“Europa muss neuen Humanismus zur Welt bringen”

Franziskus: “Europa muss neuen Humanismus zur Welt bringen“

Quelle
Die Papstansprache an das diplomatische Corps
Vatikan – Original-Ansprache

Über Sicherheit und Frieden inmitten einer Angst machenden Weltlage hat Papst Franziskus an diesem Montag eine lange Rede gehalten: zur traditionellen Neujahrsansprache ans diplomatische Corps fanden sich die beim Heiligen Stuhl akkreditierten Diplomaten im Vatikan ein. „Der Frieden erscheint heute für viele in gewisser Weise als ein selbstverständliches Gut, fast ein erworbenes Recht, und doch ist er für viele ein weit entferntes Wunschbild“, erklärte der Papst vor den Gesandten aus aller Welt.

„Auch an Orten, die einmal als sicher galten, spürt man ein allgemeines Gefühl der Angst.“ Fundamentalistischen Terror nannte Franziskus in seiner Rede an die Welt „mörderischen Wahnsinn”, zur Frage der Massenmigration sagte er, eine pauschale Ausgrenzung von Schutzsuchenden sei kein kluger Ansatz, und abermals wandte er sich gegen den „schändlichen Waffenhandel”, der die Konflikte der Welt verschärfe.

Islamisten-Terror ist „mörderischer Wahnsinn“

Der Heilige Stuhl pflegt mit 181 Staaten diplomatische Beziehungen, seit Kurzem gehört auch die Islamische Republik Mauretanien dazu. Die Religionen haben nach Darstellung des Papstes die Pflicht, den Frieden zu fördern. Leider könne man nicht umhin zu sehen, dass religiöse Erfahrung mitunter als „Vorwand für Abschottung, Ausgrenzung und Gewalt“ herhalten muss. Stichwort Terrorismus: Hier zählte Franziskus jene Staaten auf, die im zurückliegenden Jahr blutige Anschläge verzeichneten, darunter Deutschland. „Es sind niederträchtige Akte, die wie in Nigeria Kinder zum Töten missbrauchen; die es auf Menschen absehen, die wie in der Koptischen Kathedrale von Kairo beten, die wie in Brüssel reisen oder arbeiten, die wie in Nizza und Berlin als Passanten unterwegs sind oder wie in Istanbul einfach den Beginn des neuen Jahres feiern.“

Und Franziskus nutzte überaus deutliche Worte, um pseudoreligiös motivierten Terror zu verurteilen: „Es handelt sich um einen mörderischen Wahnsinn, der den Namen Gottes missbraucht, um Tod zu verbreiten, und versucht, einen Macht- und Herrschaftswillen durchzusetzen. Daher appelliere ich an alle religiösen Autoritäten, dass sie gemeinsam entschieden bekräftigen, dass man nie im Namen Gottes töten darf. Der fundamentalistische Terrorismus ist Frucht einer grossen geistigen Erbärmlichkeit, mit der häufig auch eine beträchtliche soziale Armut eng verbunden ist. Er wird nur durch den gemeinsamen Beitrag der religiösen und politischen Führer vollständig überwunden werden können.“

An dieser Stelle spannte der Papst einen Handlungsrahmen für beide Kategorien auf: spirituelle wie politische Leader. Religionsführer hätten die Pflicht, „jene religiösen Werte zu vermitteln, die keinen Gegensatz zwischen Gottesfurcht und Nächstenliebe zulassen“. Politiker hingegen müssten daran arbeiten, Religionsfreiheit zu garantieren und den Beitrag anzuerkennen, den Religionen am Aufbau der Zivilgesellschaft leisten. Wichtiger Punkt: Staatsbürgerschaft und Religionszugehörigkeit dürfen nicht so verstanden werden, als ob sie einander widersprechen. In anderen Worten, Muslime können ohne weiteres auch in westlichen Gesellschaften Platz haben. Auch empfiehlt der Papst den Regierenden, gegen Armut und mangelnde Bildung vorzugehen, um religiösem Fundamentalismus die Grundlage zu entziehen. Päpstliches Lob gab es an dieser Stelle für eine Initiative des Europarates, die auf Erziehung setzt, um der Radikalisierung von Jugendlichen vorzubeugen. Und noch etwas: Politische Autorität darf sich nicht damit begnügen, die Sicherheit der Bürger zu gewährleisten, sagt der Papst. Nur Friedenspolitik schafft wirkliche Sicherheit, so Franziskus. Daran gelte es andauern zu arbeiten: „Der Friede ist eine aktive Tugend, die den Einsatz und die Mitarbeit jedes einzelnen Menschen und der gesamten Gesellschaft als Ganzer erfordert.“ Wichtig dabei: Wer seine Rechte beansprucht, muss auf Gewalt verzichten. Franziskus verwies an dieser Stelle auf seine Botschaft zum diesjährigen Weltfriedenstag, in der er Gewaltfreiheit als wünschenswerten „politischen Stil“ vorlegte.

