Im Teufelskreis der Gewalt
Im Nahost-Konflikt plädierten die Päpste schon immer für eine Zwei-Staaten-Lösung und für eine Internationalisierung Jerusalems
Quelle
Israel wirft Kirchenvertretern Parteinahme für die Palästinenser vor | Die Tagespost (die-tagespost.de)
Redemptionis anno – kathPedia
Papst Paul VI. 1964 Jerusalem
Pilgerfahrt ins Heilige Land, 1964 | Paul VI. (vatican.va)
Apostolische Reise ins Heilige Land (8.-15. Mai 2009) | BENEDIKT XVI. (vatican.va)
24.10.2023
Israels Außenminister Eli Cohen ist unzufrieden mit Papst Franziskus. Wie seine Behörde am Sonntag mitteilte, verlangt Cohen vom Vatikan “eine klare und unzweideutige Verurteilung der mörderischen Terrorakte der Hamas-Terroristen“. Damit replizierte Israels Außenminister auf die Angelus-Ansprache des Papstes.
Doch was hatte Franziskus gesagt? “Ich verfolge weiterhin mit großem Schmerz, was in Israel und Palästina geschieht. Ich denke an die vielen Menschen, vor allem an die Kinder und Alten. Ich erneuere meinen Aufruf zur Freilassung der Geiseln und fordere nachdrücklich, dass Kinder, Kranke, ältere Menschen, Frauen und alle Zivilisten nicht dem Konflikt zum Opfer fallen. Das humanitäre Recht muss eingehalten werden, insbesondere im Gazastreifen, wo es dringend notwendig ist, humanitäre Korridore zu gewährleisten und die gesamte Bevölkerung zu retten.”
Kritik am Heiligen Stuhl
Dazu meinte Außenminister Cohen, es sei “nicht hinnehmbar, dass eine Stellungnahme herausgegeben wird, die vor allem Sorge um die Zivilbevölkerung in Gaza enthält, während Israel 1300 Menschen zu Grabe trägt, die ermordet wurden”. Doch die Linie des Heiligen Stuhls (wie das Völkerrechtssubjekt, das oft unscharf “Vatikan” genannt wird, korrekt heißt) war mit Blick auf den Nahost-Konflikt stets differenziert.
Ganz auf dieser traditionellen Linie verurteilte Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin den Terroranschlag der Hamas gegen Israel “auf das Schärfste” und zeigte sich besorgt um die Geiseln. Gleichzeitig mahnte er: “Die Angegriffenen haben das Recht, sich zu verteidigen, aber die Selbstverteidigung muss auch die Parameter der Verhältnismäßigkeit beachten.” Obwohl sie angesichts der aktuellen Eskalation völlig außer Reichweite ist, erinnerte Parolin im Interview mit “Vatican News” daran, dass aus Sicht des Heiligen Stuhls “die größtmögliche Gerechtigkeit im Heiligen Land die Zwei-Staaten-Lösung wäre, die es Palästinensern und Israelis ermöglichen würde, Seite an Seite in Frieden und Sicherheit zu leben”.
Historischer und ökumenischer Brückenschlag
Als Paul VI. als erster Papst seit dem Apostelfürsten Petrus 1964 Jerusalem besuchte, war die Stadt des Todes und der Auferstehung Jesu noch unter jordanischer Verwaltung. Der Besuch Pauls VI. brachte noch keine Anerkennung Israels, sondern war eine Pilgerreise und ein historischer wie ökumenischer Brückenschlag. Denn der Papst traf hier, wo Christen aller Bekenntnisse leben, den Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel, Athenagoras. 1967 forderte Paul VI. in Anlehnung an Pius XII. einen international garantierten Sonderstatus für Jerusalem.
Erst unter Papst Johannes Paul II. kam es 1984 zur ersten Nennung des “Staates Israel” in einem päpstlichen Schreiben (Redemptionis anno) und 1993 zu einem Grundlagenabkommen des Heiligen Stuhls mit dem Staat Israel; im Jahr darauf auch zu offiziellen diplomatischen Beziehungen mit Israel und Jordanien sowie zu offiziellen Beziehungen mit der PLO. Von Anfang an ging es der Kirche um den Schutz der heiligen Stätten und den freien Zugang der Gläubigen zu ihnen, um Garantien für die dauerhafte Präsenz der christlichen Gemeinden und Institutionen.
Natürliches Recht auf ein Heimatland
Das Grundlagenabkommen bekräftigte das Recht der Kirche auf Pfarreien, Schulen und Sozialeinrichtungen. Es beinhaltet auch ein Bekenntnis zur Religions-, Gewissens- und Kultfreiheit. Vieles jedoch blieb ausgeklammert, etwa der Status Jerusalems oder wirtschaftliche und steuerliche Fragen. Im Jahr 2000 schloss der Heilige Stuhl auch einen Grundlagenvertrag mit der palästinensischen Behörde und bekräftigte seine Forderung nach einem international garantierten Sonderstatus für Jerusalem. Bei seiner Ankunft in Tel Aviv erinnerte Johannes Paul II. im März 2000 daran, “wie dringend die Notwendigkeit des Friedens und der Gerechtigkeit nicht allein für Israel, sondern für die ganze Region ist”.
