Freude und Angst in Syrien
Christen haben einen großen Beitrag zu leisten für den Frieden, die Stabilisierung und eine gute Entwicklung in Syrien, meint der melkitische Priester Hanna Ghoneim
Quelle
Das Chaos im Orient bedroht auch Europa | Die Tagespost
Syrien
08.12.2024
Hanna Ghoneim
In Syrien, einem nahöstlichen Land mit großer christlicher Geschichte, überschlagen sich die Ereignisse. Pater Hanna Ghoneim, ein syrischer Priester der mit Rom unierten melkitischen Kirche, der zwischen Wien und seiner Heimatstadt Damaskus pendelt, unterstützt die syrischen Christen seit Jahren mit seinem Hilfswerk “Korbgemeinschaft”. Hier versucht er eine erste Deutung der aktuellsten Vorkommnisse.
Der Tag eines “neuen Syriens” ist angebrochen. Das Licht scheint zu kommen. Ganz Syrien steht nun vor einer unbekannten Zukunft. Das alte Regime ist zusammengebrochen, wie der Nebel vor der Sonne weicht. Es ist alles so schnell gegangen, wie ein Dominoeffekt. Binnen von nur zwölf Tagen ist das geschehen. Was man früher nicht geglaubt hat, ist heute Wirklichkeit geworden. Anders als 2011 ist es größtenteils unblutig vor sich gegangen. Jetzt beginnt eine neue Ära in Syrien. Die Menschen vor Ort haben gemischte Gefühle: Freude und Angst. Freude, dass etwas Neues kommen wird und Angst vor dem Chaos.
Manche Menschen auf den Straßen tanzen und singen, andere verstecken sich aus Angst vor Gefechten in den Häusern. Was sich jetzt in Syrien abspielt, ist wie in einem Traum. Wir wissen nicht, wie die nächste Regierung sein wird: Islamistisch? Liberal? Wird wirklich diese Freiheit kommen, die das HTS (Komitee der BEFREIUNG Syriens) versprochen hat? Oder werden wir es mit einer Taliban-Regierung zu tun haben?
Viel Arbeit für Syriens Christen
Meine Einstellung ist: Was immer kommt, wir Christen sollen weiterarbeiten und auf der Seite der armen und notleidenden Menschen stehen. Halten wir uns an Christus fest, der sagt: “Hab keine Angst du kleine Herde”, “Ich bin bei Euch bis zum Ende der Welt”, “Fürchtet Euch nicht!”, “Wer standhaft bleibt, der wird gerettet werden”. Diese Worte Jesu haben für mich jetzt große Priorität. Ich glaube fest, dass die Christen weiter bestehen können, wenn sie an ihrem Glauben an Jesus, den eigentlichen Befreier, standhaft festhalten. Jetzt beginnt viel Arbeit für die Christen in Syrien. Bitte, lassen wir sie nicht im Stich. Wir tragen Verantwortung für die zermürbten Menschen dort. Wir Christen haben einen großen Beitrag zu leisten für den Frieden, die Stabilisierung und eine gute Entwicklung im Land.
Damaskus ist nun in der Hand der sogenannten “Rebellen”. Die syrische Armee wurde aufgelöst. Die Soldaten haben ihre Uniformen ausgezogen. Sie haben ihre IDs zerbrochen, sind auf die Straßen gegangen und haben für die Revolution und die Freiheit gejubelt. Die Ministerien und Behörden funktionieren nach wie vor in eingeschränkter Weise. Viele Menschen ziehen es vor, derzeit zu Hause zu bleiben und zu warten, was weiter passiert.
Unsere Bäckerei ist durchgehend in Betrieb. Ich rechne damit, dass die Produktion noch weiter erhöht werden muss, denn viele staatliche Bäckereien werden schließen. Ich persönlich sehe die Ereignisse mit viel Optimismus, gerade für die Christen, vorausgesetzt, dass die Christen nicht tatenlos bleiben. Wegen der Ereignisse hatten alle Kirchen beschlossen, die Feierlichkeiten von Weihnachten nur auf das Gebet zu beschränken. Ich glaube, nun dürfen sie richtig Weihnachten feiern mit viel Freude, denn ich hoffe, dass unser Heil kommt. Wir wünschen uns das wahre Heil für die Menschen in Syrien.
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