Unser Sonntag: Die Zeit ist kurz
Weihbischof Florian Wörner ruft uns dazu auf, es mit Gott ernst zu meinen: Gott sollte das Sagen haben – auch über unsere Zeit
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Gebetswoche 2021: „Wir leben in einer besonderen Zeit“
Die Verkündigung des Reiches Gottes
Weihbischof Florian Wörner ruft uns dazu auf, es mit Gott ernst zu meinen: Gott sollte das Sagen haben – auch über unsere Zeit. Die Suche nach Seinem Reich, sollte das Prinzip unserer Zeitplanung sein.
„Wie doch die Zeit vergeht“, klagen wir manchmal, oder: „Mir läuft die Zeit davon.“ Jetzt ist der erste Monat dieses neuen Jahres schon fast wieder vorüber und dies und jenes ist noch immer nicht erledigt. Vielleicht kennen wir dieses Gefühl des inneren Zeitdrucks.
Manchmal frage ich mich, was nur los ist mit unserem Umgang mit der Zeit. Eigentlich müssten wir doch genügend davon haben: 365 Tage hält dieses Jahr 2021 für uns bereit, das sind 8.760 Stunden oder 525.600 Minuten bzw. 31.536.000 Sekunden. Und dennoch rutscht uns immer wieder das Wort oder zumindest der Gedanke heraus: „Keine Zeit!“ Was tun wir nur mit unserer Zeit?
Manche behaupten: Zeit ist Geld
Wir leben in der Regel länger als die Menschen früher, unsere Fortbewegungsmittel sind schneller und dank der modernen Technik sparen wir uns doch in vielen Bereichen unseres Lebens eine Menge Zeit. Was tun wir nur mit der Zeit? Man hat Zeit für das, wofür man sich Zeit nimmt. Manche behaupten: „Zeit ist Geld!“ Die Frage ist dann, kann man der Zeit einen Sinn abgewinnen, auch wenn nichts zu holen ist, oder muss man die Zeit dann totschlagen, wenn sie nichts einbringt.
Jesus Christus wird unser Zeitgenosse
Gott sei Dank! Das erste Wort, das Jesus im Markus-Evangelium ausspricht – es wird an diesem Sonntag verkündet – lautet: „Die Zeit ist erfüllt…“ (Mk 1,15). Warum? Weil Gott Zeit hat und weil er sich auf unsere Zeit einlässt und in Jesus Christus unser Zeitgenosse wird. Damit gehen die Erwartungen der Propheten des Alten Testamentes und auch unsere Sehnsüchte in Erfüllung. Die Zeit ist mit dem Eintreten Jesu Christi in unsere Welt und Zeit erfüllt, und darum muss sie uns nicht mehr davonlaufen, noch müssen wir sie totschlagen. In Jesus Christus ist die Zeit eine erfüllte geworden: jede Sekunde, jede Minute, jede Stunde, jeder Tag, alle Tage unseres Lebens und der Geschichte. Die Zeit bekommt durch ihn ihre Mitte, ihr Ziel und somit ihren tiefen Sinn. Er ist A (Alpha) und O (Omega) der Zeit, Anfang und Ende. „Sein ist die Zeit und die Ewigkeit. Sein ist die Macht und die Herrlichkeit in alle Ewigkeit“, spricht der Zelebrant bei der Bereitung der Osterkerze in der Feier der Osternacht.
„Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe.“
Und damit sind wir beim Kern der Verkündigung Jesu: „Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe.“ (Mk 1,15) D.h. Gottes Herrschaft, Gottes Regentschaft ist auf eine neue Weise mit Jesus Christus in unsere Zeit und Geschichte hereingekommen. Will heissen: Mit Gott ist zu rechnen. Ihn gibt es. Er ist da, und er hält alles in seiner Hand. Die Zeit ist erfüllt, d.h. die Stunde ist gekommen, in der sich Gott in einer nie da gewesenen Weise als der Herr der Geschichte zeigt, und zwar durch Jesus Christus, durch sein Eintreten in die Zeit, durch seine Gegenwart, sein Auftreten, Wirken und Verkünden.
