“Totus Tuus” – Eine geistliche Betrachtung
An den Wappenspruch des heiligen Johannes Pauls II. erinnern sich gläubige Katholiken bis heute, auch an seine gotteskindliche Liebe zur Mutter unseres Herrn
Von Thorsten Paprotny, 16. November 2019
An den Wappenspruch des heiligen Johannes Pauls II. erinnern sich gläubige Katholiken bis heute, auch an seine gotteskindliche Liebe zur Mutter unseres Herrn.
Die Wendung stammt aus dem “Traktat über die wahre Marienverehrung” des heiligen Ludwig-Maria Grignion de Montfort, der 1843 erstmals publiziert wurde. Aus dessen Werken wird mitunter noch zitiert. Wahrscheinlich in Predigten frommer, aus einer marianischen Spiritualität schöpfenden Priester mögen einige von uns goldene Worte und geistliche Weisheiten wie diese vernommen haben, glänzend, erhaben und feierlich formuliert.
So schreibt der Heilige etwa über Maria als Vorbild in dem genannten Traktat:
“Je mehr du dir das Wohlwollen dieser hohen Prinzessin und treuen Jungfrau erwirbst, um so mehr wird deine Lebensführung vom reinen Glauben inspiriert werden. Einem reinen Glauben, so dass du dich auch nicht darüber wundern wirst, wie empfindsam und einzigartig er ist. Es ist ein lebendiger, von der Nächstenliebe angeregter Glaube, der dich nur aus reiner Liebe handeln lässt. Ein felsenfester, unerschütterlicher Glaube, der dich auch bei Unwetter und Sturm feststehen und ausharren lässt. Ein tätiger und eindringlicher Glaube, der dich wie ein geheimnisvoller vielseitiger Schlüssel in alle Mysterien Jesu Christi, in die letzten Ziele des Menschen und in das Herz Gottes wird eindringen lassen. Ein mutiger Glaube, der dich grosse Dinge für Gott und für das Heil der Seelen wagen und zu Ende führen lässt. Ein Glaube schliesslich, der deine brennende Fackel, dein göttliches Leben, dein verborgener Schatz der göttlichen Weisheit und deine allmächtige Waffe sein wird, mit der du alle erleuchten wirst, die in Finsternis und Todesschatten sind.”
Dieser Lobpreis der marianischen Spiritualität umfasst sehr, sehr viele Seiten. In einer frommen, vielleicht heute frömmelnd und altmodisch wirkenden Sprache scheint derselbe Gedanken immer wieder wiederholt zu werden. Niemand bestreitet die Frömmigkeit des Heiligen, aber mancher mag auch denken: Salbungsvolle Worte, doch sie salben nicht immer oder nicht jeden und nicht zu jeder Zeit. Auch ich selbst muss zugeben: Mich machen diese ehrwürdigen, frommen Worte mitunter doch etwas müde.
Wie können wir die Wendung “Totus Tuus” heute verstehen? Johannes Paul II. hat in einem Apostolischen Schreiben am 8. Dezember 2003 an die Ordensmänner und -frauen der Montfortanischen Familien über Spiritualität nachgedacht, reichlich aus dem “Klassiker der marianischen Spiritualität” zitiert und auch seine Verbindung zu dem Heiligen betont. Er verweist auf die Wurzel des “Totus Tuus” in dessen Werken: “»Tuus totus ego sum, et omnia mea tua sunt«, schreibt der hl. Ludwig-Maria. Und er übersetzt: »Mein Jesus, ich bin ganz dein, und alles, was mein ist, ist dein durch Maria, deine heilige Mutter«.”
Wir sehen hier das menschlich durchaus sympathische Bemühen, die nüchterne Wendung aus dem Lateinischen noch ein wenig – dem Zeitgeschmack entsprechend – mit Worten auszuschmücken. Mit päpstlicher Weisheit erinnert Johannes Paul II. aber auch an die gebotene Nüchternheit, die ein heilsames Korrektiv sein kann gegen allzu gefühlsbetonte Übertreibungen. Der Papst betont die Bindung an Christus und Seine Kirche. “Totus Tuus” ist eine nüchterne Antwort der Hingabe: Wir können uns allen möglichen Sentimentalitäten hingeben, pathetische Reden halten und ein Kompendium der Empfindsamkeit erstellen – oder wie Maria uns ganz zu Christus und zu Seiner Kirche bekennen.
