‘Lebe nicht unter deiner Würde’
‘Unsere Berufung: Gott zu lieben, ihm zu dienen und so in den Himmel zu kommen’
Katholische Wochenzeitung, 10. April 2015/15
Prälat Dr. Martin Grichting, Generalvikar des Bistums Chur
Damit der christliche Glaube in die Medien kommt, braucht es in der Regel einen internen Konflikt, einen Skandal oder ein Thema, das mit der menschlichen Sexualität zu tun hat. Fast nur solche Themen kommen durch den medialen Flaschenhals. Und damit geht es in den Medien in aller Regel, wenn vom Christentum die Rede ist, gar nicht um den Glauben, sondern um die Moral, die Zehn Gebote, das sechste mit Vorliebe. Das Ergebnis ist ein Zerrbild des christlichen Glaubens. Denn dieser ist nicht eine Moral, sondern er spricht zu uns von Gott und vom Menschen. Und damit verkündet er uns unsere Berufung, die wir durch die Taufe geschenkt erhalten haben: Gott zu lieben, ihm zu dienen und so in den Himmel zu kommen.
Das Osterfest, das wir gerade feiern, erinnert uns an dieses Primäre unseres Glaubens. Im Tagesgebet des Ostersonntags heisst es deshalb: “Allmächtiger, ewiger Gott, am heutigen Tag hast du durch deinen Sohn den Tod besiegt und uns den Zugang zum ewigen Leben erschlossen. Darum begehen wir in Freude das Fest seiner Auferstehung. Schaffe uns neu durch deinen Geist, damit auch wir auferstehen und im Licht des Lebens wandeln”.
Es geht also nicht um Moral, sondern darum, dass wir durch unsere Gemeinschaft mit dem auferstandenen Herrn neu geworden sind. Und so wie wir sind, sollen wir dann versuchen zu leben.
Die Moral, auf die unser Glaube in den Medien verkürzt wird, ist also nicht das erste, sie ist auch kein Selbstzweck. Sondern sie ist der Versuch, kohärent zu sein mit dem, was wir sind, was wir durch die Taufe und die Auferstehung des Herrn geworden sind: Kinder Gottes, berufen, in Gottes Ewigkeit zu leben. Papst Leo d. Gr. (gest. 461) hat das prägnant so gesagt: “Christ, erkenne deine Würde! Du bist der göttlichen Natur teilhaftig geworden. Kehre nicht zur alten Erbärmlichkeit zurück und lebe nicht unter deiner Würde”.
Diese Worte stehen am Beginn des dritten Teils des Katechismus der Katholischen Kirche. Dieser Teil handelt von der Moral. Davor wird im 1. und 2. Teil erklärt, wer Gott ist, wer wir sind, und wozu wir berufen sind.
Zuerst kommt also unsere Würde, und dann unser Bemühen, nicht darunter zu leben – auch wenn die Medien das anders vermitteln.
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