Das Vaterunser ernst meinen…
Wer im Gebet des Herrn, dem „Vater unser“, die Bitte „dein Reich komme“ ausspricht und ernst meint, der anerkennt, dass Gott das Sagen hat und Herr ist, dass er an erster Stelle steht und den Vorrang hat. „Sucht aber zuerst sein Reich und seine Gerechtigkeit; dann wird euch alles andere dazugegeben“ (Mt 6,32f), rät uns Jesus. Wer das verinnerlicht und zum Prinzip seiner Zeitplanung, seiner Alltagsgestaltung, ja zur Lebens-Haltung werden lässt, für den wird sich Vieles neu ordnen. Damit sind nicht automatisch alle Probleme aus der Welt geschafft, aber die Massstäbe für die kleineren und grösseren Entscheidungen sind klar: Was kommt zuerst, und was hat Zeit? Was ist wichtig, und was kann warten und hat vielleicht gar nicht die Bedeutung, die ihm im Eifer des Gefechts momentan beigemessen wird.
Gottes Wille als Massstab
Was ist richtig, was ist falsch? Was ist wahr und gut, und was ist vom Bösen? Wer Gott sein Ohr schenkt und seinen Willen zum Massstab für sein Denken, Entscheiden, Sprechen und Handeln macht, wird merken, dass Licht ins Dunkel kommt, Ordnung ins Durcheinander und Unübersichtliche, Frieden und Gelassenheit in die Unruhe und Nervosität, und kein Tag ohne Sinn und Erfüllung bleiben muss, auch wenn er noch so unspektakulär zu sein scheint oder augenblicklich grau, trist oder gar als leidvoll erfahren wird. So wird deutlich, was Jesus meint, wenn er verkündet: „Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe.“ (Mk 1,15)
Für die Jünger wird es ernst mit der Nachfolge
Das Evangelium dieses Sonntags schildert uns gleich eine markante Veranschaulichung: Man ist immer wieder erstaunt, in welcher Schnelligkeit, ja Leichtigkeit und Bereitwilligkeit die Berufung der ersten Jünger, der beiden Brüderpaare Petrus, Andreas, Jakobus und Johannes vor sich geht. Vermutlich dürfen wir davon ausgehen, dass es nicht die erste Begegnung mit dem Herrn war. Nach Auskunft des Johannesevangeliums – wir haben es am vergangenen Sonntag gehört – haben sie ihn schon am Unterlauf des Jordan, wo Johannes der Täufer wirkte, kennengelernt. Jetzt, nachdem der Täufer ausgeliefert wird und gewissermassen von der Bühne abtritt, und sie wieder zu Hause in Galiläa ihrer Arbeit als Fischer nachgehen, wird es ernst mit der Nachfolge Jesu. Was jetzt an ihrem Arbeitsplatz, während der Arbeitszeit geschieht, macht deutlich: Wo Jesus auftritt, da ereignet sich Gottes Reich. Er ist „das Reich Gottes in Person“ (Joseph Ratzinger, Jesus von Nazareth I, S.181).
Jesu Botschaft ist Wirklichkeit und vollmächtig
Entsprechend ist sein Wort nicht irgendeines unter Vielen, die tagtäglich ausgesprochen und gehört werden oder eben auch nicht. Seine Botschaft ist nicht irgendeine Info von mehr oder weniger Belang, sie ist auch nicht nur „gute Nachricht“, sondern Wirklichkeit; sie ist eine Kraft, die Wirkung hat, Veränderung bewirkt, und zwar zum Positiven hin. Das, was Jesus sagt, geschieht auch. Er ruft die Jünger: „Kommt her, mir nach“ (Mk 1,17), und sie lassen alles liegen und stehen und folgen ihm. D.h. sein Wort ist sowohl gebieterisch als auch vollmächtig. Aber man wird sagen können, dass es mehr Kraft ist als Befehl, es ist Gnade und nicht Zwang. Wo das Gefühl von Zwang und Angst vorhanden ist, kann man nicht von wirklicher Berufung durch den Herrn sprechen.