In Bethlehem ergänzte er in Anwesenheit von Yassir Arafat: “Der Heilige Stuhl hat immer anerkannt, dass das palästinensische Volk ein natürliches Recht auf ein Heimatland besitzt und das Recht, in Frieden und Ruhe mit anderen Völkern dieses Gebiets leben zu können.” Es könne “kein Ende für den traurigen Konflikt im Heiligen Land geben ohne sichere Garantien für die Rechte aller betroffenen Völker auf der Grundlage des internationalen Rechts”.
Gebet für gerechten und dauernden Frieden
Als Papst Benedikt XVI. im Mai 2009 von Jordanien kommend in Tel Aviv landete, erinnerte er in seiner ersten Ansprache auf israelischem Boden daran, dass dieses Land “von Millionen Gläubigen in aller Welt als heilig betrachtet wird”. Er selbst stellte sich als Pilger vor, der an den heiligen Stätten beten wolle, besonders für den Frieden im Heiligen Land. Die Augen der Welt seien auf die Völker der Region gerichtet in ihrem Ringen um eine gerechte und dauerhafte Lösung der Konflikte. Er hoffe auf eine gerechte Lösung, “damit beide Völker in Frieden in ihrer eigenen Heimat leben können, in sicheren und international anerkannten Grenzen“.
Papst Benedikt thematisierte bei einem Besuch in Bethlehem ausführlich das Leid der Palästinenser: “Ich weiß, wie sehr Sie an der seit Jahrzehnten in diesem Land herrschenden Unruhe gelitten haben und weiter leiden.” Und weiter: “All jenen unter Ihnen, die über den Verlust von Angehörigen und Freunden in den gewaltsamen Auseinandersetzungen und besonders in den jüngsten Konflikten in Gaza trauern, versichere ich mein tiefstes Mitgefühl und mein häufiges Gebetsgedenken.” Er bete jeden Tag “für einen gerechten und dauernden Frieden in den Palästinensischen Gebieten und in der ganzen Region”, so der Papst im Mai 2009.
Aufruf zu Ehrlichkeit, Integrität und dem Streben nach Frieden
Benedikt XVI. sprach sich unumwunden für das Recht der Palästinenser auf einen eigenen Staat “in Sicherheit und in Frieden mit seinen Nachbarn innerhalb von international anerkannten Grenzen” aus. Dafür seien Ressentiments und Spannungen zu überwinden, auch müsse man der “Versuchung widerstehen, Gewalt anzuwenden oder terroristische Akte zu begehen”.
In einer Predigt in Jerusalem erklärte Benedikt XVI., warum der Heilige Stuhl einen internationalen Status für Jerusalem bewirbt: “Als Mikrokosmos unserer globalisierten Welt muss diese Stadt, wenn sie ihrer universalen Berufung gerecht werden will, ein Ort sein, der Universalität, Achtung der anderen, Dialog und gegenseitiges Verständnis lehrt. Sie muss ein Ort sein, an dem Voreingenommenheit und Unwissen sowie die Furcht, die sie nährt, durch Ehrlichkeit, Integrität und Streben nach Frieden überwunden werden. Innerhalb dieser Mauern darf es keinen Platz geben für Gewalt, Engstirnigkeit, Unterdrückung und Rache.” An “alle, die an einen gnädigen Gott glauben, seien sie Juden, Christen oder Muslime” appellierte der Papst damals, eine “Kultur der Versöhnung und des Friedens” zu fördern.
Für einen Frieden, der auf Gerechtigkeit beruht
Dass sein Plädoyer für eine Zwei-Staaten-Lösung nicht palästinensischem Lokalkolorit in Bethlehem geschuldet, sondern Überzeugung war, bewies Benedikt XVI. mit seiner Abschiedsrede in Tel Aviv, als er an Präsident Shimon Peres und Regierungschef Benjamin Netanjahu gewandt sagte: “Ich kam in dieses Land als Freund der Israelis, wie ich auch ein Freund des palästinensischen Volkes bin.”
Und: “Kein Freund der Israelis und der Palästinenser kann es sich versagen, nicht traurig zu sein bei den anhaltenden Spannungen zwischen Ihren beiden Völkern. Kein Freund kann es sich versagen, nicht zu weinen, wenn er das Leid und den Verlust von Menschenleben miterleben muss, die beide Völker im Laufe der letzten sechs Jahrzehnte zu beklagen hatten.” Benedikt XVI. rief dazu auf, “diesen Teufelskreis der Gewalt” zu durchbrechen. “Bauen wir einen dauerhaften Frieden auf, der auf Gerechtigkeit beruht, bauen wir auf wahre Versöhnung und Heilung.”
Dann definierte er neuerlich die vatikanische Sicht: “Möge es doch allgemein anerkannt werden, dass der Staat Israel das Recht hat, zu existieren, und Frieden und Sicherheit innerhalb international garantierter Grenzen zu genießen. Möge es doch ebenso anerkannt werden, dass das palästinensische Volk ein Recht auf ein souveränes, unabhängiges Heimatland hat, in dem es mit Würde leben und sich frei bewegen kann. Möge doch die Zwei-Staaten-Lösung zur Realität werden und kein Traum bleiben.” Diese Linie bekräftigte Papst Franziskus 2014 beim Besuch in Bethlehem und Tel Aviv. Er bleibt ihr auch jetzt treu.
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