Wo Religion zum Alltag gehört

Orientalische Gastfreundschaft, christliche Vielfalt und nachhaltige Zukunftspläne: Ein Besuch im Marienheiligtum “Unserer Lieben Frau vom Libanon” in Harissa bei Beirut

Quelle
Harissa
Harissa – der wichtigste Marienwallfahrtsort in Nahost (archivioradiovaticana.va)
Libanon: Synodenversammlung katholischer Nahost-Kirchen – Vatican News
Libanon – Wikipedia

07.07.2024

Annalia Machuy

Ein gewaltiger Regenbogen spannt sich über den Himmel. Fast wie ein Kreis umschließt er die waldigen Hügel, die sich hinter der Hafenstadt Jounieh steil in den östlichen Himmel heben, und die in der Abendsonne leuchtenden Häuser von Harissa. Die Aussicht zu Füßen “Unserer Lieben Frau vom Libanon” ist überwältigend. Im Westen verliert sich der Blick irgendwo zwischen Mittelmeer und Horizont, im Norden folgt er dem Highway, der sich immer entlang der Küste durch das ganze Land schlängelt, im Süden findet er das Häusergrau von Beirut. Weit streckt die achteinhalb Meter hohe Bronzemadonna ihre Hände in Richtung der libanesischen Hauptstadt. Schlicht ist die Mariendarstellung, ganz in weiß bis auf den Kranz von zwölf gelbgoldenen Sternen um ihr Haupt. Nicht immer findet man als Beter einen Platz zu ihren Füßen. Der Treppenpfad, der sich um die kegelförmige Steinkapelle, auf der die Statue steht, nach oben windet, ist schmal und die Liebe der Libanesen zu ihrer himmlischen Mutter groß. An Wochenenden oder Feiertagen sind die vielen Parkplätze rund um das maronitische Marienheiligtum ebenso wie die Gottesdienste nicht selten überfüllt.

Pilger jeden Alters kommen zur Schutzpatronin des Libanon. Familien, Schulklassen, junge Paare. Auch Muslime sind immer wieder unter den Besuchern. Sie verweilen einige Zeit in der Anbetungskapelle, besichtigen die verschiedenen kleinen Kirchen auf dem Gelände, genießen die Aussicht. Allein im Mai, der als Marienmonat die meisten Pilger nach Harissa zieht, sind es gut 1,5 Millionen Besucher. Eine feierliche Prozession mit internationalem Rosenkranzgebet, einem Live-Orchester und zwei Hubschraubern, die Rosen vom Himmel fallen ließen, bildete in diesem Jahr den Höhepunkt und Abschluss der Maifeierlichkeiten.

Vielfalt christlicher Kirchen

Die Idee, ein besonderes Heiligtum zu Ehren der Gottesmutter zu errichten, entstand 1904 beim 50-jährigen Jubiläum der Verkündigung des Dogmas der Unbefleckten Empfängnis. Damals entschieden der maronitische Patriarch Elias Hoayek und der Apostolische Nuntius Carlos Duval, dieses Ereignis mit einem Denkmal, das der Verehrung der libanesischen Bevölkerung für Maria Ausdruck verleihen sollte, zu würdigen. Bereits vier Jahre später konnte das Heiligtum eingeweiht werden. Die wachsenden Pilgerzahlen führten schließlich zum Bau der großen Basilika in den siebziger Jahren. Auch ein Hotel und Tagungshaus befindet sich mittlerweile auf dem Gelände.

Der Libanon ist anders, das merkt schnell, wer mit offenen Augen dort unterwegs ist. Achtzehn anerkannte Religionsgemeinschaften leben in dem schmalen Gebiet zwischen Israel, Syrien und dem Mittelmeer. Neben den muslimischen Denominationen, die nun mehr als 60 Prozent der Bevölkerung ausmachen, ist das so kleine Land Heimat für eine in Westeuropa kaum nachvollziehbare Vielfalt an christlichen Kirchen. Neben der maronitischen, griechisch-orthodoxen und griechisch-melkitisch-katholischen Kirche, die die drei größten christlichen Gemeinschaften des Landes bilden, gibt es unzählige Klöster und Gemeinden anderer Konfession wie etwa der syrisch-orthodoxen, armenisch-katholischen, assyrischen, koptischen, protestantischen und römisch-katholischen Kirche.

Religion gehört im Libanon ganz selbstverständlich zum alltäglichen Leben. Überall finden sich Zeichen des Glaubens, in den christlichen Regionen sind es Heiligenfiguren und Kreuze an Wegen, Straßen und Häusern, in den Autos, in Geschäften und Werkstätten. Neben der Gottesmutter sind es vor allem der heilige Charbel, der “Wundermönch vom Libanon”, der Prophet Eliah, der heilige Georg, die maronitische Ordensschwester Rapha, Rita von Cascia, der Erzengel Michael und Therese von Lisieux, die allgegenwärtig scheinen. In den meisten der vielen Kirchen wird täglich eine heilige Messe gefeiert, Wunder sind nichts allzu Ungewöhnliches und die meisten der jungen christlichen Erwachsenen, erklärt eine 27-jährige Libanesin, haben Anschluss an eine religiöse Gruppe, sei es über die Universität, Verbände wie die Pfadfinder oder eigenständig organisiert. Sie selbst trifft sich einmal in der Woche mit einer Gruppe von Freunden in einem Kloster griechisch-melkitischer Ordensschwestern in Harissa, unweit vom Heiligtum Unserer Lieben Frau vom Libanon. Gemeinsam werden Bibelstellen geteilt und besprochen, gesellschaftliche und ethische Themen diskutiert, gebetet. “Einmal hat mich ein Leiter einer apostolischen Kirche gefragt, ob ich einen Vortrag über die Krise im religiösen Engagement junger Menschen halten könnte”, erzählt Schwester Therese El Salwa, die die Treffen der jungen Erwachsenen in ihrem Konvent in Harissa begleitet. “Ich habe gesagt, es gibt keine Krise. Er hat nicht noch einmal angerufen.”