Jesus ruft und für den Berufenen ist klar, was Sache ist
Er beruft uns und nicht wir uns selbst. Und wenn er ruft, dann ist für den Berufenen klar, was Sache ist. Da können dann schon mitunter Anfechtungen und Unsicherheiten auftreten, aber der Grundton ist die Freude und die Entschiedenheit. Die vier jedenfalls lassen das, was bisher ihre Zeiteinteilung und ihren Lebensrhythmus bestimmt hat, nämlich Ihren Beruf und ihre familiären Bande, zurück, und folgen dem machtvollen Ruf Jesu in seine Nachfolge ganz. Beim Herrn gibt es keine halben Sachen. Aus Fischern am See von Galiläa werden Menschenfischer. Von dem gelehrten Benediktinermönch Remigius von Auxerre (nach 841 – 908?) stammt der schöne Gedanke: „Wenn … Fische gefangen werden, sterben sie bald darauf; die Menschen dagegen werden erst lebendig gemacht, wenn sie durch das Wort der Predigt gefangen werden.“
Die Zeit ist kurz
Was heisst das jetzt für uns und unseren Umgang mit der uns zur Verfügung stehenden Zeit? In der zweiten Lesung dieses Sonntags aus dem ersten Korintherbrief hören wir die Feststellung des hl. Apostels Paulus: „Die Zeit ist kurz.“ (1 Kor 7,29) Und drum seine Empfehlung, die ganz auf der Linie der Prioritätensetzung des Reiches Gottes liegt: Wer hat, der verhalte sich künftig so, als habe er nicht, und zwar unabhängig davon, in welche konkrete Lebensform einen der Herr berufen hat: ob gottgeweihtes Leben, Leben in Ehe und Familie oder alleinstehend.
So haben, als habe man nicht; und nicht, wie es die „Kinder dieser Welt“ sehen: „Wer hat, der hat.“ Oder: „Hast du was, dann bist du was.“ In diesem Fall ist die Gefahr durchaus gross, dass man nicht mehr Besitzer dessen ist, was man haben kann, sondern umgekehrt: Der Besitz hat uns.
Moderne Sklaverei: Besitzer oder Besessener?
Dann ist man nicht mehr Besitzer, sondern Besessener – eine moderne und weit verbreitete Form von Sklaverei, die viel Lebenszeit und Energie raubt und doch nicht wirklich erfüllt. Der Rat des hl. Paulus, dass der, der hat, sich künftig so verhalten solle, als habe er nicht, misst den Dingen, die man haben kann, ihr angemessenes Gewicht bei, nimmt ihnen aber ihr destruktives Übergewicht, so dass genügend Energie und Zeit für das Wesentliche bleibt. Der Herr ist wesentlich und sein Reich, und das, was er mit uns vorhat. Das hat Priorität.
„Die Lebenszeit, die uns zur Verfügung steht, ist nicht Geld, sondern eine kostbare Gabe des Herrn an uns.“
Er hat Priorität. Und von daher ordnet sich alles andere, so dass am Ende die Zeit weder davonläuft noch totgeschlagen werden muss, sondern Erfüllung und Frieden schenkt und eine optimale Vorbereitung auf das Ziel unseres Lebensweges ist: nämlich die Erfüllung in der ewigen Gemeinschaft mit Gott. Wer so denkt und handelt, entlastet nebenbei bemerkt auch unsere Mutter Erde, die wir ja nicht zur Ausplünderung anvertraut bekommen haben, sondern dafür, dass wir verantwortungsbewusst damit umgehen.
Die Lebenszeit, die uns zur Verfügung steht, ist nicht Geld, sondern eine kostbare Gabe des Herrn an uns. Sie ist dafür da, sie im Sinne des Gebers im Dienst an ihm und den uns anvertrauten Menschen zu verbringen. Menschenfischer dienen dem Leben derer, die sie durch ihr Zeugnis für Gott gewinnen. Was kann es Schöneres und Erfüllenderes geben, als den Herrn zum Zeitgenossen zu haben und andere in seine Zeitgenossenschaft zu begleiten.
Amen.
vatican news – claudia kaminski
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