Verfolgt wie Jesus

Wohin man auch schaut: Zu allen Zeiten und an fast allen Orten der Welt sahen sich Christen Hass und Gewalt ausgesetzt

Kolosseum RomQuelle
Nordkorea

Auch im 21. Jahrhundert ist das leider nicht anders. Doch warum ist das so? Liegt es an der unbequemen Botschaft des Christentums? An der Person des Gründers? Die Antworten sind vielfältig.

Von Josef Bordat

Die Tagespost, 08. April 2015

Seit es Christen gibt, gibt es Christenverfolgung. Als der auferstandene Christus den Jüngern begegnet, haben diese die Türen fest verschlossen – “aus Furcht vor den Juden” (Joh 20, 19), aus Angst vor Übergriffen aus der Mehrheitsgesellschaft Jerusalems. Sie haben Angst, dass sie das gleiche Schicksal ereilt wie den Herrn, der ihnen dies zuvor schon unmissverständlich prophezeit hatte: “Und ihr werdet um meines Namens willen von allen gehasst werden” (Lk 21, 17).

In der Tat: Elf der zwölf Männer, denen der Auferstandene den Geist Gottes spendet und denen Er in diesem Geist den Auftrag zur Mission erteilt, elf der zwölf Apostel Christi finden in der Erfüllung ihres Missionsauftrags den Tod; allein Johannes überlebte die erste Welle der Christenverfolgung. Auch der Völkerapostel Paulus – zu dieser Zeit noch als Saulus an der Spitze der Verfolger (vgl. Apg 6, 58) – fand ein gewaltsames Ende: Er wird in Rom enthauptet.

“Warum verfolgst du mich?”, fragt Jesus Saulus (Apg 22, 7). Saulus’ Antwort besteht in einer Gegenfrage: “Wer bist du, Herr?” (Apg 22, 8). Jesus offenbart sich ihm: “Ich bin Jesus, den du verfolgst.” Damit ist das Warum der Verfolgung freilich noch nicht geklärt. Vielleicht jedoch schon. Vielleicht steckt die Antwort tatsächlich in der Aussage “Ich bin Jesus”, und vielleicht reicht für die Fälle heutiger Verfolgung bereits “Ich folge Jesus” als Begründung aus. Vielleicht steckt ja in Jesus selbst der Grund für die Verfolgung. Denn Jesus stört die bestehende Ordnung zugunsten einer neuen Form des Zusammenlebens, deren Regeln sich weniger aus Tradition, Sitte und Kalkül ergeben, sondern von der Liebe her aufgestellt werden. Jesus irritiert die kulturellen und religiösen Grundlagen der Gesellschaft. Das können die Eliten dieser Gesellschaft, die sich auf jene Grundlagen eingestellt haben, die ihre Macht davon ableiten, nicht hinnehmen. Jesus wusste, dass er den ordnungsliebenden Menschen auf die Füsse tritt, wenn er ihre Spielregeln mit seinen modifizieren will. Er wusste auch, was seinen Jüngern blüht: “Aber bevor das alles geschieht, wird man euch festnehmen und euch verfolgen. Man wird euch um meines Namens willen den Gerichten der Synagogen übergeben, ins Gefängnis werfen und vor Könige und Statthalter bringen” (Lk 21, 12). Kurz darauf spricht Er den damit verbundenen emotionalen Grund ganz offen aus: Hass (vgl. Lk 21, 17). Im Johannesevangelium stellt Jesus die Beziehung dieses Hasses zu Ihm und seinem Wirken her: “Wenn die Welt euch hasst, dann wisst, dass sie mich schon vor euch gehasst hat. Wenn ihr von der Welt stammen würdet, würde die Welt euch als ihr Eigentum lieben. Aber weil ihr nicht von der Welt stammt, sondern weil ich euch aus der Welt erwählt habe, darum hasst euch die Welt” (Joh 15, 18–19).

