“Ein volles Leben”
Innig im Gebet, humorvoll, mit viel Zeit für Freunde und ein begeisterter Bergsteiger: Dominikanerfrater Philipp Wagner über den bald heiligen Dominikanerlaien Pier Giorgio Frassati
02.09.2025
Der Laiendominikaner Pier Giorgio Frassati (1901-25) war ein begeisterter Bergsteiger, der mit beiden Beinen im Leben stand. Am 7. September wird er gemeinsam mit dem “Internet-Apostel” Carlo Acutis (1991-2006) heiliggesprochen. Der Mainzer Dominikaner Frater Philipp Wagner OP erklärt der “Tagespost”, warum sich viele junge Gläubige mit ihm identifizieren können.
Frater Philipp, Pier Giorgio Frassati wird als “Mann der Seligpreisungen” bezeichnet. Was ist damit genau gemeint? Lebte er wirklich alle Seligpreisungen?
So sprach Johannes Paul II. bei seiner Seligsprechung über ihn. Denn Pier Giorgio hat versucht, die Seligpreisungen der Bergpredigt konkret zu leben. Man kann sie einzeln durchgehen und mit seinem Leben abgleichen: Sanftmut und Gerechtigkeit gegenüber den Armen tauchen bei ihm früh sehr stark auf. Der Einsatz für soziale Gerechtigkeit war sein Schwerpunkt, seine Haupttätigkeit neben dem Studium. Und das alles verbunden mit einem starken Gebetsleben.
Was haben die Eltern dem Sohn mitgegeben?
Er kam aus einer großbürgerlichen Familie. Der Glaube hat dort keine große Rolle gespielt. Sein Vater Alfredo war ein typisch italienischer “Agnostiker”, der Gründer und Chefredakteur der Zeitung “La Stampa” und von 1920 bis 1922 Botschafter in Berlin. Nach dem Marsch auf Rom durch die Faschisten ist er sofort zurückgetreten. Zivilcourage und die Abneigung gegen eine “demokratiegefährdende Institution” hat Pier Giorgio also von seinem Elternhaus mitbekommen.
Wurde Pier Giorgio zu Hause Glaube und Nächstenliebe vermittelt?
Seine Mutter Adélaïde war psychisch stark belastet. Es steht also keine katholische Familie hinter ihm, und trotzdem hat er sich aus einem tiefen Glauben heraus schon als Schüler sozial engagiert. Das war in seiner großbürgerlichen Blase nicht üblich. Die Eltern waren bei seiner Beerdigung vollkommen überrascht. Sie wussten, Pier Giorgio war viel mit seinen Freunden unterwegs. Aber nicht, dass er sich um die Arbeiter gekümmert hat. Bei seiner Beerdigung sind mehr als 10.000 Personen aufgetaucht. Das muss man sich mal vorstellen, in einer Zeit ohne Social Media. Es kamen Menschen, die gemerkt hatten: Das war ein sehr besonderer Mensch, in dem man Gott begegnet ist.
Das dominikanische Charisma ist es, zu predigen. Pier Giorgio gehörte zum “Laien-Orden” der Dominikaner. Wo zeigt sich in seinem Leben das Dominikanische?
Der Einsatz in der Welt, auch bei politischen Fragen, verbindet Pier Giorgio mit dem Predigerorden. Nicht nur karitativ tätig zu sein, sondern den Menschen das Evangelium ganz konkret zu vermitteln. Der Impuls, dem Predigerorden als Laie beizutreten, entstand durch den Kontakt mit dem Dominikaner Filippo Robotti, der den Arbeitern im Lingotto die katholische Soziallehre nahebringen wollte. Kein leichtes Unterfangen, da die Sozialisten und Kommunisten in der aufgeheizten Stimmung die Arbeiterklasse für sich beanspruchten. Pier Giorgio begleitete Pater Robotti, man könnte sagen, fast wie ein Leibwächter, wenn er zu seinen Vorträgen und Gesprächen aufbrach. Frassati sah seinen Auftrag als Einsatz mitten in der Welt. Darum ist er kein Dominikanernovize geworden. Er wollte sich um die sozialen Fragen bemühen. Er hat Ingenieurswesen studiert, um beruflich bei den Arbeitern sein zu können, die unter den sozialen Problemen litten.
Inwieweit ist Pier Giorgio für die heutigen Tertiaren der Dominikaner ein Vorbild? Und ebenso allen Laien der katholischen Kirche?
Vorbildlich ist an ihm, dass er ganz normal war und mit beiden Beinen auf dem Boden stand und aus einer tiefen Frömmigkeit heraus lebte. Im Alltag hat er versucht, die wesentlichen Dinge heiligmäßig zu tun. Er hatte Humor, konnte wie alle Studenten feiern, war nicht abgehoben. Es gibt ein Bild von ihm, auf dem er in den Bergen Pfeife raucht. Die Pfeife wurde für seine Seligsprechung wegretuschiert. Im Internet gibt es auch Fotos von ihm, wo er mit Studenten an einem Tisch voll leerer Weinflaschen sitzt.
Er war ein unglaublich frommer Mensch, der das Evangelium zu 100 Prozent ernst genommen hat, jeden Tag in die Messe gegangen ist und den Rosenkranz gebetet hat. In den 1920er-Jahren war das für einen jungen, engagierten Katholiken nicht ungewöhnlich. Besonders war die Ernsthaftigkeit und Innigkeit, mit der er sein Gebetsleben gelebt hat. In seinem Freundeskreis ist er also nicht als der “frömmelnde Spinner” aufgefallen.
Denn Heiligkeit bedeutet nicht, völlig asketisch, frömmelnd und mit bleichem Gesicht herumzulaufen – um es mal ganz platt zu formulieren – und möglichst wenig Sport zu treiben. Das ist das negative Klischeebild. Pier Giorgio hatte wirklich ein volles Leben, er war Bergsteiger und ist mit seiner selbst gegründeten Gemeinschaft, der “Gesellschaft undurchsichtiger Typen”, oft in die Berge gegangen. All das immer in Verbindung mit seinem starken Gebetsleben, sozialem Engagement und einem unerschütterlichen Glauben.
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