Jesus in den Ärmsten der Armen dienen
75 Jahre “Missionarinnen der Nächstenliebe” – Monsignore Leo Maasburg begleitete Mutter Teresa sieben Jahre lang in Indien und weltweit, war ihr Dolmetscher, Organisator und Beichtvater. Im Gespräch mit der “Tagespost” empfiehlt der Zeitzeuge sie als Kirchenlehrerin für das 21. Jahrhundert
Quelle
Papst-Besuch: Ansprache Papst Benedikt XVI. im Konzerthaus – DOMRADIO.DE
Heilige Mutter Teresa
04.10.2025
Vor 75 Jahren anerkannte Rom den neuen Orden von Mutter Teresa. Wie kam es zu dessen Gründung?
Mutter Teresa war 1928 bei den Loreto-Schwestern in Dublin eingetreten, um als Missionarin nach Indien zu gehen. Sie war schon eineinhalb Jahrzehnte lang Ordensschwester, bevor sie am 10. September 1946 auf einer Zugfahrt nach Darjeeling in Westbengalen in ihrem Herzen das Wort Jesu vernahm: “Mich dürstet.” Sie spürte in ihrem Herzen die überwältigende Liebe Gottes. In einer erschütternden Tiefe erfuhr Mutter Teresa, dass Gott uns nicht irgendwie liebt, sondern dass diese Worte “Mich dürstet” ein letzter und höchster Ausdruck seiner Sehnsucht nach der Liebe seiner Geschöpfe und nach der Rettung ihrer Seelen ist. Nun hatte sie den Kern ihrer Berufung erkannt und war entschlossen, Jesus in den Ärmsten der Armen zu dienen.
Aber es dauerte noch vier Jahre bis zur römischen Anerkennung des neuen Ordens.
“Vor allem durch die Kinder in den Slums von Kalkutta fand sie Zugang zu den Menschen im Elend, zu den Obdachlosen, Kranken, Behinderten, Leprakranken und Sterbenden”
Wie Jesus ihr aufgetragen hatte, begann sie umgehend mit dem Entwurf der Statuten einer eigenen religiösen Schwesterngemeinschaft unter der Autorität des Erzbischofs von Kalkutta. Bereits am 2. April 1948 erteilte Papst Pius XII. Mutter Teresa die Erlaubnis, als Ordensschwester außerhalb des Konvents zu leben. Am 16. August 1948 legte sie das Ordensgewand der Loreto-Schwestern ab und verließ die Sicherheit ihres geliebten Klosters. Ihr neues Ordensgewand, der heute weltweit bekannte blau-weiß-blau geränderte Sari der Armen von Kalkutta, war für eine weiße Europäerin ein unerhört mutiger Schritt. Vor allem durch die Kinder in den Slums von Kalkutta fand sie Zugang zu den Menschen im Elend, zu den Obdachlosen, Kranken, Behinderten, Leprakranken und Sterbenden. In allem stellte sie sich der göttlichen Vorsehung zur Verfügung, ohne strategische Pläne und anfangs ganz alleine. Und der Herr belohnte ihr Vertrauen, denn eine vatikanische Anerkennung gut zwei Jahre nach dem Beginn dieser Arbeit war wirklich sensationell.
Aus diesen unscheinbaren Anfängen in den Slums von Kalkutta entstand ein Orden, der heute weltweit tätig ist.
Als Mutter Teresa am 5. September 1997 in Kalkutta starb, hatte ihre Ordensfamilie, die aus fünf Kongregationen besteht, 592 Häuser – sie würde sagen “Tabernakel” – und etwa 5.000 Schwestern. Mutter Teresa hatte in den letzten 35 Jahren ihres Lebens im Durchschnitt jeden dritten Tag entweder das Haus, das Land oder den Kontinent gewechselt. Aber sie sah das Aufblühen ihrer Gründung nie als Frucht ihrer rastlosen Arbeit, sondern immer als “Sein Werk”. Sie war nur “ein Bleistift in Gottes Hand, der im Begriff war, einen Liebesbrief an die Welt zu schreiben”. Da es ganz “Sein Werk” sein sollte, bestand sie darauf, sich ganz auf Gottes Vorsehung zu verlassen. Bei den “Missionarinnen der Nächstenliebe” ist nicht nur, wie in fast allen katholischen Orden, das einzelne Ordensmitglied arm, sondern die Gemeinschaft als Ganze. Es gibt weder feste Einkünfte noch wirkliches Vermögen. Weil die Schwestern das Gelübde ablegen, den Ärmsten “aus ganzem Herzen und unentgeltlich zu dienen”, beziehen sie kein Einkommen aus diesem Dienst. Mutter Teresa war überzeugt, dass Gott ihnen jederzeit so viel geben werde, wie sie für ihre Arbeit brauchen.
