Frankreich: Neue Debatte um Sterbehilfe-Gesetz
Ab Januar stehen Euthanasie und assistierter Suizid wieder auf dem Programm der französischen Nationalversammlung. Kritiker sprechen bei dem vorliegenden Gesetzesvorschlag vom “freizügigsten Text der Welt”
Quelle
Frankreich: Bischöfe gegen Sterbehilfe-Pläne – Vatican News
Unter Druck, sich das Leben zu nehmen | Die Tagespost
06.11.2024
Die erste Lesung stand kurz bevor. Dann kam die unerwartete Auflösung der Nationalversammlung und gebot so dem gesellschaftspolitischen Großprojekt Emmanuel Macrons Einhalt. Auf Druck aus Reihen der ehemaligen Macron-Mehrheit hat die Regierung unter dem aus der konservativen Partei “Les Républicains” stammenden Premierminister Michel Barnier das Thema Sterbehilfe nun wieder auf die politische Agenda gesetzt.
“Ich habe von der Regierung die Zusage erhalten, dass der Text über das Lebensende auf die Tagesordnung der Wochen vom 27. Januar und 3. Februar gesetzt wird. Die Nationalversammlung ist bereit, bei diesem neuen Recht, das von so vielen Franzosen erwartet wird, voranzukommen”, schrieb die Präsidentin der Nationalversammlung, Yaël Braun-Pivet, auf der Plattform X. Die ursprünglich aus der Sozialistischen Partei stammende und jetzt Macrons “Ensemble” zugehörige Abgeordnete gehört zu den langjährigen Befürwortern eines Sterbehilfe-Gesetzes.
Konkreter Entwurf noch nicht klar
Offen bleibt bisher, ob die Regierung ein neues Gesetzesvorhaben einbringen, auf den ursprünglichen Text zurückkommen oder die Version zur Abstimmung bringen wird, die im Juni aus den Debatten in der Nationalversammlung hervorgegangen ist. Letztere wurde vor wenigen Wochen von dem Sozialisten Olivier Falorni mit Unterstützung von 220 Abgeordneten als eigener Gesetzesvorschlag eingebracht.
Der Text will sowohl den assistierten Suizid als auch die Euthanasie – das gezielte Töten eines Patienten durch einen Dritten – legalisieren, vermeidet aber beide Begriffe und spricht stattdessen von “aktiver Sterbehilfe”. Die Kriterien für den Zugang zur aktiven Sterbehilfe lauten Volljährigkeit, das Vorliegen einer schweren, unheilbaren Krankheit, die “unstillbare physische oder psychische Leiden verursacht”, sowie das Vorhandensein der vollen Urteilsfähigkeit durch den Patienten.
Euthanasie per Patientenverfügung?
Ein möglicher Streitpunkt kündigt sich an: Mehrere Abgeordnete und die Euthanasie-Lobby “Association pour le droit de mourir dans la dignité” (ADMD) haben sich dafür ausgesprochen, dass Patienten im Vollbesitz ihrer geistigen Fähigkeiten per Patientenverfügung ihren Willen darlegen können, zu einem späteren Zeitpunkt, an dem entweder Urteils- oder Artikulationsfähigkeit nicht mehr gegeben sind, euthanasiert zu werden.
Bereits bei seiner Regierungserklärung Anfang Oktober hatte Premierminister Barnier dem linken Flügel seiner wackeligen Koalition versichert, den Gesetzesentwurf wiederaufzunehmen. Anschließend erklärte er gegenüber “France 2”, an dem Punkt weiterarbeiten zu wollen, an dem die Arbeit an dem Gesetz unterbrochen worden sei. Dabei wolle er jedoch das medizinische Personal intensiver konsultieren, das sich in der Vergangenheit mit breiter Mehrheit gegen eine Öffnung von assistiertem Suizid und besonders Euthanasie ausgesprochen hat.
Sterbehilfe billiger als Palliativmedizin
Bisher gilt in Frankreich das Gesetz “Claeys-Leonetti” von 2016, das eine passive Sterbehilfe in Form einer tiefen und fortgesetzten Sedierung bis zum Tod für unheilbar kranke Patienten ermöglicht. Einer der Schöpfer des Gesetzes, der “Republicains“-Poliitker Jean Leonetti, bezeichnete den Gesetzesvorschlag gegenüber dem “Figaro“ als den “freizügigsten Text der Welt“, der, sollte er Gesetz werden, “die Euthanasie oder den assistierten Suizid von 45.000 Franzosen pro Jahr zur Folge” haben werde. Statt einer Legalisierung der aktiven Sterbehilfe hält er den – seitens der Politik seit Jahren versprochenen – Ausbau der Palliativmedizin für die wahre Dringlichkeit. Es sei schlechtes Signal, ein Gesetz über die aktive Sterbehilfe anzukündigen, das als Alternative zur lückenhaften Palliativmedizin durchgehen werde, denn: “Es ist allgemein bekannt, dass Palliativmedizin teurer ist als Sterbehilfe“.
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