Wie weit ist der Dialog mit den Piusbrüdern?
Interview mit Msgr. Guido Pozzo, Sekretär der Päpstlichen Kommission Ecclesia Dei
Nach der Aufhebung der Exkommunikation durch Benedikt XVI. im Jahr 2009 stellt die Versöhnungsgeste von Papst Franziskus anlässlich des Heiligen Jahres der Barmherzigkeit einen weiteren Schritt in Richtung kanonische Anerkennung dar.
Zenit.org, 1. März 2016, Luca Marcolivio
In den letzten Jahren ist viel über den schwierigen Annäherungsweg der von Msgr. Marcel Lefebvre gegründeten Priesterbruderschaft St. Pius X. an die Kirche von Rom gesprochen worden. Trotz der Aufhebung der Exkommunikation durch Papst Benedikt XVI. bleibt der Status der Piusbrüder irregulär.
Um die aktuelle Lage der Priesterbruderschaft St. Pius X. besser zu verstehen, führte ZENIT ein Interview mit Msgr. Guido Pozzo, Sekretär der Päpstlichen Kommission Ecclesia Dei, die der heilige Papst Johannes Paul II. 1988 eigens für den Zweck einrichtete, einen Dialog mit den Piusbrüdern einzuleiten, um eines Tages zu deren vollen Wiedereingliederung zu gelangen.
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Exzellenz, 2009 hob Papst Benedikt XVI. die Exkommunikation der Priesterbruderschaft St. Pius X. auf. Bedeutet das, dass deren Mitglieder heute wieder mit Rom in Kommunion stehen?
Msgr. Guido Pozzo: Die Aufhebung der Exkommunikation durch den Papst bedeutet, dass die Mitglieder der Bruderschaft heute nicht mehr dieser schweren kirchlichen Strafe unterliegen. Trotzdem bleibt der Status der Piusbruderschaft immer noch irregulär, weil sie keine kanonische Anerkennung durch den Heiligen Stuhl hat. Solange die Bruderschaft keine kanonische Stellung innerhalb der Kirche einnimmt, üben die ihr angehörigen Priester ihr Amt und die Spendung der Sakramente nicht auf legitime Weise aus. Nach der Formel, die der damalige Kardinal Bergoglio in Buenos Aires verwendete und später als Papst gegenüber der Päpstlichen Kommission Ecclesia Dei bestätigte, sind die Mitglieder der Piusbruderschaft Katholiken, die sich auf dem Weg zur vollen Kommunion mit dem Heiligen Stuhl befinden. Diese volle Kommunion wird dann eintreten, wenn die Bruderschaft kanonisch anerkannt ist.
Welche Schritte wurden in diesen sieben Jahren vom Heiligen Stuhl eingeleitet, um die Annäherung der Priesterbruderschaft St. Pius X. zu fördern?
Msgr. Guido Pozzo: Die Aufhebung der Exkommunikation im Jahr 2009 hatte zur Folge, dass eine Reihe von Begegnungen auf doktrinärer Ebene stattfanden, an denen von der Kongregation für die Glaubenslehre ernannte Experten teilnahmen. Diese wiederum steht eng mit der Päpstlichen Kommission Ecclesia Dei in Verbindung, besonders seit dem Motu proprio Ecclesiae unitatem von Benedikt XVI. (2009). Auf diese Weise wurde ein Dialog mit den Experten der Priesterbruderschaft St. Pius X. geführt, um die wichtigsten doktrinären Probleme herauszuarbeiten, die der Kontroverse mit dem Heiligen Stuhl zugrundeliegen: das Verhältnis zwischen Tradition und Lehramt, die Frage der Ökumene und des interreligiösen Dialogs, der Religionsfreiheit und der Liturgiereform im Kontext der Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils.
Dieser Dialog hat sich über zwei Jahre hingezogen und hat es ermöglicht, die jeweiligen theologischen Positionen klar zu definieren und die Berührungspunkte sowie auch die Divergenzen hervorzuheben.
In den folgenden Jahren wurde der doktrinäre Dialog mit einer Reihe von Initiativen fortgesetzt, die auf eine Vertiefung und Präzisierung der fraglichen Themen abzielten. Gleichzeitig haben die Kontakte zwischen den Oberen der Kommission Ecclesia Dei und dem Oberen sowie anderen Vertretern der Bruderschaft ein Klima gegenseitigen Vertrauens und Achtung entstehen lassen, das die Basis einer jeden Annährung bilden muss. Es ist wichtig, das Misstrauen und die steife Haltung zu überwinden, die nach so vielen Jahren des Bruchs verständlicherweise da sind, die aber schrittweise überwunden werden können, wenn die gegenseitige Einstellung sich verändert und die Meinungsverschiedenheiten nicht als unüberwindbare Mauern aufgefasst werden, sondern als Diskussionsthemen, die einer Vertiefung bedürfen, um zu einer Klärung zu gelangen, die der gesamten Kirche zugutekommen wird. Heute befinden wir uns in einer Phase, die ich für konstruktiv halte und die uns meiner Meinung nach der ersehnten Aussöhnung näherbringt. Die Geste von Papst Franziskus, den katholischen Gläubigen zu gestatten, während des Heiligen Jahres der Barmherzigkeit das Busssakrament und die Krankenölung auf gültige Weise von den Bischöfen und Priestern der Bruderschaft zu empfangen ist ein klares Zeichen seines Willens, den Weg zur vollen und dauerhaften kanonischen Anerkennung fortzusetzen.