Doch nicht Askese und Bedürfnislosigkeit sind das Alleinstellungsmerkmal dieses Ordens, sondern der Blick auf die Ärmsten der Armen.
Wie Theologen vor ihr war Mutter Teresa davon durchdrungen, dass wir Jesus in der Eucharistie und in den Ärmsten der Armen begegnen. Am Weg von der morgendlichen Heiligen Messe zum Haus für die Sterbenden, wo sie entmenschlichten, aus den Gossen Kalkuttas aufgelesenen Skeletten ein menschwürdiges Sterben ermöglichen wollte, sagte sie einmal: “Wir gehen jetzt von Jesus in der Eucharistie zu Jesus in den Ärmsten der Armen – es ist derselbe Jesus.” Das hat ein biblisches Fundament: “Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.”, lehrt Jesus (Mt 25,45). Für sie war die Präsenz Jesu in den Ärmsten der Armen so real wie in der Eucharistie. Ein Journalist, der Mutter Teresa im Haus für die Sterbenden beobachtete, wie sie einen Kranken mit üblen Geschwüren versorgte, soll angeekelt gesagt haben, das würde er nicht für eine Million Dollar tun. Ihre prompte Antwort: “Ja, für eine Million Dollar würde ich es auch nicht tun.” Aber sie tat es für Jesus und stellte damit die Theorie mitten in das Elend unserer Welt.
Wie lässt sich die rastlose Arbeit der “Missionarinnen der Nächstenliebe” für die Ärmsten mit einem kontemplativen Leben vereinbaren?
“Das Gebet gehörte für Mutter Teresa zum Leben wie das Atmen”
Das Gebet gehörte für Mutter Teresa zum Leben wie das Atmen. Wenn sie nicht gerade eine Arbeit verrichtete oder im Gespräch war, sah ich sie beten. Der Rosenkranz war immer in ihren Händen. Sie sagte: “Ich fühle mich so nutzlos und schwach. Weil ich mich nicht auf mich selbst verlassen kann, verlasse ich mich auf ihn, 24 Stunden am Tag. Das Gebet erweitert das Herz, bis es fähig ist, Gottes Geschenk seiner selbst zu empfangen.” Ich erinnere mich, dass sie an einer Tankstelle auf den Tankstutzen schaute, durch den das Benzin in den Tank floss, und sagte: “Schau, das ist wie das Blut im Körper: Ohne Blut gibt es im Körper kein Leben. Ohne Benzin im Auto kein Fahren. Und ohne Gebet ist die Seele tot.”
Wie hat diese Haltung ihren Orden geformt?
Die Schwestern halten täglich mindestens eine Stunde Anbetung vor dem Allerheiligsten. Als es 1972 zu todbringenden Überschwemmungen in Bangladesch kam, schickte Mutter Teresa ihre Schwestern sofort dorthin, um zu helfen. Die Not war immens und die Arbeit verlangte den Schwestern Übermenschliches ab. Doch als sie aufgefordert wurden, wegen der Katastrophe die Arbeit nicht für ihre Gebetszeiten zu unterbrechen, lehnte Mutter Teresa das entschieden ab: “Nein, die Schwestern werden für die Anbetung und die Heilige Messe nach Hause kommen.” Für sie war klar, dass die Kraft ihrer Schwestern versiegt, wenn sie nicht durch Messe und Anbetung genährt wird, denn die Kraft für ihren Dienst kommt aus dem Kontakt zu Gott. “Ohne Gott sind wir zu arm, um den Armen zu helfen, aber wenn wir beten, legt Gott seine Liebe in uns”, sagte sie. Mutter Teresa wusste: “Die Frucht des Gebets ist die Liebe. Die Frucht der Liebe ist der Dienst. Nur wenn du betest, kannst du den Armen wirklich dienen.”
Sie empfehlen Mutter Teresa als Kirchenlehrerin für das 21. Jahrhundert. Warum?