Flucht und Migration

Zum drängenden Thema Flucht und Migration wiederholte Franziskus, die aufnehmenden Staaten müssten den Betroffenen die Möglichkeit geben, sich einzugliedern, ohne dass die Aufnahme der Menschen die Sicherheit, die kulturelle Identität und das sozialpolitische Gleichgewicht im Land gefährde. „Andererseits dürfen die Migranten selbst nicht vergessen, dass sie verpflichtet sind, die Gesetze, die Kultur und Traditionen der Länder, die sie aufnehmen, zu respektieren.“

Eine pauschale „Ausgrenzung von Migranten“ sei kein kluger Ansatz. Vielmehr müsse jedes aufnehmende Land weise und weitsichtig abwägen, inwieweit es „den Migranten – vor allem wirklich schutzbedürftigen – ein würdiges Leben“ bieten könne, „ohne dabei das Gemeinwohl der Bürger zu schädigen“. Auf keinen Fall dürfe man „die gegenwärtige dramatische Krise“ im Zug der Massenmigration als blosse Frage der Zahlen betrachten: „ Migranten sind Personen mit Namen, Geschichten und Familien. Nie wird es wirklichen Frieden geben, solange auch nur ein einziger Mensch in seiner eigenen persönlichen Identität verletzt wird und auf eine blosse Statistiknummer oder ein Objekt von wirtschaftlichem Interesse reduziert wird.“

Abermals wandte sich der Papst gegen die Ungerechtigkeit, dass einige Staaten, in denen Fremde Zuflucht suchen, sich aus der Verantwortung stehlen, während andere erhebliche humanitäre Lasten auf sich nehmen. Franziskus dankte ausdrücklich jenen Ländern, „die grosszügig Notleidende aufnehmen“, er nannte Italien, Deutschland, Griechenland und Schweden, aber auch Libanon, Jordanien und Türkei.

„Der Weg zum Frieden führt nur über den Fortschritt“, zitierte Franziskus seinen Vorgänger Paul VI. und mahnte eine gerechtere Güterverteilung und bessere Arbeitsmöglichkeiten für die Jüngeren an. Für vorrangig halte er den Schutz der Kinder: „Ihre Unschuld wird oft unter der Last der Ausbeutung, Schwarz- und Sklavenarbeit, Prostitution oder des Missbrauchs durch Erwachsene, Kriminelle und Todeshändler zerstört.“

„Gegen den schändlichen Waffenhandel“

Danach kam der Papst reihum auf die Konfliktherde der Welt zu sprechen und regte punktuelle Lösungsvorschläge an. Erstes Sorgenkind: Syrien. Franziskus appellierte an die internationale Gemeinschaft, sich schnell um die Aufnahme ernsthafter Verhandlungen zu bemühen, die diesen Konflikt, der eine regelrechte humanitäre Katastrophe hervorruft, für immer beenden.“ Der kürzlich unter russischer und iranischer Hilfe geschlossene Waffenstillstand möge „für das ganze syrische Volk ein Hoffnungszeichen“ sein. Abermals forderte der Papst an dieser Stelle „Bemühungen im Kampf gegen den schändlichen Waffenhandel“. Er kritisierte den Wettlauf um die Verbreitung von immer höher entwickelten Waffen, die nukleare Aufrüstung, aber auch die leichte Beschaffbarkeit herkömmlicher „Waffen kleinen Kalibers, die Situation in den verschiedenen Konfliktgebieten verschärft und ausserdem ein allgemeines Gefühl von Unsicherheit und Angst hervorruft. Das ist in Zeiten sozialer Ungewissheit und epochaler Veränderungen wie heute umso gefährlicher.“

Ermutigende Entwicklungen sah Franziskus in der Annäherung zwischen Kuba und den USA sowie in Kolumbien. Die dort verfolgten Ansätze hält der Papst für vielversprechend, weil sie „das gegenseitige Vertrauen fördern, Wege des Dialogs unterstützen und unterstreichen, dass mutige Gesten notwendig sind“. So etwas sei auch in Kolumbiens Nachbarland Venezuela vonnöten, ferner im Irak und im Jemen. Israelis und Palästinenser mahnte der Papst zum Wiederaufnahme des Dialogs. Hier müsse man endlich eine Lösung finden, konkret: eine Zweistaatenlösung. Auch Libyen streifte der Papst, Sudan und Südsudan, die Zentralafrikanische Republik, den Kongo und Myanmar. Dort müsse – so der Papst offenbar mit Blick auf die Hunderttausenden muslimischen Rohingya -Flüchtlinge, die sich nach Bangladesch abgesetzt haben – ein friedliches Miteinander gefordert und mit internationaler Unterstützung jenen geholfen werden, die das „dringend brauchen“.

Auch ein Wort zu Europa fand Franziskus – ein Wort der Sorge. Der Kontinent erlebe gerade „einen entscheidenden Moment seiner Geschichte“ und müsse seine Identität wiederfinden. Nicht in der Spaltung liege die Zukunft, so der Papst, vielmehr gelte es, „die ,Idee Europa´ zu aktualisieren, um einen neuen Humanismus zur Welt zu bringen“. Dieser gründe sich „auf der Fähigkeit zur Integration und zum Dialog und der Fähigkeit, etwas hervorzubringen“. Der europäische Einigungsprozess „war und ist weiterhin eine einzigartige Gelegenheit zu Stabilität, Friede und Solidarität zwischen den Völkern“, sagte der Papst. Der Heilige Stuhl blicke mit „Interesse und die Sorge“ auf Europa und seine Zukunft. „Denn es ist uns bewusst, dass die Werte, in denen dieses Projekt – in diesem Jahr wird sein sechzigster Jahrestag begangen – seinen Ursprung hat und auf denen es beruht, dem ganzen Kontinent gemeinsam sind und die Grenzen der Europäischen Union selbst übersteigen.“

rv 09.01.2017 gs

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