Wenn die Seele nach Licht sucht
Wenn die Seele nach Licht sucht: Eine Psychologin erklärt die dunkle Jahreszeit
15. November 2025
Wenn die Tage kürzer werden und das Licht schwindet, geraten viele Menschen innerlich ins Dunkel. Müdigkeit, Antriebslosigkeit, trübe Gedanken – der “Winterblues” ist weit verbreitet, auch unter gläubigen Menschen. Antoinette von Westerholt, eine christliche Diplom-Psychologin und Heilpraktikerin (nach dem Heilpraktikergesetz) für Psychotherapie mit eigener Praxis in Feldafing am Starnberger See, begegnet diesem Phänomen seit Jahren in ihrer Arbeit. Die fünffache Mutter verbindet in ihrer Praxis psychologisches Wissen mit einem tief verwurzelten christlichen Glauben. Für sie gehören Körper, Geist und Seele untrennbar zusammen – genauso wie wissenschaftliche Erkenntnis und spirituelle Erfahrung.
Frau von Westerholt, Sie erleben in Ihrer Praxis, dass viele Menschen gerade im Winter seelisch aus dem Gleichgewicht geraten. Was passiert da eigentlich mit uns – und warum scheinen Dunkelheit und Kälte so stark auf unsere Stimmung zu wirken?
Körper, Geist und Seele bilden in uns Menschen eine Einheit. Wie wir fühlen (Emotionen, Seele), was wir denken (Kognitionen, Geist) und was wir körperlich tun (körperliche Aktivität) hängt zusammen; jeder der drei Aspekte kann sowohl positiv als auch negativ auf die anderen beiden wirken.
Wenn im Winter die Tage kürzer werden und Wolken den Himmel grau erscheinen lassen kommt weniger Tageslicht zu uns. Wenig Licht bedeutet, dass weniger Serotonin produziert wird. Das ist das Glückshormon, das die Stimmung hebt – traurige Gefühle, negative Gedanken, weniger körperliche Aktivität (depressive Symptome) werden wahrscheinlicher. Außerdem wird bei weniger Licht mehr Melatonin ausgeschüttet: man fühlt sich müde, erschöpft, antriebslos. Wenig Licht kann auch zu einem gestörten Biorhythmus-System führen: Die innere Uhr gerät durcheinander: Schlaf, Hunger, Konzentration fühlen sich aus dem Takt an.
Leider schränken viele Menschen ihre (Outdoor-)Aktivitäten im Winter ein. Bei körperlicher Bewegung wird Serotonin ausgeschüttet, welches glücklich macht. Zusätzlich begegnen wir im Winter weniger Menschen zufällig oder auch verabredet, da sich weniger Menschen draußen aufhalten. Viele Menschen fühlen sich einsam, können sich zu wenig austauschen. Insgesamt also drei wichtige Komponenten, die sich auf das Wohlbefinden auswirken: Licht, Bewegung und soziale Kontakte.
Aus Ihrer christlichen Perspektive: Wie kann der Glaube dabei helfen, mit solchen Phasen umzugehen? Gibt es spirituelle Haltungen oder Rituale, die aus Ihrer Erfahrung tatsächlich stärken – ohne dass sie in ein “positives Denken um jeden Preis” abrutschen?
Aus meiner christlichen Perspektive kann der Glaube an Jesus Christus für viele Menschen mit depressiven Phasen eine entscheidende Rolle spielen. Die Worte der Bibel können Trost und Hoffnung spenden und den glaubenden Menschen daran erinnern, dass er in seinen dunklen Stunden nicht allein ist, z. B. Psalm 34,18: “Der Herr ist nahe den zerbrochenen Herzen und hilft denen, die ein zerschlagenes Gemüt haben.” Die Zusage Gottes, dass Er in Zeiten der Not bei uns ist, stellt eine der zentralen Botschaften der Bibel dar und verleiht Stärke. Der Glaube, dass es einen höheren Plan gibt, kann eine tiefgreifende Erleichterung bringen. Auch betonen die Lehren Jesu Liebe, Mitgefühl und Vergebung. Dies kann dazu beitragen, negative Gedankenmuster zu durchbrechen. Diese Botschaften können helfen, das Selbstwertgefühl zu stärken und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft zu fördern. Viele Gläubige berichten von einer tiefen inneren Ruhe, die sie durch ihren Glauben erfahren.
Eine spirituelle Haltung, die aus meiner Erfahrung tatsächlich stärkt, wäre tägliches Bibellesen und Beten/Meditieren. Zum anderen, sich bewusst zu werden, dass man trotz einer depressiven Phase Gottes geliebtes Kind ist und einen barmherzigen, liebenden Vater im Himmel hat. Drittens versuchen, auch in einer depressiven Phase kleine Dinge zu entdecken, für die man dankbar sein kann. Zum Beispiel, dass man ein Dach über dem Kopf hat, ausreichend Essen, in einem sicheren Land lebt, etc.
