Damaskus – Im Kreuzfeuer der Weltpolitik

Ein Gespräch mit dem Oberhaupt der griechisch-katholischen Melkiten, Patriarch Youssef Absi: Tausende Gläubige flohen aus Syrien, für viele wurde Deutschland zur Heimat

Quelle
Patriarch Youssef Absi
Bischof Dr. Rudolf Voderholzer empfängt Delegation um Patriarch Youssef I. Absi aus Damaskus | Bistum Regensburg

25.10.2024

Guido Horst und Stephan Baier

Am 19. und 20. Oktober feierte das Oberhaupt der griechisch-katholischen Kirche der Melkiten, Patriarch Youssef Absi, mit vielen in Deutschland lebenden Gläubigen seiner Gemeinschaft eine Göttliche Liturgie zunächst in Herne in Westfalen, am Tag darauf in Wiesbaden. Anlass war die Wiedervereinigung der melkitischen Christen mit der römischen Kirche vor 300 Jahren. Die Union mit der Kirche von Rom im Jahr 1724 ist auch für die Melkiten in Deutschland eine Zeit des Gedenkens, der geistlichen Erneuerung und der wissenschaftlichen Reflexion. Der Patriarch residiert in Damaskus, nimmt in diesem Jahr wie auch schon 2023 an der römischen Bischofssynode teil und war während seines Deutschland-Besuchs bereit, der “Tagespost” Auskunft zu geben über die dramatische Lage der Melkiten, die nach dem Krieg in Syrien nun auch unter dem blutigen Nahost-Konflikt leiden, der den Libanon hart in Mitleidenschaft gezogen hat.

Eure Seligkeit, das Kernland Ihrer Kirche, Syrien, wurde ab 2011 von einem schrecklichen Krieg heimgesucht. Millionen Syrer flohen aus ihrer Heimat ins Ausland. Wie vital ist die melkitische Kirche heute noch in Syrien selbst?

Die melkitische griechisch-katholische Kirche ist nach wie vor tief in Syrien verwurzelt, einem Land, das schon immer eine Wiege des Christentums war. Trotz des unermesslichen Leids, das der Krieg verursacht hat, ist unsere Kirche weiterhin eine lebendige Kraft im geistlichen und sozialen Leben unserer Gläubigen. Wir sind unerschütterlich in unserer Mission, die Leidenden zu begleiten, humanitäre Hilfe zu leisten und eine starke christliche Präsenz in diesem alten Land aufrechtzuerhalten. Unsere Einrichtungen – Schulen, Kliniken, Hospize, Krankenhäuser, Altenheime, theologische Fakultäten und Jugendzentren – sind weiterhin in Betrieb und bieten sowohl geistliche als auch seelsorgerische Betreuung. Wir setzen uns für die Resilienz der Gesellschaft ein und planen aktiv für die Zukunft. Trotz der anhaltenden Migration bestehen weiterhin enge Verbindungen zwischen den lokalen Gemeinschaften und denen in der Diaspora, was die anhaltende Stärke und Vitalität unserer Kirche widerspiegelt.

Was müsste sich – in Syrien und in der Syrien-Politik des Westens – ändern, damit die melkitischen Christen in Syrien eine Zukunft haben und das kirchliche Leben wieder aufblühen kann?

Damit das christliche Leben in Syrien wieder aufblühen kann, sind zwei entscheidende Veränderungen notwendig. Erstens ist die Wiederherstellung von Frieden und Stabilität von größter Bedeutung, was aufrichtige Bemühungen um Dialog und Versöhnung innerhalb Syriens und zwischen internationalen Akteuren erfordert. Zweitens müssen die westlichen Staaten ihre Politik gegenüber Syrien überdenken, insbesondere was die Aufhebung der Sanktionen und die Unterstützung des Wiederaufbaus betrifft. Die Zukunft der Christen in Syrien hängt davon ab, ob sie in ihrem Heimatland in Würde, Sicherheit und Freiheit leben können.

Rund 1,5 Millionen Syrer fanden Zuflucht im benachbarten Libanon. Jetzt aber fliehen Hunderttausende aus dem Libanon nach Syrien. Werden die syrischen Flüchtlinge nun mehrfach zu Opfern der Weltpolitik?

