Kardinal Newman: Bildung war sein “eigentliches Anliegen”

Newmans Wirken – Die Erhebung Kardinal Newmans zum Kirchenlehrer fällt mit dem Jubiläum der Bildungswelt im Heiligen Jahr zusammen. Eine glückliche Koinzidenz

Quelle
Newman wird an Allerheiligen Kirchenlehrer | Die Tagespost
Hl. Kardinal Newman (38)

31.10.2025

Falk Hamann

Der Name John Henry Newman zieht sich wie ein roter Faden durch die jüngsten drei Pontifikate. Im Jahr 2010 sprach Papst Benedikt XVI. den englischen Theologen selig, 2019 folgte die Heiligsprechung durch Papst Franziskus, und vor wenigen Monaten erklärte Papst Leo XIV. schließlich, Newman in den Rang eines Kirchenlehrers erheben zu wollen. Mit diesem Titel ehrt die Kirche jene Heiligen, die neben ihrem Glauben und Lebenswandel besonders durch ihre Lehre einen prägenden Einfluss ausgeübt haben.

Die Auszeichnung ist mit Blick auf Newman zweifellos gerechtfertigt, gilt er vielen doch – trotz des zeitlichen Abstands von rund hundert Jahren – als geistiger Wegbereiter des Zweiten Vatikanischen Konzils, in das nicht wenige seiner theologischen Überlegungen, etwa zur geschichtlichen Entwicklung christlicher Dogmen oder zur Bedeutung des Laienapostolats, Eingang gefunden haben. Schon 2009 zeigte sich daher der britische Newman-Kenner Ian Ker überzeugt, Newman werde “im Falle seiner Heiligsprechung sicher auch zum Kirchenlehrer erklärt werden” und dann als “Lehrer der post-konziliaren Kirche” gelten.

Ein wenig überraschend mag jedoch die Entscheidung von Papst Leo XIV. erscheinen, die Erhebung Newmans gerade auf den 1. November dieses Jahres zu legen. Sie fällt dadurch mit den Feierlichkeiten zum Jubiläum der Bildungswelt zusammen, die im Rahmen des Heiligen Jahres zu dieser Zeit im Vatikan stattfinden und zu denen Schüler, Studierende, Lehrkräfte sowie Vertreter von katholischen Schulen, Universitäten und Fakultäten aus aller Welt erwartet werden. Auch wenn es zunächst eher zufällig wirkt, der gewählte Termin trifft einen zentralen Aspekt des Wirkens von Newman, dem das Thema Bildung zeitlebens am Herzen lag.

Newman begann seine berufliche Laufbahn 1822 mit der Wahl zum Fellow am Oriel College der Universität Oxford, wo er unter anderem Philosophie, Latein und Griechisch unterrichtete. Nur wenige Jahre später wurde er zum Priester der anglikanischen Kirche geweiht und übernahm zusätzlich die Predigertätigkeit an der Universitätskirche St. Mary. Eine interne Kontroverse über seine Rolle als akademischer Lehrer führte jedoch Anfang der 1830er-Jahre zur Entbindung von allen Lehrverpflichtungen.

Dem Thema Bildung verbunden

In der Folge widmete sich Newman vermehrt seinen theologischen Studien, insbesondere der Beschäftigung mit den Kirchenvätern, und setzte damit bei sich eine Entwicklung in Gang, die zu seiner Konversion zum Katholizismus und zum Bruch mit seinem bisherigen Leben in Oxford führte. Auch als Katholik blieb der englische Theologe dem Thema Bildung verbunden: Von 1851 bis 1858 wirkte er als Rektor der damals neugegründeten Katholischen Universität Irlands – dem Vorgänger des heutigen University College Dublin – und setzte sich für die Bildung von Katholiken im Vereinigten Königreich ein. Es verwundert daher nicht, wenn er im Januar 1863 rückblickend in seinem Tagebuch notiert: “Von Anfang bis Ende ist Bildung (…) mein eigentliches Anliegen gewesen.”

Als Newmans bildungsphilosophisches Hauptwerk gilt “The Idea of a University”, eine Sammlung von Vorträgen aus seiner Zeit als Rektor der Katholischen Universität Irlands. Hierin entfaltet er eine Theorie akademischer Bildung, die im Kern auf eine ganzheitliche Kultivierung des Verstandes zielt. Eine Universität darf Newman zufolge nicht einfach nur Fachwissen vermitteln. Sie muss vielmehr ein Ort sein, an dem alle Wissenschaften gelehrt werden und so miteinander im Austausch stehen, dass die Studierenden – auch wenn sie sich auf bestimmte Fächer konzentrieren – ein grundlegendes Verständnis des Verhältnisses der verschiedenen Disziplinen zueinander und ihrer jeweiligen Grenzen erlangen.