Immer wieder hört man: “Beten hilft.” – Was geschieht aus psychologischer Sicht beim Gebet? Wirkt es eher beruhigend, weil man den Fokus verändert, oder kann darin auch eine tiefere seelische Heilung liegen?
Aus eigener Erfahrung als überzeugte und praktizierende Christin und Psychologin denke ich, dass beim Gebet sowohl psychologische Elemente wirken (Entlastung, Klärung, Abstand, Dankbarkeit, Orientierung, Willensbildung) als auch wirklich Gott eingreifen kann und uns auf unser Bitten Beruhigung, Hoffnung, gute Ideen, Handlungshilfe, Trost, tiefere seelische Heilung, Mut und vieles mehr schenkt.
Das Gebet kann dazu dienen, Gedanken und Gefühle vor Gott zu bringen, auch schwer überschaubare Situationen, Hoffnungen und Befürchtungen zu formulieren; die Gedanken können geordnet werden.
Ein lautes oder stilles Aussprechen verworrener oder schwieriger Gedanken ermöglicht außerdem Distanz zu sich selbst und verhindert nutzloses, langes Grübeln. Es gelingt, innerlich einen Schritt aus dem Alltag herauszutreten und ihn aus einer Außenperspektive zu betrachten. Damit verliert er die Macht, uns ganz zu vereinnahmen.
Das Gebet kann auch dazu beitragen, den Geist zu beruhigen und einen Zustand der inneren Ruhe zu fördern. Meditation über biblische Texte kann ebenfalls eine therapeutische Wirkung haben. Indem man sich auf bestimmte Verse konzentriert und deren Bedeutung reflektiert, können Gläubige neue Einsichten gewinnen und ihre Perspektive auf ihre Probleme verändern. Zum Beispiel kann das Nachdenken über Bibelverse wie Philipper 4,6–7 – “Sorgt euch um nichts; sondern in allen Dingen lasst eure Bitten in Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kundwerden!” – dazu führen, dass man lernt, Sorgen loszulassen und stattdessen Vertrauen in Gott zu setzen. Diese Art der Meditation fördert nicht nur das geistliche Wachstum, sondern kann auch zur emotionalen Heilung beitragen.
Das Gebet ist in vielen Notlagen die einzige Möglichkeit, wenigstens etwas zu tun, wenn es auch nicht sofortige Abhilfe zur Folge hat. Im Gebet kommt es zu einem inneren Klärungsprozess, indem neue Handlungsalternativen überlegt werden können. Die persönliche Wertorientierung und das Selbstbewusstsein (z. B. Gottes geliebtes Kind zu sein) werden durch Reflexionen entscheidend gefördert. Der Gläubige hat beim Gebet außerdem die Möglichkeit, die aus der Bibel, der Predigt oder sonstiger Verkündigung aufgenommenen Worte auch selbst zu verwenden und sich damit bis zu einem gewissen Grad anzueignen.
Das Dankgebet schätze ich persönlich besonders; es erlaubt eine bewusste und unterscheidende Aufnahme der Ereignisse und Erfahrungen. Auch gemeinsame Anbetung und das Gebet in einer Gemeinschaft können heilende Wirkungen haben. Das Gefühl der Zugehörigkeit und des gemeinsamen Glaubens ermutigt den Einzelnen und hilft ihm, neue Perspektiven auf seine Probleme zu gewinnen. Das Gebet ist also eine Möglichkeit und Übung, von sich selbst weg zu denken, sich zu öffnen und offenzuhalten für den größeren Zusammenhang und die größere Wirklichkeit.
Viele Gläubige empfinden Schuld oder Scham, wenn sie trotz Gebet oder Vertrauen in Gott traurig bleiben. Wie kann man lernen, solche Gefühle anzunehmen – und gleichzeitig im Glauben Trost zu finden?
Ich denke, es ist wichtig, zu hinterfragen, was für ein Gottesbild jemand hat. Wenn ich an einen liebenden, barmherzigen Gott glauben und mich als bedingungslos geliebtes Kind Gottes wissen darf, darf ich darauf hoffen, dass Gott mich so annimmt, wie ich bin und mir seine bedingungslose Liebe schenkt. Ich darf erkennen: “Ich bin gut, so wie ich bin.” Ich darf auch Schuld, Scham und Trauer spüren und “muss mich nicht zusammenreißen”. Ich darf Gott meinen Schmerz hinlegen und auf Trost hoffen.
In Zeiten der Depression erleben viele Menschen eine tiefe Sinnkrise, sie hinterfragen das Warum ihres Lebens und ihrer Leiden. Der Glaube an Jesus Christus bietet Antworten auf diese Fragen. Die Verbindung zwischen Glauben und einem sinnvollen Leben ist ein kraftvolles Mittel zur Bekämpfung von Depressionen.