Wirtschaftliche Krise auch hier spürbar

Nein, die jungen Christen des Libanon fühlen sich ihrer Religion sehr verbunden. Nur an Unterstützung von Seiten der Kirche mangele es manchmal, so Schwester Therese. Für die Ordensfrau ist die Arbeit mit Jugendlichen und das Unterrichten an der Universität “kein Beruf, sondern Leidenschaft“. Die 44-Jährige ist Superiorin der “Missionarinnen Unserer Lieben Frau von der Immerwährenden Hilfe” in Harissa und promoviert derzeit über die Situation der christlichen Jugend im Nahen Osten. Der 1938 gegründete Orden widmet sich vor allem der Erziehung und ist in Schulen, Pfarreien und in der Jugendarbeit tätig. Rund sechzig Schwestern leben aktuell in den Niederlassungen im Libanon, in Syrien und Ägypten.

Der Konvent in Harissa ist nicht nur das Gründungs- und Mutterhaus, in dem auch die Oberin des Ordens, Mutter Nicole Herro, lebt. Nach Harissa kommen auch die älteren Schwestern nach ihrer aktiven Zeit als Missionarinnen. Ordensfrauen im Alter von aktuell 80 bis 97 Jahren leben derzeit im Konvent. Manche können sich noch aktiv am Gemeinschaftsleben und den Aufgaben in Haus und Garten beteiligen, andere sind nach ihrem langen Dienst am Nächsten mittlerweile selbst auf Pflege und Unterstützung angewiesen. Während sich die Gemeinschaft zuvor durch ihre Arbeit an den Schulen und in den Konventen selbst eigenständig finanzieren konnte, hat die ökonomische Krise des Landes nun auch hier deutliche Spuren hinterlassen. Wer als Gast bei den Schwestern lebt, wird verborgen hinter der orientalischen Herzlichkeit und Gastfreundschaft zunächst nicht spüren, wie sehr der Orden mittlerweile darum ringen muss, schon die basalsten Kosten zu decken. Vor allem die stetig steigenden Preise für den medizinischen Bedarf werden zunehmend zur Herausforderung.

Große Pläne mit Gott “dem Geber”

Angegliedert an den Konvent ist ein Komplex mit Räumlichkeiten für Veranstaltungen, Jugendgruppen und Exerzitien. Hier soll in naher Zukunft ein Zentrum für ganzheitliche Erholung und persönliches Wachstum für Körper, Seele und Geist entstehen, dessen Angebote sowohl für Einzelpersonen als auch Gruppen verfügbar sein sollen. Diese Vision entstand gemeinsam mit einem Ehepaar, das seit einigen Monaten mit ihrem kleinen Sohn auf dem Gelände des Klosters wohnt und mit den Schwestern zusammenarbeitet. Michael Sakr, ein in Australien aufgewachsener Psychotherapeut und seine Frau Takla, eine aus der Nähe von Harissa stammende Psychologin, entwickeln derzeit gemeinsam mit Schwester Therese ein Konzept für das geplante Zentrum und bemühen sich vor allem in Australien um Spenden für die notwendigen Renovierungsarbeiten am Gebäude und eine schlichte, aber adäquate Ausstattung der Räumlichkeiten. Auch allgemein unterstützt die Familie das Kloster nicht nur in alltäglichen Belangen, sondern hilft auch dabei, Schritt für Schritt ein möglichst autarkes Gemeinschaftsleben zu entwickeln.

Die landwirtschaftliche Effizienz des Geländes rund um das Kloster soll deutlich erhöht und ein Solarsystem zur größeren Unabhängigkeit von externen Bezügen installiert werden. Bei all dem spürt man vor allem eines deutlich: “Gott liebt einen fröhlichen Geber”, das ist der Leitsatz der Schwestern Unsere Lieben Frau von der Immerwährenden Hilfe, und die Freude des Gebens ist in ihrer Nähe wunderschön erlebbar. “Sie sind Engel” und: “Eines Tages werden das Heilige sein” – diese Sätze hört man immer wieder, wenn einer der dankbaren Gäste, die zur Erholung in das Kloster kommen oder Mitarbeiter, die die Schwestern schon lange kennen, heimlich über Schwester Therese oder Mutter Nicole reden. Engel an einem Ort, der dem Himmel sehr nahe ist und den Westen einiges lehren könnte. Denn der Libanon, so sagte Papst Johannes Paul II. bei seinem Besuch in Harissa im Jahr 1997, und es gilt auch heute noch, “ist kein Land, sondern eine Botschaft”.

Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.

Hier kostenlos erhalten!

Themen & Autoren

Annalia Machuy
Christliche Kirchen
Johannes Paul II.
Koptische Kirche
Mutter Jesu Maria
Päpste
Römisch-katholische Kirche
Schwestern

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Kategorien

Die drei Säulen der röm. kath. Kirche

monstranz maria papst-franziskus

Archiv

Empfehlung

Ausgewählte Artikel