Newman war überzeugt, dass eine spezialisierte Ausbildung für sich allein genommen Gefahr läuft, ein verengtes oder verzerrtes Weltbild hervorzubringen. Wer hingegen ein Bewusstsein der Begrenztheit der Erklärungsansprüche der eigenen Disziplin hat und sie im Ganzen der Wissenschaft verorten kann, der gewinnt dadurch einen freien und akkuraten Blick auf die Wirklichkeit. Es fällt nicht schwer, auch heute Belege hierfür zu finden. Man denke nur an die allseits bekannten Versuche rein naturwissenschaftlicher Erklärungen im Bereich des menschlichen Denkens und Handelns oder an die Dominanz ökonomischer Kategorien in gesellschaftlichen Analysen.

Ganzheitliche Kultivierung des Verstandes

Ein zweiter zentraler Aspekt von Newmans Bildungsphilosophie ist die Selbstzweckhaftigkeit der eben beschriebenen ganzheitlichen Kultivierung des Verstandes. Anders als Fachwissen, das man aus praktischen Gründen erwirbt, etwa zur Ausübung eines bestimmten Berufs, beschreibt Newman Bildung als etwas, das für alle Menschen um ihrer selbst willen erstrebenswert ist. Denn durch sie werde nicht in erster Linie ein bestimmter Wissensbestand erlernt, sondern vielmehr die allgemeine Fähigkeit erworben, in den unterschiedlichsten Bereichen besonnen und richtig zu urteilen und so zu wahren Erkenntnissen zu gelangen.

Im Zentrum von Newmans Bildungsphilosophie steht, so lässt es sich beschreiben, die klassische Idee intellektueller Tugenden, die für den Bereich des Denkens und Urteilens dieselbe Rolle spielen wie moralische Tugenden im Bereich des Handelns. In beiden Fällen nämlich handelt es sich um Eigenschaften, die Menschen dazu befähigen, die betreffende Art von Tätigkeit nicht einfach irgendwie, sondern gut auszuführen, und die damit wesentlich zu einem guten menschlichen Leben beitragen.

Newmans Beschäftigung mit dem Thema Bildung ist allerdings weit davon entfernt, rein akademisch zu sein. Sie entspringt seinem Wunsch, die damalige Situation der Katholiken im Vereinigten Königreich zu verbessern. Diese bildeten seit der englischen Reformation eine gesellschaftliche Minderheit, die sich massiven Benachteiligungen und Diskriminierung ausgesetzt sah. Auch nach ihrer weitgehenden rechtlichen Gleichstellung im Jahr 1829 blieben Katholiken faktisch von den Universitäten und höheren Lehranstalten ausgeschlossen und sahen sich weiterhin starken Ressentiments gegenüber. Für Newman war Bildung der Schlüssel, um ihre Lage nachhaltig zu verbessern.

Zum einen versprach eine Anhebung des Bildungsniveaus unter Katholiken, dass diese mehr am gesellschaftlichen und politischen Leben teilnehmen und ihre Interessen vertreten konnten. Zum anderen ging es Newman darum, gerade katholische Laien für die Auseinandersetzung mit den Vorurteilen und Anfeindungen zu rüsten, die ihnen in der damaligen anglikanischen Gesellschaft entgegenschlugen. Diesem Anliegen sind seine “Lectures on the Present Position of Catholics in England” (1851) gewidmet, in denen Newman nicht zuletzt auch die Bedeutung von Bildung unterstreicht: “Ich wünsche mir intelligente und gut unterwiesene Laien. (…) Ich möchte, dass ihr euer Wissen erweitert, eure Vernunft kultiviert, ein Verständnis des Verhältnisses zwischen verschiedenen Wahrheiten erlangt, dass ihr die Dinge zu sehen lernt, wie sie wirklich sind, dass ihr versteht, wie Glaube und Vernunft sich zueinander verhalten und was die Grundlagen und Prinzipien des Katholizismus sind.”

Bei Newman wird deutlich, warum Bildung nicht nur an sich für Menschen erstrebenswert, sondern auch ein zentrales Anliegen der Kirche ist. Die Kultivierung des Verstandes ist letztlich Voraussetzung dafür, dass Laiinnen und Laien ihren Glauben durchdringen und so sprachfähig ihren Dienst in der Welt wahrnehmen können. Es scheint daher mehr als passend, dass Newman nun gerade im Rahmen des Jubiläums der Bildungswelt im Heiligen Jahr 2025 zum Kirchenlehrer erhoben wird.

Der Autor studierte Philosophie in Leipzig, Köln und Leuven und promovierte zur Sozialphilosophie von Aristoteles und Thomas von Aquin.

Katholischen Journalismus stärken

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Stärken Sie katholischen Journalismus!

Unterstützen Sie die Tagespost Stiftung mit Ihrer Spende.

Spenden Sie direkt. Einfach den Spendenbutton anklicken und Ihre Spendenoption auswählen:

Die Tagespost Stiftung- Spenden

Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.

Hier kostenlos erhalten!

Themen & Autoren

Falk Hamann
Aristoteles
John Henry Newman
Kardinäle
Katholikinnen und Katholiken
Kirchenlehrerinnen und -lehrer
Kirchenväter
Leo XIV.
Papst Franziskus
Thomas von Aquin
Universität Oxford
Zweites Vatikanisches Konzil

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Kategorien

Die drei Säulen der röm. kath. Kirche

monstranz maria papst-franziskus

Archiv

Empfehlung

Ausgewählte Artikel