Stellungnahme des Netzwerks katholischer Priester
Datenschutzrechtliches Problem
Stellungnahme des Netzwerks katholischer Priester zur Entscheidung des Ständigen Rates der Deutschen Bischofskonferenz auf der 185. Sitzung vom 20. /21. Juni 2011 zur Überlassung aller Personalakten sämtlicher Priester aus den deutschen Diözesen an das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen e.V. (KFN) zur Durchführung einer empirischen Untersuchung
Das Forschungskonzept des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen e.V. (KFN) für eine empirische Untersuchung des sexuellen Missbrauchs an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz sieht die Durchsicht aller Personalakten des genannten Personenkreise der letzten 65 Jahre vor.
Der Ständige Rat der Deutschen Bischofskonferenz hat auf seiner 185. Sitzung am 20./21. Juni 2011 beschlossen, mit KFN einen Vertrag zu schliessen, der eben dieses Vorgehen regelt.
Als Sprecher des Netzwerks katholischer Priester teilen wir das Anliegen der Bischöfe, wirksame Massnahmen zur Verhinderung des sexuellen Missbrauchs an Minderjährigen durch katholische Kleriker oder andere kirchliche Mitarbeiter zu ergreifen und gegenüber den bisherigen Opfern Entschiedenheit im Handeln zu signalisieren. Wir sind wie die Bischöfe der Meinung, dass Tätern oder Tatverdächtigen in ordentlichen Strafverfahren ihre Taten nachgewiesen werden müssen und sie durch gerichtlich festgesetzte Strafen die Konsequenzen ihres Handelns tragen sollen.
Dennoch protestieren wir entschieden gegen die beabsichtigte pauschale Herausgabe aller Personalakten zum Zwecke eines Forschungsprojektes. Denn diese stellt aus unserer Sicht einen unerlaubten Eingriff in die Persönlichkeitsrechte von Priestern, Diakonen und Ordensgeistlichen dar und beschädigt nachhaltig das Vertrauensverhältnis katholischer Kleriker gegenüber ihren Bischöfen und Oberen. Wir sehen durch die geplante Massnahme die Majorität unserer Mitbrüder einem öffentlichen Generalverdacht im Hinblick auf sexuellen Missbrauch an Minderjährigen ausgesetzt, der bisher in erster Linie durch eine oft undifferenzierte Behandlung des Themas in den Medien hervorgerufen wurde und jetzt auch durch die eigenen Vorgesetzten in der Öffentlichkeit – wenn auch ungewollt – verbreitet wird.
Wir halten dies für ein falsches Signal in zweierlei Hinsicht. Erstens wird das ohnehin schwierige Thema in der vergröberten Wahrnehmung der Öffentlichkeit unzulässig pauschalisiert, und zweitens stellt die ohne Befragung und Zustimmung des Einzelnen an Dritte beschlossene Auslieferung von Persönlichkeitsdaten aus allen (!) Bereichen des klerikalen Werdegangs eine grobe Verletzung der den Bischöfen und Oberen obliegenden Fürsorgepflicht für die ihnen Untergebenen dar.
Denn unabhängig von der Frage, ob die Überlassung von personenbezogenen Daten einem massiven und den Personenschutz des Einzelnen übersteigenden und ihn so aufhebenden wissenschaftlichen Interesse dient oder nicht, liegt in der ohne die Mitwirkung des Einzelnen beschlossenen Überlassung der Personalakten mehr als nur ein – auch durch die “Klarstellung” der Deutschen Bischofskonferenz vom 5. August 2011 keineswegs gelöstes – datenschutzrechtliches Problem. Denn ausser dem aus unserer juristisch eingehend geprüften Sicht damit einhergehenden Verstoss gegen die Kirchliche Datenschutzordnung, nach der der Einzelne davor zu schützen ist, dass er durch den Umgang mit seinen personenbezogenen Daten in seinem Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt wird, entsteht auch ein ungeheuerlicher Bruch des Vertrauensverhältnisses zwischen Klerikern und ihren Bischöfen bzw. Oberen. Denn die Personalakten enthalten neben berufsbezogenen Details auch persönliche Daten aus dem privaten Umfeld eines Klerikers.
Durch das geplante Vorgehen wird der grundgesetzlich garantierte Persönlichkeitsschutz des einzelnen Klerikers, dessen Personalakte eine Vielzahl höchstpersönlicher Dokumente und Daten enthält (kirchliche Leumundszeugnisse, Werdegang, Beurteilungen etc.), grob verletzt, wenn ohne die Zustimmung des Einzelnen eine Herausgabe von personenbezogenen Daten erfolgt.