Mutter Teresa wollte ein “Bleistift in der Hand Gottes” sein. Sie lebte, was sie lehrte – und alles diente dem Ziel, Menschen zu Jesus zu führen. Wenn ihr Name auch heute wie ein Synonym für christliche Nächstenliebe verwendet wird, dann weil in ihrem Wesen und Wirken die in Christus Mensch gewordene Liebe Gottes zu uns Menschen sichtbar wird. Bis heute wird Mutter Teresa über die Grenzen von Staaten, Kontinenten, Konfessionen und Religionen hinweg verehrt. Ihre Hingabe an Christus in der Gestalt seiner leidenden Brüder und Schwestern scheint ein Samenkorn zu sein, das in der Kirche immer mehr aufblüht. Im Gegensatz zu vielen Heiligen, die von der Kirche zu Kirchenlehrern erklärt wurden, hat Mutter Teresa kein theologisches Buch hinterlassen. Auf der Fahrt zu einer indischen Universität, die ihr ein Ehrendoktorat in Rechtswissenschaft verleihen wollte, sagte sie mir unter humorvollem Augenzwinkern: “Weißt du, Pater, ich habe nie studiert und habe auch kein Diplom erworben, auch von Rechtswissenschaft verstehe ich nichts. Ich weiß nur ein Kleinwenig über Jesus und sofort wollen mir Universitäten Ehrendoktorate verleihen.” Sie hat ihre theologische Doktorarbeit nicht auf Papier, sondern in die Herzen von unzähligen Menschen, Armen und Reichen, geschrieben. Sie war eine Lehrerin der Tat.
Was war der theologische Kern ihrer Lehre?
“Wie alle großen Kirchenlehrer hat Mutter Teresa nicht etwas Neues gelehrt oder auf die eigene Originalität gesetzt, sondern die Lehre Jesu und seiner Kirche für die Menschen sichtbarer und tiefer verständlich gemacht”
Die Lehre der Kirche blieb das Fundament ihrer Praxis. In einer ihrer Instruktionen mahnte Mutter Teresa ihre Schwestern, “Jesus ähnlicher zu werden, indem wir ärmer, reiner, gehorsamer, liebevoller und auf diese Weise heiliger werden”. Wie alle großen Kirchenlehrer hat Mutter Teresa nicht etwas Neues gelehrt oder auf die eigene Originalität gesetzt, sondern die Lehre Jesu und seiner Kirche für die Menschen sichtbarer und tiefer verständlich gemacht.
Papst Benedikt XVI. bezeichnete Mutter Teresa als “demütige Zeugin der göttlichen Liebe”.
Ja, wie Franz von Assisi wurde Mutter Teresa von Kalkutta durch ihre Hingabe an den Willen Gottes und ihr antibürgerliches, entweltlichtes Leben zu einem Vorbild wahrer Kirchenreform. Papst Benedikt, der in seiner vielbeachteten Rede in Freiburg 2011 die “Entweltlichung” der Kirche forderte, berief sich ausdrücklich auf die Heilige aus Kalkutta: “Die selige Mutter Teresa wurde einmal gefragt, was sich ihrer Meinung nach als Erstes in der Kirche ändern müsse. Ihre Antwort war: Sie und ich! An dieser kleinen Episode wird uns zweierlei deutlich. Einmal will die Ordensfrau dem Gesprächspartner sagen: Kirche sind nicht nur die anderen, nicht nur die Hierarchie, der Papst und die Bischöfe; Kirche sind wir alle, wir, die Getauften. Zum anderen geht sie tatsächlich davon aus: ja, es gibt Anlass zur Änderung. Es ist Änderungsbedarf vorhanden. Jeder Christ und die Gemeinschaft der Gläubigen als Ganzes sind zur stetigen Änderung aufgerufen.” Dann sagte der Papst: “Das missionarische Zeugnis der entweltlichten Kirche tritt klarer zutage. Die von materiellen und politischen Lasten und Privilegien befreite Kirche kann sich besser und auf wahrhaft christliche Weise der ganzen Welt zuwenden, wirklich weltoffen sein. Sie kann ihre Berufung zum Dienst der Anbetung Gottes und zum Dienst des Nächsten wieder unbefangener leben. Die missionarische Pflicht, die über der christlichen Anbetung liegt und die ihre Struktur bestimmen sollte, wird deutlicher sichtbar.” Ja, genau dafür steht Mutter Teresa!
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.
Themen & Autoren
Stephan Baier
Erzbischöfe
Franz von Assisi
Heilige Messe
Jesus Christus
Monsignore
Pius XII.
Päpste
Schreibe einen Kommentar