Samuel: Wenn geistliche auf weltliche Macht trifft

Prophet, Priester, Richter, Königsmacher: Außer Mose werden keinem alttestamentlichen Propheten so viele Funktionen zugeschrieben wie Samuel. Eine Gestalt zwischen Glaube und Politik

Quelle
Die Liebe ist frei | Die Tagespost
Buch Samuel – Wikipedia
1.Samuel 16 | Neues Leben. Die Bibel :: ERF Bibleserver
Samuel – Ökumenisches Heiligenlexikon

21.04.2025

Martin Ploderer

Der Herr ruft – und der Mensch hört nicht. Dies ist die alltägliche Erfahrung, die Gott mit seinen Geschöpfen machen muss. Nun, braucht Gott diese Erfahrung? Weiß er nicht besser als irgend jemand, wie es um den Menschen bestellt ist? Drei Mal rief Gott Samuel bevor dessen Meister, Eli, ahnte, woher der Geistes-Wind wehte. So wird man zum Berufenen. Ungewollt, ungeahnt und zunächst auch unerkannt.

Der Prophet und seine Mitmenschen

Doch zunächst schläft der Mensch, sonst kann er ja nicht geweckt werden. Auch der Prophet muss am eigenen Leib, im eigenen Fleisch erfahren, wie Menschen leben, die anderen Menschen, die wie er selbst Mensch und doch eben ganz anders sind. Wie sollte auch ein Prophet andere Menschen erreichen, wenn er nicht versteht, worin sie gefangen sind? Der Lehrer kann nicht lehren, wenn er nicht wenigstens ansatzweise weiß, was die Lernenden alles nicht wissen, ja nicht einmal ahnen. Immer wieder hören wir in der Heiligen Schrift, dass Gott herunter steigt, herunter zu uns, zu seinen Geschöpfen, um uns herauszureißen aus unserer Gefangenschaft in uns selbst. Am Ende steht dann die Auferstehung, die vollkommene Befreiung von irdischen Zusammenhängen, irdischen Verflechtungen, Verfilzungen, Vernetzungen, auf die die Menschheit neuerdings so stolz zu sein schein. Doch bis dahin ist es ein weiter, weiter Weg, für die Menschheit insgesamt und jeden Einzelnen innerhalb dieser langsamen und trägen Menschheit.

Wieso das so lange dauert? Weil die Zeit Gott alleine gehört. So sehr wir uns auch bemühen, die Zukunft zu kennen, zu erkennen und vorherzusagen, es kommt doch immer wieder anders. Wer behauptet, die Zukunft zu kennen, erzählt ja doch immer nur von seiner eigenen Vergangenheit. Gottes Phantasie und Schöpferkraft ist eben unendlich, im Unterschied zu unseren, immer wieder von der eigenen Erfahrung abhängigen Vorstellungen, unserer Einbildungs- und Vorstellungskraft. Es scheint zuweilen so, dass der Mensch immer wieder neue mehr oder weniger absurde Vorschläge innerhalb der Möglichkeiten, die die Schöpfung ihm bietet, zu machen versucht und dass Gott doch immer wieder eine Antwort findet, etwas Neues, Unerwartetes, Wunderbares, das immer wunderbarer werden muss, weil der Mensch ob all der Wunder, die ihn umgeben, schon ganz abgestumpft ist in seiner Gewohnheit und erst zu erkennen scheint, was ihm zur Verfügung steht, wenn es ihm abhanden kommt oder zumindest abhanden zu kommen droht.

Gott wirkt oft unerwartet

Gott lässt große Dinge nicht selten durch eher kleine Geschöpfe geschehen – beziehungsweise Geschöpfe, die sich ihrer eigenen Grenzen und damit ihrer Geschöpflichkeit bewusst sind. Irdische Machthaber lassen sich nicht gerne instrumentalisieren, auch nicht durch Gott, den sie gerne entweder wegrationalisieren möchten oder selbst zu instrumentalisieren versuchen. Auch Samuel ist ein Frühberufener, wobei sich dabei durchaus die Frage nach seinem freien Willen stellt. Geschichtsmächtige Eingriffe Gottes in die Heilsgeschichte kommen meist von unerwarteter Seite und lassen sich auch nicht durch irdische Interessen vermeiden. Herodes ließ Tausende von Neugeborenen umbringen, doch jenes, auf das er es abgesehen hatte, war nicht dabei.

Die Mächtigen teilen mit allen anderen Menschen eine Eigenschaft, die ihnen früher oder später immer zum Verhängnis wird: sie meinen, alle anderen Menschen funktionieren so wie sie, daher vermuten sie die Stolpersteine, die sie durchaus fürchten, vor allem unter ihresgleichen. Doch obwohl sich Gott durchaus auf die Wünsche und Vorstellungen seiner Geschöpfe einlässt, beschreitet er immer andere, unerwartete Wege. So wird Samuel ein Werkzeug bei der Erfüllung des israelitischen Wunsches nach einem Königtum, doch er wird nicht selbst König. Vielmehr salbt er nur die Kandidaten, zunächst Saul, dann David. Die Sehnsucht nach einem König war die Folge der Korruptionstendenzen der herrschenden Richterschaft. Ein Königtum lag ja durchaus nicht in Gottes Plan, doch Gottes Taktik ist es nie, diesen mit Gewalt und Bomben und Granaten durchzusetzen, wie irdische Machthaber es immer wieder versuchen, sondern seine Geschöpfe mehr oder weniger sanft durch konkrete Erfahrungen auf den rechten Weg zurück zu führen bzw. zu holen. Gott möchte seine Geschöpfe als Verbündete, als Verbündete in Freiheit, und Freiheit ist eine Frucht von Glaube, Vertrauen und Erfahrung, nicht aber von sturen Satzungen.