Syrische Flüchtlinge, darunter auch Christen, sind tatsächlich Opfer weltpolitischer Manöver. Ob im Libanon, in Syrien oder an anderen Zufluchtsorten: Ihre Situation spiegelt die harten Folgen ungelöster regionaler Konflikte und Schwankungen der internationalen Politik wider. Die sich verschärfende wirtschaftliche und politische Krise im Libanon hat viele Syrer, darunter auch Christen, dazu veranlasst, die Rückkehr nach Syrien zu erwägen, obwohl die Bedingungen dort weiterhin schwierig sind. Gefährdete Bevölkerungsgruppen stehen oft im Kreuzfeuer der Weltpolitik, und ihr Wohlergehen hat selten Priorität.

Wie beurteilen Sie die wachsende Eskalation zwischen Israel und dem Iran? Geraten die Christen dadurch mehrfach in Bedrängnis?

Die zunehmenden Spannungen zwischen Israel und dem Iran bereiten ernste Sorge, was den gesamten Nahen Osten angeht. Jede weitere Eskalation dieses Konflikts könnte die Region destabilisieren und die Risiken für alle Religionsgemeinschaften erhöhen. Die Christen im Nahen Osten leiden seit langem an den Folgen dieser regionalen Kämpfe, und neue Gewalt würde ihre prekäre Lage nur noch verschlimmern. Als Kirche setzen wir uns für friedliche Lösungen ein und fordern alle Parteien auf, die verheerenden menschlichen Auswirkungen dieser Konflikte zu bedenken.

Jordanien scheint heute das einzige Land des Nahen Ostens zu sein, das den einheimischen Christen ein Leben in Sicherheit und Entfaltung bieten kann. Woran liegt das?

Jordanien hat es geschafft, ein Umfeld zu schaffen, in dem Christen in Sicherheit und Harmonie mit ihren Nachbarn leben, dank einer Regierung, die sich für religiöse Toleranz und den Schutz von Minderheitenrechten einsetzt. Gepaart mit politischer Stabilität und einer klugen Führung hat dies den Christen in Jordanien zu einem guten Gedeihen verholfen. Ein harmonisches Zusammenleben ist aber auch in anderen Ländern wie Ägypten und den Golfstaaten möglich. Der Libanon und Syrien haben trotz ihrer Herausforderungen eine lange Geschichte christlicher Präsenz und könnten für Christen ein günstiger Ort bleiben, wenn der Frieden gesichert werden kann.

Im vergangenen Jahrzehnt ist die melkitische Emigration enorm gewachsen. Wie funktioniert die Seelsorge für die Melkiten in der Diaspora?

Die melkitische Kirche war schon immer eng mit ihren Gläubigen verbunden, wo immer diese auch sein mögen. Da unser Volk aufgrund von Kriegen, wirtschaftlicher Not und anderen Herausforderungen ausgewandert ist, haben wir ein solides Netzwerk der seelsorgerischen Betreuung aufgebaut, um ihren geistlichen Bedürfnissen gerecht zu werden. Unsere Pfarreien und Eparchien in der ganzen Welt sorgen dafür, dass die melkitischen Christen ihren Glauben weiterhin leben, ihre liturgischen Traditionen bewahren und das Gemeinschaftsleben fördern können. Wir ziehen es vor, diese Gemeinschaften als “Länder der Expansion” und nicht als “Diaspora” zu bezeichnen. Unsere Geistlichen und verantwortlichen Laien arbeiten unermüdlich daran, die Identität und das Erbe unserer melkitischen Gläubigen im Ausland durch seelsorgerische Betreuung, soziale Unterstützung und kulturelles Engagement zu bewahren.

Raten Sie den christlichen Syrern in Westeuropa heute zur Heimkehr nach Syrien? Oder sollen sie sich in Europa integrieren und zugleich ihre religiöse Identität bewahren?

Jede Familie und jeder Einzelne muss die eigenen Umstände sorgfältig abwägen. Wir ermutigen die syrischen Christen, ihre Verbindung zu ihrem Heimatland aufrechtzuerhalten, ihre religiöse Identität zu bewahren und Syrien auf jede erdenkliche Weise zu unterstützen. Denjenigen, die sich in Westeuropa aufhalten, empfehlen wir, sich in ihre neue Gesellschaft zu integrieren und dabei an ihren religiösen, kulturellen und familiären Werten festzuhalten. Auch wenn die Rückkehr nach Syrien für einige in der Zukunft eine Option sein könnte, ist es im Augenblick von größter Bedeutung, sich ein stabiles und würdiges Leben in Europa aufzubauen und dabei den eigenen Glauben und das eigene Erbe zu bewahren. Wo auch immer sie sein mögen, wir vertrauen darauf, dass die melkitischen Christen weiterhin treue Zeugen für Christus sein werden.

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