag: Franziskus war nicht entrückt, sondern erreichbar. Viele unserer Kameraden aus der Schweiz beneiden uns dafür. Denn sie hatten Benedikt XVI. gedient, der im Päpstlichen Appartement im Apostolischen Palast residierte und nicht so eine Nähe wie Franziskus zu uns hatte. In Santa Marta war die Tür zu seiner Wohnung nahe. Und mit ihr der Mensch, der darin lebte. Der Papst war kein Monarch, der sich hinter Protokollen und Palastmauern bewegte. Nicht selten verzichtete er bewusst auf äußere Zeichen päpstlicher Würde. In einer Zeit, in der Autorität oft mit Macht verwechselt wird, zeigte Franziskus, was es heißt, Macht zu tragen, ohne sie zur Schau zu stellen. Und gerade dadurch wurde seine Präsenz stärker, seine Botschaft klarer.

Er war aber auch das, was man wohl als einen “Workaholic” bezeichnen würde. Auch wenn er manchen unvorhergesehenen Ausflug innerhalb des Vatikans vornahm, um beispielsweise am Grab des heiligen Pius X. zu beten oder spontan selber einer Hochzeit eines Ex-Gardisten vorzustehen: Erholung auf dem Staatsgebiet – die Vatikanischen Gärten oder die Gärten von Castel Gandolfo würden sich dafür durchaus anbieten – gönnte er sich nie. Das Arbeitstempo, das er in hohem Alter anschlug, führte zu mancher Klage unter den viel jüngeren Gardisten, für die dies Extrastunden “am Laufmeter” bedeutete.

Ein “A Dio” zu unserem Papst

Wir erinnern uns an eine unserer ersten Wochen im Dienst der Schweizergarde. Nach einer langen Zeremonie begegneten wir dem Papst im Damasushof des Apostolischen Palastes nach einer Sitzung mit Kardinälen. Wir waren neu, ein wenig angespannt – bereit, wie es der Ablauf vorsah, seinen Wagen holen zu lassen. Doch Franziskus winkte nur ab, lächelte milde und sagte: “Ich gehe lieber zu Fuß zurück.” Dann wandte er sich um und machte sich auf den Weg – allein, während die Kardinäle in ihre dunklen Limousinen stiegen. Dieses unspektakuläre, beinahe unbemerkte Davongehen unter dem römischen Abendhimmel hat sich in unser Gedächtnis eingebrannt. Es war kein symbolischer Akt, keine bewusste Geste für die Kameras – es war einfach er. Und doch sagte dieser Moment mehr als tausend Worte, mehr als hundert Predigten. Wahre Nähe braucht keinen Konvoi. Echte Autorität keinen Chauffeur. Ein Hirte ist dann glaubwürdig, wenn er denselben Weg geht wie seine Herde.

In diesem Bild verdichten sich für uns alle Erfahrungen und Begegnungen, die wir über die Jahre mit Papst Franziskus machen durften. Die vielen Titel, die das Papstamt ausmachen – Stellvertreter Christi, Oberster Pontifex, Diener der Diener Gottes – wurden für uns lebendig, greifbar, menschlich. Nicht in großen Inszenierungen, sondern im Alltag. Franziskus hat das höchste Amt der Kirche getragen, ohne sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen. Er hat gedient, ohne sich aufzudrängen. Er hat geführt, ohne zu herrschen. Und gerade deshalb bleibt er uns als ein Papst in Erinnerung, der die Größe des Amtes nicht in seiner Macht, sondern in seiner Demut sichtbar gemacht hat. Seine Schritte sind verklungen – aber sie hinterlassen Spuren. Und wir werden noch lange in dieselbe Richtung blicken, in die er zuletzt gegangen ist.

*Die Autoren

David Meier (28) hat Theologie und Business Communication an der Universität Fribourg studiert. Seit Sommer 2024 wohnt er, als Seminarist für das Bistum Basel, im Päpstlichen Kolleg Germanicum et Hungaricum de Urbe und absolviert an der Päpstlichen Universität Gregoriana (Rom) ein Lizenzstudium in Moraltheologie. Während seiner Zeit bei der Päpstlichen Schweizergarde von 2018 bis 2021 war er unter anderem Chef Social Media innerhalb des Kommunikationsteams der Garde.

Romano Pelosi (28) hat Politikwissenschaft und Soziologie an der Universität Basel studiert. Im Sommer 2024 hat er bei Radio Vatikan ein Praktikum absolviert. Aktuell ist er im Masterstudiengang “European Global Studies” am Europainstitut der Universität Basel eingeschrieben. Pelosi hat von 2017 bis 2021 bei der Päpstlichen Schweizergarde gedient und war unter anderem verantwortlich für Publikationen innerhalb des Kommunikationsteams des Korps.

vatican news – sst, 25. April 2025

Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, können Sie hier unseren Newsletter bestellen.

Themen

sede vacante
Interview
Papst Franziskus
Schweizer Garde
Katholische Kirche
Schweiz
Tod

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Kategorien

Die drei Säulen der röm. kath. Kirche

monstranz maria papst-franziskus

Archiv

Empfehlung

Ausgewählte Artikel