Welche Hindernisse stehen der endgültigen Aussöhnung noch im Weg?
Msgr. Guido Pozzo: Hier würde ich zwei Ebenen unterscheiden. Da ist einmal die rein doktrinäre Ebene, die gewisse Meinungsverschiedenheiten zu einzelnen Themen betrifft, die vom Zweiten Vatikanischen Konzil und vom nachkonziliaren Lehramt vertreten werden. Dabei geht es um die Ökumene, die Beziehung des Christentums zu den anderen Weltreligionen, die Religionsfreiheit und die Beziehung zwischen Staat und Kirche, bis hin zu manchen Aspekten der Liturgie. Die zweite Ebene ist die der geistigen und psychologischen Einstellung, die man in diese Diskussionen einbringt. Diese muss sich von Polemik und Kampfgeist befreien, um zu einer Haltung des Zuhörens, der gegenseitigen Achtung und des Vertrauens zu gelangen, wie es sich für Glieder des einen Leibes Christi gehört, der die Kirche ist. Auf beiden Ebenen muss gearbeitet werden. Ich glaube, dass der Annäherungsweg, den wir unternommen haben, schon manche Früchte getragen hat, besonders was die Haltung beider Seiten gegenüber der anderen anbelangt; es lohnt sich jedenfalls, auf diesem Weg fortzuschreiten.
Auch in Bezug auf die Frage des Zweiten Vatikanischen Konzils muss die Bruderschaft meiner Meinung nach Überlegungen zu der meines Erachtens grundlegenden und absolut entscheidenden Unterscheidung zwischen dem authentischen Sinn des 2. Vatikanums und dessen Lehrintention vornehmen, wie den offiziellen Akten des Konzils zu entnehmen ist. Was ich als „Para-Konzil“ bezeichnen würde, d.h. die Gesamtheit der theologischen Ausrichtungen und praktischen Haltungen, von denen der Verlauf des Konzils begleitet wurde, war dann namensgebend und hat auch aufgrund des Einflusses der Massenmedien in der öffentlichen Meinung das wahre Denken des Konzils überlagert. Oftmals ist in der Auseinandersetzung mit der Piusbruderschaft der Widerstand nicht gegen das Konzil gerichtet, sondern gegen den „Geist des Konzils“, der einige Ausdrücke oder Formulierungen der Konzilsdokumente anwendet, die zu entfernten und den wahren Konzilsgeist zuweilen instrumentalisierenden Interpretationen und Positionen führen. Auch in Bezug auf die lefebvrianische Kritik der Religionsfreiheit scheint es mir, dass es bei den Positionen der Piusbrüder im Kern um die Verteidigung der traditionellen katholischen Lehre gegen den agnostischen Staatslaizismus, Säkularismus und ideologischen Realismus geht, und nicht um das Recht der Person auf die Freiheit von staatlicher Einschränkung oder Hinderung an der Ausübung des religiösen Glaubens. Immerhin handelt es sich dabei um Themen, die auch nach der vollen Versöhnung eine Vertiefung oder Klärung erfahren können. Wesentlich erscheint die Wiederfindung einer vollen Übereinstimmung in den für die volle Gemeinschaft mit dem Apostolischen Stuhl notwendigen Aspekten, d.h. in der Integrität des katholischen Glaubensbekenntnisses, der sakramentalen Bindung und der Annahme des obersten Lehramtes der Kirche. Jenes Lehramt, das nicht über dem von Gott geschriebenen und verbreiteten Wort steht, sondern diesem dient, interpretiert auch die dem Lehramt vorausgehenden Texte inklusive jener des Zweiten Vatikanischen Konzils im Lichte der mit Hilfe des Heiligen Geistes in der Kirche gedeihenden beständigen Tradition auf authentische Weise. Dies erfolgt jedoch nicht mit einer entgegengesetzten Neuheit (die in einer Verneinung der katholischen Lehre bestehen würde), sondern mit einem höheren Verständnis des Depositum fidei innerhalb der gleichen Lehre, im gleichen Sinn und im gleichen Urteil (in eodem scilicet dogmate, eodem sensu et eademque sententia, vgl. 1. Vatikanisches Konzil, Dogm. Konst. Dei Filius, 4). Meines Erachtens ist die Konvergenz mit der Priesterbruderschaft St. Pius X. in diesen Punkten nicht nur möglich, sondern geboten. All dies vereitelt