Auch Liebende sagen einander auf je eigene Weise und manchmal auch vielen aufrichtig gemeinten Worten: “Totus tuus.” Ganz bewusst nun – “tuus” kleingeschrieben. Eigentlich müssen sie, wenn sie einander von innen her wahrnehmen und als Person wirklich sehen, Worte wie diese gar nicht mehr aussprechen. Liebende gehen aufeinander zu, erkennen einander, bekennen sich zueinander und vernehmen auch leidenschaftliche Bekenntnisse. Das Sakrament der Ehe ist aber in Christus gegründet, nicht im Lobpreis und in der Huldigung des Partners: “Ganz dein”, das heisst – in Christus einander annehmen und lieben, in der Hingabe, in der liebenden Gemeinschaft zu zweit und in der Familie. “Ganz dein” bedeutet auch: die vertikale Dimension der Ehe zu wahren, in treuer Bindung zueinander und zugleich an Christus und Seine Kirche. Eine ständige Versuchung liegt darin, die Ehe romantisch zu sentimentalisieren oder zeitgeistlich als bloss erotische Beziehung aufzufassen. Die sakramentale Ehe zwischen Mann und Frau bildet den Bund Gottes mit den Menschen ab. Die Ehe wächst und reift im gegenseitigen Verständnis, vor allem auch als Weggemeinschaft, als Pilgerweg des Glaubens und nicht als postmoderne Selbstverwirklichung.
In “Familiaris consortio” hat der heilige Johannes Paul II. darauf aufmerksam gemacht:
“Die Liebesgemeinschaft zwischen Gott und den Menschen, fundamentaler Inhalt der Offenbarung und der Glaubenserfahrung Israels, kommt auf bedeutsame Weise im bräutlichen Bündnis zwischen Mann und Frau zum Ausdruck. … Dank des sakramentalen Charakters ihrer Ehe haben sich Mann und Frau auf zutiefst unlösbare Weise an einander gebunden. Ihr gegenseitiges Sich-gehören macht die Beziehung Christi zur Kirche sakramental gegenwärtig.”
In der Wendung “Totus Tuus” drückt Johannes Paul II. in marianischer Tönung die existenzielle Bindung an Christus aus. Ehepartner können freimütig, aufrichtig und liebevoll “Totus tuus” zueinander sprechen. Sie tun dies im Wissen um die Sakramentalität der Ehe. Dieses “Totus tuus” ist eingebettet und nur verständlich durch das “Totus Tuus”, dass sie gemeinsam sprechen und leben. Sich zu Gott zu bekennen und sich zu Ihm zu bekehren, sich Ihm zu übereignen, Ihn und Seine Kirche immer mehr zu lieben, ist uns allen aufgetragen. In einem “Brief an die Familien” schreibt der heilige Johannes Paul II. am 2. Februar 1994:
“Die Familie selbst ist das tiefe Geheimnis Gottes. Als »Hauskirche« ist sie die Braut Christi. Die Universalkirche und in ihr jede Teilkirche enthüllt sich ganz unmittelbar als Braut Christi in der »Hauskirche« und in der in ihr gelebten Liebe: eheliche Liebe, elterliche Liebe, geschwisterliche Liebe, Liebe einer Gemeinschaft von Personen und Generationen. Ist etwa die menschliche Liebe ohne den Bräutigam und ohne die Liebe denkbar, mit der Er zuerst geliebt hat bis zur Vollendung? Nur wenn sie an dieser Liebe und an diesem »tiefen Geheimnis« teilnehmen, können die Eheleute lieben »bis zur Vollendung«: Entweder werden sie zu Teilhabern an dieser Liebe, oder sie lernen nicht bis ins Innerste kennen, was die Liebe ist und wie radikal ihre Anforderungen sind.”
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