Jesu Nachfolger, allen voran die Apostel, die hier direkt angesprochen werden, tragen die Gute Nachricht in die Welt und wirken in diesem Sinne am Bau des Gottesreiches mit. Zugleich setzt sich dabei die tiefgreifende Irritation der Menschheit fort. In vielen Wellen der schlimmsten Christenverfolgungen begegnet uns dieses Muster immer wieder: Die neue Lehre Jesu trifft auf eine alte Ordnung, die Liebe auf den Hass. Jesus ist das erste Opfer der Christenverfolgung. Es ist fortan das Christentum, das irritiert, es sind Menschen in der Nachfolge Christi, die bestehende Ordnungen in Frage stellen. Und es ist die Gesellschaft, die dagegenhält und sagt: “Es war alles in Ordnung (gemeint ist: in unserer Ordnung), bis ihr kamt! Bis ihr kamt und mit euren alternativen Entwürfen die Menschen verunsichert habt!” Das ist die Langfassung. Die Kurzfassung lautet: Hass, geboren aus Angst. Im Rom und im Athen der Spätantike trifft der christliche Gedanke der universellen Freiheit, der Würde aller Menschen als Ebenbilder Gottes auf eine Sklavenhaltergesellschaft mit fest etablierten Rollen, die Menschen verzweckt und ausbeutet. Das passte nicht zusammen. Zudem widersprachen die vielen anthropogenen Götter dem Glauben an den einen Gott, der Mensch wurde, aber Gott blieb.

Mit der Ausbreitung der Kirche wurde die Christenverfolgung dann zu einem globalen Phänomen. Heute, da die Kirche (fast) überall ist, wird sie auch (fast) überall mehr oder weniger stark verfolgt. Die Christenverfolgung ist die älteste und die am weitesten verbreitete Katastrophe mit den meisten Opfern. Jeder zehnte Christ erleidet Nachteile, nur, weil er Christ ist. Etwa 100 Millionen Christen – so wird es von Fachleuten geschätzt, aber genaue Zahlen sind natürlich schwierig zu ermitteln – werden weltweit in Schule, Ausbildung und Beruf, in Gesellschaft und Politik systematisch benachteiligt. Die Christenverfolgung im 21. Jahrhundert hat viele Gesichter – bis hin zur physischen Vernichtung. Mehrere zehntausend Christen bezahlen jährlich ihren Glauben an Jesus, ihre persönliche Nachfolge Christi mit dem Leben – weil sie verhaftet und zu Tode gefoltert oder hingerichtet werden, weil im Gottesdienst eine Terror-Bombe hochgeht, weil ihnen der Zugang zu Medikamenten erschwert wird.

Der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick sprach kürzlich gar von 100 000 Christen, die jedes Jahr aufgrund ihres Glaubens ermordet werden. Open Doors, eine weltweit tätige Hilfsorganisation für verfolgte Christen, gibt zu Beginn eines jeden Kalenderjahres eine Studie zur Lage der Christenverfolgung heraus, den sogenannten Weltverfolgungsindex, der die fünfzig Länder auflistet, in denen die Christenverfolgung momentan besonders vehement ist. Schaut man sich in den letzten Jahren den Open Doors-Weltverfolgungsindex an, so fällt zunächst der hohe Anteil islamisch geprägter Staaten auf. In der islamischen Welt (also in der Türkei, in den arabischen Ländern des Nahen und Mittleren Ostens sowie in Nordafrika, in Indonesien, in Pakistan, in Afghanistan, im Iran, zunehmend auch in Zentralafrika, vor allem in Nigeria und im Sudan), treffen unterschiedliche religiöse Ordnungen aufeinander, die einen grundverschiedenen Missionsgedanken tragen: basierend auf Zwang und Freiwilligkeit. Es muss weh tun, wenn Moslems zum schwachen, auf Liebe und Freiheit setzenden Christentum konvertieren, wo man doch selbst so stark ist. Wenn sie die Ohnmacht des Kreuzes vorziehen, einen Gott, der sich erniedrigen lässt. Das erzeugt Angst, darauf folgen Hass und Aggression. Die divergierenden Menschenbilder tun ihr Übriges: Dass männliche und weibliche Christen gemeinsam beten, ist ein Affront gegen die herrschende Ordnung. Das kann man so nicht hinnehmen. Die Folge: Verfolgung. Seit Jahrhunderten. Das, was seit einigen Jahren durch die Terrororganisationen Boko Haram in Nigeria und “Islamischer Staat” im Irak und in Syrien verbrochen wird, das, was am Gründonnerstag die somalische Terrororganisation Al-Shabaab mit dem Angriff auf die Universität von Garissa (Kenia) verbrochen hat, all das stellt in dieser Hinsicht nur eine neue Dimension dar – kein gänzlich neues Phänomen. Aber eins, das in europäischen Medien lange verdrängt oder ausgeblendet wurde. Damit ist es nun vorbei: Am Karfreitag wurde beim traditionellen Kreuzweg mit Papst Franziskus im Kolosseum an die Verfolgung in islamisch geprägten Gesellschaften erinnert. An der Zweiten Station (“Jesus nimmt das Kreuz auf sich”) wurden Gedanken des Pakistaners Shahbaz Bhatti meditiert, Minister für die religiösen Minderheiten, der am 2. März 2011 von Islamisten ermordet worden war. Die Medien hierzulande kamen nicht umhin, dies zu erwähnen. Franziskus sei Dank!