nicht die Möglichkeit und Legitimität einer Diskussion und Vertiefung weiterer spezifischer Fragen, auf die ich zuvor hingewiesen habe. Diese betreffen nicht den Glauben, sondern vielmehr pastorale Ausrichtungen und aufsichtsbezogene anstatt dogmatische Urteile, in Bezug auf die man auch unterschiedliche Auffassungen vertreten kann. Es geht daher nicht darum, die Unterschiede in manchen Aspekten des pastoralen Lebens der Kirche zu ignorieren oder zu zähmen, sondern um die Berücksichtigung des Umstandes, dass das Zweite Vatikanische Konzil doktrinäre Dokumente enthält, die bereits definierte Glaubenswahrheiten oder Wahrheiten der katholischen Lehre (z.B. Dogm. Konst. Dei Verbum, Dogm. Konst. Lumen gentium) erneut aufgreifen wollen, und dass auch Dokumente vorhanden sind, die Leitlinien und Ausrichtungen für das Wirken in der Praxis vorschlagen wollen, d.h. für das pastorale Leben als Anwendung der Lehre (Erklärung Nostra Aetate, Dekret Unitatis Redintegratio, Erklärung Dignitatis humanae). Die Zustimmung zu den Inhalten des Lehramtes variiert in Abhängigkeit vom Grad der Autorität und der den lehramtlichen Dokumenten eigenen Kategorie der Wahrheit. Meines Wissens hat die Piusbruderschaft keine der vom Lehramt vermittelten Glaubenslehren oder Wahrheiten katholischer Lehre verneint. Die kritischen Bemerkungen betreffen hingegen Stellungnahmen oder Angaben bezüglich der erneuerten pastoralen Sorge in den ökumenischen Beziehungen und jenen mit anderen Religionen sowie manche aufsichtsbezogene Fragen in der Beziehung zwischen Kirche und Gesellschaft, Kirche und Staat.
In Zusammenhang mit der Liturgiereform möchte ich lediglich auf eine von Msgr. Lefebvre verfasste an Papst Johannes Paul II. gerichtete Erklärung vom 8. März 1980 hinweisen: „Die Messe des Novus Ordo habe ich trotz aller diesbezüglich zu hegenden Vorbehalte niemals als ungültig oder häretisch bezeichnet“. Daher beziehen sich die natürlich keineswegs zu unterschätzenden Vorbehalte gegenüber dem Ritus der neuen Ordnung weder auf die Gültigkeit der sakramentalen Feier, noch auf den rechten katholischen Glauben. Deshalb sollten die Diskussion und die Klärung dieser Vorbehalte fortgesetzt werden.
Anlässlich des Jahres der Barmherzigkeit setzte Papst Franziskus eine vertrauensbildende Geste: Die katholischen Gläubigen können das Sakrament der Versöhnung auch von der Bruderschaft angehörigen Priestern empfangen. Welche Folgen wird diese Massnahme haben? Denken Sie, dass diese Geste konkret zur Wiederaufnahme eines Dialoges führen kann, der seit einiger Zeit ins Stocken geraten zu sein scheint?
Msgr. Guido Pozzo: Wie ich zuvor erwähnt habe, ist der Dialog mit der Priesterbruderschaft St. Pius X. nie ins Stocken geraten. Vielmehr hat man beschlossen, diesen in einer weniger offiziellen und formalen Form fortzuführen, um einer Reifung der Beziehungen in der von gegenseitigem Vertrauen und gegenseitigem Zuhören geprägten Haltung Raum und Zeit zu geben. So soll ein geeigneteres Klima der Beziehungen geschaffen werden, in dem auch die theologische und doktrinäre Diskussion stattfinden kann. Der Heilige Vater hat die Päpstliche Kommission Ecclesia Dei seit dem Beginn seines Pontifikates dazu ermutigt, in den Beziehungen und gegenüber der Piusbruderschaft diesen Stil zu pflegen. In diesem Zusammenhang hat die vertrauensbildende und grossherzige Geste von Papst Franziskus im Rahmen des Jahres der Barmherzigkeit zweifellos dazu beigetragen, den Stand der Beziehungen zu der Bruderschaft weiter zu verbessern, indem gezeigt wurde, dass dem Heiligen Stuhl die Annäherung und die Versöhnung am Herzen liegen, dass auch ein kanonisches Kleid geschaffen werden soll. Ich hoffe und wünsche mir, diese Gesinnung und diesen Willen auch innerhalb der Bruderschaft anzutreffen.
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