Feuer im Malteserorden
Eine pikante Personalie wirbelt den Souveränen Malteserorden auf
Der deutsche Grosskanzler des Ritterordens, Albrecht Freiherr von Boeselager, ist nicht mehr im Amt. War er zu liberal?
Malteserorden | Rom/London – 10.12.2016
Quelle
Grossmeister-Fra Matthew Festing
Boeselager ist wieder Grosskanzler
Der Grosskanzler des Souveränen Malteserordens, der Deutsche Albrecht Freiherr von Boeselager, ist nicht mehr im Amt. Das teilte der Orden auf seiner Website mit – ohne Angabe von Gründen. Das reguläre Mandat des 67-Jährigen ging noch bis 2019. Einem Pressebericht zufolge sollen Differenzen über Geburtenverhütung zugrunde liegen.
Die britische Wochenzeitung “The Tablet” (Onlineausgabe Freitagabend) zitiert von Boeselager mit den Worten, seine Entlassung stelle eine Verletzung der Ordensverfassung dar. Der englische Malteser-Grossmeister Matthew Festing wies diesen Vorwurf zurück. Er sagte dem “Tablet”, die Personalie sei nun “eine Angelegenheit zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Orden”.
War Boeselager zu liberal?
Boeselager hatte demnach in einer E-Mail an Freunde erklärt, man werfe ihm vor, zu liberal zu sein und die kirchliche Lehre nicht anzuerkennen; dies sei “unwahr und ungerecht”. Die Zeitschrift will aus Ordenskreisen erfahren haben, dass der Hintergrund eine Auseinandersetzung über die Verteilung von Kondomen in Afrika gewesen sei – in Boeselagers Zeit als Hilfskoordinator. Festing wies dies zurück; diese Angelegenheit sei bereits seit drei Jahren ausgeräumt.
Verbände: Malteser Hilfsdienst
Der Malteser Hilfsdienst ist die Sanitäts- und Katastrophenschutz-Organisation des Souveränen Malteserordens in Deutschland. Katholisch.de stellt die “Malteser” vor.
Noch sind die Vorgänge im Ungewissen. Unstrittig aber, dass der beschädigte Ruf eines prominenten deutschen Adligen der bunten Geschichte des mittelalterlichen Ritterordens einen neuen Mosaikstein hinzufügen wird. Italienische Kaufleute gründeten 1048 in Jerusalem eine Hospitalbruderschaft, um Pilgern und Kreuzrittern Schutz und Hilfe zu geben. Daraus entwickelte sich im Laufe eines halben Jahrhunderts bis 1099 ein geistlicher Orden. 1113 verlieh Papst Paschalis II. der “Bruderschaft vom Hl. Johannes dem Täufer” Privilegien – und legte so den Grundstein für ein Imperium.
Nach dem Fall Jerusalems verschanzten sich die Ordensritter im 14. Jahrhundert zunächst auf Rhodos, ehe auch diese christliche Bastion 1522 an die Osmanen fiel. Zudem schloss sich ein Teil des deutsche Ordenszweigs, die sogenannte Balley Brandenburg, um 1540 der Reformation an. Aus ihr entwickelte sich der heutige evangelische Johanniterorden.
1530 bot der deutsche Kaiser Karl V. den Kreuzrittern Malta als Lehen an – daher die Bezeichnung Malteserorden. Bald entdeckten sie die Vorzüge des kargen Eilands zwischen Europa und Nordafrika mit seinem strategisch gut gelegenen Hafen. Von hier aus verteidigten sie das Christentum gegen das expandierende Osmanische Reich. Ende des 18. Jahrhundert wurde die Herrschaft des Ordens abrupt beendet: Napoleon nahm die Insel 1798 ein. Doch die Niederlage erwies sich im Nachhinein als Glücksfall: Die Ritter verzichteten auf jeden territorialen Anspruch und wählten 1834 Rom als Ordenssitz.
Eine völkerrechtliche Besonderheit
Seit der Herrschaft über Rhodos und Malta fühlt sich der Orden freilich autonom wie ein Staat und wird heute von rund 80 Ländern als Subjekt des internationalen Rechts anerkennt. Zu seinem Gebiet gehören rund 6.000 Quadratmeter exterritorialen Gebietes auf dem römischen Aventin – und ähnelt auch sonst einem Staat: mit eigenem Autokennzeichen (SMOM), Briefmarken und Beobachterstatus bei der UNO, im Europarat und der EU-Kommission.
Papst Franziskus ernannte den US-Kardinal Raymond Leo Burke im Jahr 2014 zum Kardinalpatron des Souveränen Malteserordens.
Von der Via Condotti aus koordiniert die Regierung des spendenfinanzierten Imperiums weltweit Hilfsprojekte. Hauptanliegen der Malteser-Ritter damals wie heute ist die “tuitio fidei et obsequium pauperum” – die Wahrung des Glaubens und die Hilfe für Bedürftige. Weltweit besitzen oder betreiben sie Kliniken, Altenheime, Notfallstationen und Sozialeinrichtungen.
Ein Orden, drei Stände
Der Orden unterteilt sich in drei Stände, erkennbar an unterschiedlichen Gewändern. Die Professritter legen die Gelübde Keuschheit, Gehorsam und Armut ab und wählen den Grossmeister, der dem Rang eines Kardinals gleichgestellt ist. Es folgen die Obödienzritter und seit 1998 auch -damen; sie geloben lediglich Gehorsam gegenüber dem Grossmeister. Dem dritten Stand gehören Damen und Ritter ohne Versprechen an, die sich zu christlicher Lebensführung verpflichten. Heute ist der Malteserorden mit 13.500 Rittern und rund 80.000 freiwilligen Helfern in 120 Ländern eine der grössten Hilfsorganisationen der Welt. Der Malteser Hilfsdienst versucht in Krisengebieten weltweit, Not zu lindern, engagiert sich aber auch in Deutschland.
Aus dem aufkeimenden Skandal um Boeselagers Ablösung kann dem Projekt kaum Gutes entstehen. Die böhmische Prokur des Ordens, so zitiert das “Tablet” aus einem Schreiben an den Grossmeister, sehe schon jetzt die Gefahr einer “ernsten Schädigung des Ordens” – und fordere ein ausserordentliches Generalkapitel.
Von Alexander Brüggemann und Karl Peters (KNA)
Korrektur, 13. 12. 2016: In einer früheren Version wurde der Malteserorden als “kleinster Staat der Welt” bezeichnet. Tatsächlich ist der Orden zwar Völkerrechtssubjekt, aber kein Staat.
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