Auch im südostasiatischen Raum ist in Geschichte und Gegenwart eine massive Verfolgung von Christen zu verzeichnen. In Korea befragte die christliche Idee der Einheit der Schöpfung in Gott und der Gleichheit aller Geschöpfe vor Gott, der Gleichwertigkeit von Mann und Frau, von Herr und Diener, von Regent und Untertan, von Vorgesetztem und Untergebenem das streng dualistische Gesellschaftsmodell des Konfuzianismus. Im 19. Jahrhundert wird die Kirche in Korea brutal verfolgt. Die Verfolgung vollzog sich in vier Wellen: kurz nach dem Verbot (1801), von 1839 bis 1841 (danach musste die Kirche komplett neu organisiert werden, da insbesondere Priester, so etwa der erste Bischof, ermordet wurden), von 1846 bis 1850 und schließlich – besonders heftig – in den Jahren 1866 bis 1876 unter Prinzregent Taewongun. Erst mit der Staats- und Gesellschaftsreform im Jahre 1895 ebbte die Christenverfolgung in Korea ab. Insgesamt fielen etwa 10 000 koreanische Katholiken der Verfolgung zum Opfer.

In Nordkorea gibt es bis heute eine brutale Christenverfolgung, die wohl derzeit schlimmste weltweit. Seit nunmehr zwölf Jahren ist das Land die ebenso unumstrittene wie unrühmliche “Nummer 1” im Open Doors-Weltverfolgungsindex. In Nordkorea verweigern Christen die Verehrung der regierenden Kim-Dynastie als Götter, weil sie ihren Gott schon gefunden haben: Jesus Christus. Deswegen werden sie gehasst. Etwa 70 000 Christen schätzungsweise sind dort in den Arbeitslagern eingesperrt, was bedeutet, dass rund jeder dritte Gefangene dort einsitzt, weil er an Jesus glaubt – und nicht an die menschenverachtende Chuch’e-Ideologie der Familie Kim.

Seit Jahren hören wir von Überlebenden der Lager, die sich ins Ausland absetzen konnten, welche Gräuel sich dort abspielen. Zu lesen, was die inhaftierten Christen in den Lagern an unfassbaren Grausamkeiten erleben müssen, macht traurig und wütend zugleich. Sie werden “schlechter behandelt als Tiere” (so Markus Rode, Leiter von Open Doors Deutschland). Eine ehemalige Inhaftierte berichtet davon, dass sie den Blick stets gesenkt halten müssen, “um nicht zum Himmel und damit zu Gott aufzuschauen”. An ihnen werden “barbarische Experimente” durchgeführt. Christen bekommen die “härtesten Arbeiten” zugewiesen, müssen “mit Säuren hantieren” und “Fäkalien entfernen”. Sie werden tagelang “in kleine Boxen gepfercht”; nicht selten führt diese Misshandlung zu körperlicher Lähmung. Ihre Wärter erhalten Belohnungen, wenn sie es schaffen, Christen “durch Folter zur Aufgabe ihres Glaubens zu zwingen”; die Zitate stammen aus dem Bericht des Christlichen Medienmagazins Pro (Nr. 5 / 2012) über die Gulag-Erfahrung Shin Dong-hyuks. Die Angst vor dem Christentum und der Hass auf die Christenheit schaukeln sich gegenseitig hoch und sind mittlerweile unvorstellbar gross: Für die Inhaftierung einer ganzen Familie reicht bereits das Auffinden einer Bibel in ihrer Wohnung aus.