Jede irdische Ordnung ist fehlbar

Im Grunde scheitern sämtliche menschlichen Regierungsmodelle, inklusive der nach den Worten Churchills “schlechtesten aller Regierungsformen”, die jedoch immer noch besser sei als alle anderen, nämlich der Demokratie. Die letzte Alternative, die sich schließlich durchsetzen wird, muss dann wohl die Herrschaft Gottes sein, die vorläufig jedoch durch den Begriff “Gottesstaat” ebenfalls in Verruf geraten ist.

Wer übt denn heute wirklich Macht aus?
Der Rechtsstaat?
Die Medien?
Das Geld?
Der Zeitgeist?
Die Eitelkeit?
Die Angst?

Sind das nicht alles subjektive Standpunkte im Dienste irgendwelcher Privatinteressen, die immer auch ihre Opfer fordern? Zu Samuels Zeiten sind die Richter gescheitert – auch heute wird deren oberste Instanz in manchen großen Demokratien mit Argwohn betrachtet. Königtümer gelten heute als überholt, obwohl die meisten Monarchien unserer Tage längst von konstitutionellen Institutionen begleitet werden. Als Symbol für staatliche Verantwortung haben sie aber durchaus noch ihre Berechtigung.

Der Wille Gottes, soviel dürfen wir annehmen, setzt sich auf Dauer immer durch. Ihm wird das letzte Wort gehören. Manches Mal schreibt Gott zwar bekanntlich “auf krummen Linien gerade”, Er lässt also vieles zu, was den Verstand des Menschen überfordert, doch bietet er immer wieder Wege und Auswege an, die das große unbekannte und wohl unfassbare Ziel wieder in den Fokus rücken. Der menschliche Wunsch nach Vorhersehbarkeit ist zwar verständlich und nachvollziehbar, doch in letzter Konsequenz unerfüllbar, weil ein Leben ohne Überraschungen seinen Sinn verlöre. Sinn und Freude aber sind die Merkmale eines Lebens mit Gott. Die offensichtliche Widersprüchlichkeit der menschlichen Existenz löst sich in der Akzeptanz ihres Schöpfers auf. Es darf davon ausgegangen werden, dass bei allem Respekt vor diesen Institutionen auch religiöse Organisationen vor Irrtümern nicht gefeit sind. So werden wohl immer nur Vergebung und Barmherzigkeit als jene göttlichen Tugenden bleiben, die von den “Pforten der Hölle” niemals überwunden werden können – und dabei handelt es sich letztlich doch eher um Errungenschaften jüngeren Datums. Die Heilsgeschichte ist eben eine Geschichte, also evolutiv.

Letzter Ausweg Glaube

Der Schöpfergott steht immer im Gegensatz zu jeder Form von Verallgemeinerung und Kollektivschuldvorstellungen. Er kennt jeden Einzelnen – beim Namen und bei der Anzahl der Haare auf seinem Kopf. Die Voraussetzungen für die Beurteilung eines Menschen sind ihm also vorbehalten, denn keinem Menschen ist es je gegeben, die vollständige Kausalkette irgendeines irdischen Ereignisses vollständig nachzuvollziehen. Gott allein weiß, was ein Mensch vielleicht hätte besser machen können oder wo er vielleicht auch über sich selbst hinausgewachsen ist. Diesen Gott kann also nur ein Mensch ertragen, der auch sich selbst erträgt, der also mit den eigenen halbwegs überschaubaren Umständen in Frieden ist.

Doch in letzter Konsequenz ist die konkret spürbare Gegenwart Gottes immer und überall für einen Einzelnen nur bruchstückhaft und nur für den Bruchteil eines Augenblicks irgendwie zu ertragen. Es bedarf daher immer eines oder mehrerer Mittler zwischen dem Schöpfer und seinem Geschöpf, eine Beziehung, die ohne ein tiefes Vertrauen vollkommen undenkbar ist. Der lebenserfahrene Mensch aber tut sich immer schwerer, Vertrauen zuzulassen, weshalb in jeder Generation neue Propheten erweckt werden müssen, so dass es immer wieder neues Vertrauen aufzubauen gilt.

Der Kampf zwischen geistlicher und weltlicher Macht ist wahrscheinlich so alt, wie die denkende und halbwegs organisierte Menschheit. Es fällt der weltlichen Macht immer schwer, sich dem Geist, dem sie, ob sie will oder nicht, ja doch entspringt, unterzuordnen, und da sich der Geist bei der Beanspruchung seines Erstgeburts- und Urheberrechts stets in nobler Zurückhaltung übt, bleibt dem Geschöpf, also dem Menschen, nichts anderes übrig, als zu glauben.

Der Autor ist Schauspieler und Sprecher.

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