Bei Heilung von emotionalem Schmerz spielt im christlichen Glauben auch oft die Vergebung ein zentrales Thema. Groll, Schuldgefühle, Scham können zu einer negativen Denkweise führen. Jesus Christus lehrt uns jedoch die Bedeutung der Vergebung – sowohl gegenüber anderen als auch uns selbst. Indem man zu vergeben lernt, kann man sich von belastenden Emotionen befreien und Platz für seelische Heilung schaffen. Wir können uns auf das Heute konzentrieren und es ermöglicht uns, nicht länger von der Vergangenheit belastet zu werden.
Wann raten Sie dazu, professionelle Unterstützung zu suchen – also wann wird aus einer seelischen Winterflaute eine Depression, die mehr braucht als gute Gespräche und Gebet?
Ich würde zuerst empfehlen, pragmatisch auszuprobieren, ob bei einer “Winterflaute” Linderung geschaffen werden kann:
a) Eine Tageslichtlampe (10.000 Lux) für eine Lichttherapie zu Hause besorgen und täglich 30 Minuten lang 14 Tage ausprobieren, ob dies Erleichterung verschafft.
b) Täglich spazieren gehen. Ein Spaziergang von 30 bis 60 Minuten hilft dem Gehirn dabei, mehr Serotonin zu bilden, Energie aufzubauen, Stress abzubauen.
c) Mindestens dreimal pro Woche 30 Minuten, besser täglich körperliche Bewegung anstreben (Fahrrad fahren, schwimmen, Pilates, etc.). Sport aktiviert Endorphine, Serotonin und Dopamin; hebt die Stimmung, reduziert Stress, verbessert den Schlaf.
d) Auf eine gesunde Ernährung und Vitamin-D-Versorgung achten.
e) Eine gesunde Struktur haben. Regelmäßige Abläufe helfen dem Nervensystem, sich zu stabilisieren. Feste Schlafzeiten (7 bis 8 Stunden als Erwachsener), regelmäßige Mahlzeiten, geplante Aktivitätszeiten. Die Routine schafft innere Sicherheit, besonders in dunklen Zeiten.
f) Soziale Begegnungen aktiv planen und aktivieren; Treffen und Telefonate verabreden. Auch sich um andere zu kümmern schenkt dem eigentlich Schenkenden so viel Freude zurück.
Wenn trotzdem über einen Zeitraum von zwei Wochen fast täglich gedrückte Stimmung und Interessenlosigkeit vorherrschen und man nicht normal seinen Alltag wie Arbeit und soziale Aktivitäten folgen kann, würde ich raten, professionelle Hilfe zu suchen. Bei depressiven Patienten ist das Risiko eines Suizids im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung etwa 30-fach erhöht. Daher ist es sehr wichtig, dass sich betroffene Menschen Hilfe suchen; eine Psychotherapie und bei schwerer Depressionen auch die Kombination mit Medikamenten (Pharmakotherapie).
Wenn Sie auf Ihre Arbeit und Ihren Glauben schauen – was wünschen Sie sich, dass Christen im Umgang mit seelischen Tiefs stärker verstehen oder verändern? Gibt es eine Botschaft, die Sie Menschen mitgeben möchten, die gerade in dieser dunklen Jahreszeit innerlich mit sich kämpfen?
Seelische Tiefs, z. B. eine “Winterdepression”, sind keine persönliche Schwäche oder gar Strafe. Sie können eine biologische Reaktion auf Lichtmangel sein oder andere körperliche Ursachen haben, dies kann man auch beim Hausarzt abklären lassen und rasche Lösungen finden.
Ich rate, erst die oben erwähnten Vorschläge zwei Wochen lang auszuprobieren und umzusetzen. Wenn keine oder kaum Erleichterung eintritt: Bitte nicht lange zögern, zu handeln; denn umso früher man handelt, desto schneller findet man heraus, was einem hilft oder man tatsächlich Unterstützung durch einen Psychotherapeuten oder Arzt braucht.
Für gläubige Menschen ist dann meist die Kombination von professioneller therapeutischer Unterstützung und Glauben an Jesus Christus eine wirksame Strategie zur Bewältigung von Depressionen. Der Glaube kann als Anker helfen, mit neuer Hoffnung die Herausforderungen anzugehen. Fachleute wie Psychotherapeuten können wertvolle Strategien beibringen, um mit den psychologischen Aspekten von Depressionen umzugehen. Viele Menschen auch aus meiner Praxis berichten von positiven Erfahrungen bei dieser Kombination, sie fühlen sich sowohl emotional unterstützt als auch geistlich gestärkt.
Hinweis: Interviews wie dieses spiegeln die Ansichten der jeweiligen Gesprächspartner wider, nicht notwendigerweise jene der Redaktion von CNA Deutsch.
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