Analog haben im staatlichen Arbeitsrecht Dritte keinen Anspruch auf Herausgabe der Personalakten, und ein Arbeitgeber kann auch nicht vertraglich eine solche auf den Weg bringen. Selbst staatliche Petitionsausschüsse und Gerichte können nur dann die Vorlage der Personalakten anordnen, wenn der Arbeitnehmer zustimmt.
Im Rahmen des besonderen Treueverhältnisses zwischen dem Diözesanbischof und seinen Priestern und der Fürsorgeverpflichtung des Bischofs gemäss can. 384 des kirchlichen Gesetzbuches von 1983 (Codex Iuris Canonici – CIC) muss der Bischof Massstäbe ansetzen, die nicht hinter den Grundsätzen des staatlichen Arbeitsrechtes bei der Behandlung der Daten einer Personalakte zurückstehen. Genau dies aber geschieht hier.
Unter der Voraussetzung dass die Deutsche Bischofskonferenz diese Beschädigung im Innenverhältnis sorgfältig gegenüber dem wissenschaftlichen Interesse abgewogen hat, aus dem heraus sie die Privatsphäre aller (!) ihrer unterstellten Kleriker Dritten überlässt, müssen wir feststellen, dass diese Interessenabwägung zweifelsohne in der breiten Öffentlichkeit den Eindruck hinterlässt, die Deutsche Bischofskonferenz unterstelle durch die Gewährung von Akteneinsicht ohne Einwilligung des Einzelnen alle Priester, Diakone und Ordensangehörige in ihrem Jurisdiktionsbereich dem Generalverdacht von sexuellem Missbrauch an Minderjährigen.
Das Netzwerk katholischer Priester wendet sich mit Entschiedenheit gegen das juristisch wie menschlich höchst bedenkliche Vorgehen der Deutschen Bischöfe. Denn für die Zukunft des Priesterberufes und des Diakonats in Deutschland ist es aus unserer Sicht unerlässlich, den Zusammenhalt zwischen den Bischöfen und den ihnen anvertrauten Klerikern zu stärken. Die – wenn auch nur missverständliche – Stellung aller Geistlichen unter den Generalverdacht der tatsächlichen oder potentiellen Missbrauchstäterschaft durch die ungenehmigte Überlassung aller Personalakten, wirft jedoch einen tiefen Graben zwischen den Bischöfen und ihren engsten Mitarbeitern auf.
Zahlreiche Anfragen und Beschwerden von Mitbrüdern bestärken uns, diese Kritik am Vorgehen der Bischöfe – ungeachtet unseres gelobten Gehorsams gegenüber den
jeweiligen Autoritäten – mit Entschiedenheit vorzutragen.
Denn es ist aus unserer Sicht ein fataler Irrtum, zu glauben, das Joch der Schuld und der Sünde in der Kirche durch öffentlichkeitswirksame Projekte wie das Forschungsprojekt des KFN abzuwenden, das eher geeignet ist, den Klerikerstand als Ganzen der öffentlichen Verfolgung preiszugeben, als ihm zu einer neuen Vertrauensbasis zu verhelfen. Auch das zu erwartende positive Ergebnis, dass die Mehrheit der Kleriker unbescholten ist, wird keinesfalls die im Vorfeld ausgelöste Welle an durch die Bischöfe selbst materialiter verursachten Generalverdächtigungen überwiegen.
Wir sind erschüttert über den aus dem geplanten Vorgehen sprechenden Mangel an Vertrauen zu uns Priestern und über die damit einhergehende offensichtliche Hilflosigkeit unserer Bischöfe, denen wir unser Geschick bei der Weihe buchstäblich in die Hand gegeben haben, uns in der Öffentlichkeit vor pauschalen Inkriminierungen zu bewahren.
Schon die Tatsache, dass unsere Persönlichkeitsrechte durch das Ignorieren unserer zum Vorhaben notwendigen Zustimmung verletzt werden, belegt, dass sich im Miteinander zwischen Bischöfen und Klerikern in der katholischen Kirche Deutschlands einiges ändern muss, will man den Priesterberufungen noch eine Zukunft schenken.
Wir bitten daher die Deutschen Bischöfe in aller Form ihr Vorgehen zu überdenken und von den bisherigen Planungen Abstand zu nehmen.
Herzogenrath, 6. August 2011, am Fest der Verklärung des Herrn
Für das Netzwerk katholischer Priester das Sprechergremium
Pfr. Dr. Guido Rodheudt, Pfr. Hendrick Jolie, Pfr. Uwe Winkel
Quelle
Seelsorgestrukturen
Netzwerk katholischer Priester
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