Am Nil keine Experimente

“Stellvertretend für die ganze arabische Welt”

Oliver MaksanDie Tagespost, 17. Januar 2014, von Oliver Maksan

War das jetzt die donnernde Zustimmung zum neuen Ägypten nach Mursi, die sich Armeechef al-Sisi erbeten hat? Magere 37 Prozent der Ägypter haben sich in dieser Woche inoffiziellen Ergebnissen zufolge am Verfassungsreferendum beteiligt. Gewiss, das ist mehr als beim Referendum während der Herrschaft der Muslimbrüder. Zudem ist die Zustimmung sowjetisch. Von 97 Prozent ist die Rede. Doch selbst das konzertierte Trommelfeuer von Medien und Politik, mit Ja zu stimmen, konnte keine höhere Wahlbeteiligung mobilisieren. Es lässt sich einfach nicht verbergen, dass es in Ägypten drei Gruppen gibt, mit denen zusammen kein Staat zu machen ist. Sie stehen stellvertretend für die ganze arabische Welt.

Da sind diejenigen, die mit Ja gestimmt haben, eine Koalition aus Mubarakisten, Christen, unter Bauchgrimmen zustimmenden Liberalen und der Masse derjenigen, die ein autoritär geführtes, neo-nasseristisches Ägypten wünschen. Sie jubilieren. Für sie ist mit der neuen Verfassung der erste Schritt getan auf dem Weg zur Wiederherstellung von Ordnung und Ruhe. Und tatsächlich: Seit drei Jahren taumelt der arabische Riese am Nil von einer Krise in die nächste. Der Tourismus, nicht zuletzt für die Christen eine lebenswichtige Einnahmequelle, liegt am Boden. Investoren flohen aus dem Land. Ohne Wiederherstellung politischer Stabilität wird sich daran nichts ändern. Dass sich für die Christen mit dem neuen Text die Dinge zum Besseren gewendet haben, lässt sich auch nicht von der Hand weisen.

Die Islamisten, die die Abstimmung als illegitim boykottiert haben, hingegen sehen sich wieder dort, wo sie vor Mubaraks Sturz waren: im Untergrund. Die Kompromisslosigkeit, mit der sie während der Präsidentschaft Mursis ihre Macht zu festigen suchten, hat sich mit voller Härte gegen sie gewandt. Ins kollektive Gedächtnis hat sich auch die von massgeblichen Muslimbrüdern gepredigte Gewaltorgie gegen Christen und staatliche Einrichtungen nach Mubaraks Sturz eingespeist. Sie oder wir: Mit ebendieser Erbarmungslosigkeit wird der politische Kampf geführt. Versöhnung wird es auf dieser Grundlage nicht geben. Langfristig wird sich, was vom politischen Islam übrig geblieben ist, aber fragen müssen, ob sich die Haltung der Fundamentalverweigerung fortsetzen lässt. Immerhin werden etwa 25 Prozent der Wähler diesem Spektrum als harter Kern zugerechnet.

Schliesslich ist da die Masse der illiteraten Unpolitischen, Apathischen, sich weder von Mubarak, Mursi noch al-Sisi etwas Erwartenden. Sie mögen innerlich der einen oder anderen Seite zuneigen. In politische Beteiligung setzt sich dies nicht um. Das tägliche Überleben entlang oder unterhalb der Armutsgrenze zu organisieren lastet sie vollständig aus. Diese Gemengelage macht deutlich, dass in Ägypten wie in den meisten Staaten der arabischen Welt die Grundlagen einer pluralistischen, rechtsstaatlich gehegten Demokratie fehlen, die nicht einfach die Tyrannei der Mehrheit ist.

Armeechef al-Sisi, die treibende Kraft hinter Mursis Sturz, wird das Ergebnis des Referendums derweil als hinreichende Aufforderung betrachten, für das höchste Amt im Staate zu kandidieren. So sehr es Islamisten und junge Liberale bedauern mögen: Am Nil stehen die Zeichen nicht länger auf Experiment und Veränderung.

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