In China werden nur diejenigen Christen in Ruhe gelassen, die die Kommunistische Partei als höchste irdische Autorität anerkennen. Man will die Fäden in der Hand behalten, der Ordnung wegen. Schlecht für die bekennende Kirche, die da nicht mitspielt. In Indien bleibt immer noch unverstanden, wie man Unberührbare berühren kann. Christen kommen und pflegen sie, salben ihre Wunden. “Was bilden die sich eigentlich ein!” Immer wieder – seit der Hindu-Nationalist Modi die Macht übernahm, deutlich vermehrt – kommt es zu Gewaltakten gegen Christen, die die Unberührbaren aus dem Kastensystem lösen möchten, ihre Befreiung aus starrer, unmenschlicher Ordnung vornehmen. Aber damit eben auch gegen diese Ordnung verstossen, in der ein Mensch umso wertvoller wird, je heller seine Haut ist.

In Vietnam sind mehr als sechzig religiöse Würdenträger in Haft, weil sie religiöse Würdenträger sind. Wenn überhaupt, dann erfahren wir von Inhaftierungen in Vietnam nur, wenn es sich dabei um mehr oder weniger prominente Opfer handelt, wie im Fall des katholischen Paters Nguyen Van-Ly, der eine langjährige Haftstrafe absitzt. Die staatlichen Repressionen gegen ganz normale Priester und Ordensleute werden hingegen in der Presse nicht erwähnt. Fest steht: Es gibt eine neue Dimension der flächendeckenden Christenverfolgung in Vietnam auf der Basis “klarer Einschränkungen der Meinungs- und Gewissensfreiheit” (so die Menschenrechtsorganisation International Christian Concern). Übrigens ist Vietnam eines der Länder, in denen die Christenverfolgung zunimmt (Platz 18 im Open Doors-Weltverfolgungsindex 2014, nach Platz 21 im Jahr 2013) und man kann leider “nicht davon ausgehen, dass sich die Situation der Christen mittelfristig verbessern wird” (wie es im aktuellen Dossier über das Land steht). Eine Schlüsselrolle spielt dabei eine Anfang 2013 in Kraft getretene Verordnung zur Umsetzung des Religionsgesetzes, die offenbar die Kontrolle der Kirche zunehmend verschärft.

Und bei uns? In Europa? In Deutschland? Hier ist es insbesondere die unangepasste katholische Kirche, die in einer sexualisierten Leistungs- und Ellenbogengesellschaft stört, weil ihre Mitglieder jenseits von Körperkult und Konsum noch Sinn vermuten. Dennoch – um es klar zu sagen: In Deutschland gibt es keine flächendeckende Verfolgung. Christen müssen nicht um ihr Leben fürchten, weil sie Christen sind. Doch zum einen steigt die Gewalt gegen Artefakte, die man dem Christentum zuschreiben kann (Kirchen, Friedhöfe, Wegkreuze, Pfarrhäuser), zum anderen gibt es eine zunehmend offenere Diskriminierung von Christen in Europa, wenn sie sich im Kontext von Ehe, Familie und Lebensschutz christlich positionieren. “Ich bin Jesus” oder “Ich folge Jesus” – zu diesem Bekenntnis gibt es aber auch hierzulande keine tragfähige und wahre Alternative.

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